Protonen in der Warteschlange: Kernfusion auf Neutronensternen

Abb. 1: Künstlerische Darstellung des Röntgen-Doppelsternpaars im Zentrum des Kugelsternhaufens NGC6624. Grafik: Dana Berry/STScI<br>

Neutronensterne gehören neben den Schwarzen Löchern zu den exotischsten Gegenständen der Astronomie. Sie stehen am Ende der Entwicklung eines massiven Sterns, der nach Verbrauch seines nuklearen Brennstoffs unter seiner eigenen Schwerkraft in einem spektakulären Supernova-Ereignis zu einem äußerst kompakten Objekt kollabiert: um die zwei Sonnenmassen konzentrieren sich innerhalb eines Durchmessers von nur ca. 20 km und die Dichte im Inneren ist so ungeheuer hoch, dass ein würfelzuckergroßes Stück davon die Massen von einigen Milliarden Tonnen besitzt.

Wie ihr Name schon sagt, bestehen sie überwiegend aus Kernmaterie, zeigen aber dennoch wie die meisten Himmelskörper einen differenzierten Aufbau: ein überwiegend aus Neutronen bestehender Kern – eventuell gar ein innerster Bereich aus Quarkmaterie – und eine vermutlich kristalline Kruste aus Ionen (überwiegend Eisen und leichtere Elemente) und Elektronen. Freilich beruht unser Wissen darüber zum größten Teil auf theoretischen Überlegungen und um diese zu testen sind die Astrophysiker auf die spärlichen Beobachtungsdaten angewiesen, die uns in verschiedener Form erreichen. Von besonderem Interesse sind dabei enge Doppelsternsysteme, die einen Neutronenstern enthalten, der von seinem Partnerstern dank des geringen Abstands und seiner hohen Schwerkraft Materie ansaugt (siehe Abb. 1). Dabei kommt es zu so genannten Röntgenstrahlen-Ausbrüchen, welche zu den intensivsten astronomischen Röntgenquellen zählen.

Nach heutigem Verständnis speisen sich diese Ausbrüche aus thermonuklearen Prozessen (Kernfusion) auf der Oberfläche des Neutronensterns. Die hier einfallende Materie aus dem Partnerstern besteht überwiegend aus Wasserstoff und Helium und bildet unter dem Einfluss der ungeheuren Schwerkraft, welche einige 100 Millionen mal stärker ist als auf der Erdoberfläche, ein heißes dichtes Plasma aus Elektronen, Protonen und Heliumkernen. Die Protonen können mit Kernen aus der Kruste des Neutronensterns fusionieren und so eine thermonukleare Reaktionskette starten, in der in rascher Folge weitere Protonen in den Atomkern eingebaut werden. Dieser Vorgang wird rp-Prozess (rapid proton capture process) genannt und die dabei freiwerdende Energie wird in Form von Röntgenquanten abgestrahlt. Allerdings benötigt dieser Fusionsprozess eine bestimmte Aktivierungsenergie, da zunächst die elektrische Abstoßung zwischen Protonen und Kernen überwunden werden muss, bis sie sich für einen Einfang nahe genug kommen. Um dieses thermonukleare Brennen zu zünden ist somit – ähnlich wie bei Kernfusionsreaktoren – eine kritische Temperatur und Dichte erforderlich und hierfür muss erst genügend brennbares Material in der Atmosphäre des Neutronensterns angesammelt verdichtet und aufgeheizt werden. Einige Neutronensterne zeigen daher periodische Röntgen-Ausbrüche alle paar Stunden ähnlich einem Geysir. Ein typischer Ausbruch dauert nur einige 10 Sekunden, zeigt aber zudem ein gewisses Nachglühen von einigen Minuten Dauer. Um dies besser zu verstehen ist die Kernphysik gefragt und hier lohnt sich ein Blick auf die Nuklidkarte – dem „Periodensystem der Atomkerne“ – welche die Kerne sortiert nach ihrer Anzahl von Protonen und Neutronen in einer Tabelle anordnet (Abb. 2).

Die weißen Pfeile zeigen einen typischen rp-Reaktionsweg: Durch Einfang von Protonen entstehen neue, schwerere Elemente, die sich wiederum durch radioaktiven Betazerfall in Richtung des „Tals“ der stabilen Nuklide (schwarz) in nahezu gleich schwere aber neutronenreichere Nuklide umwandeln können. Beide Prozesse stehen in Konkurrenz zueinander, wobei zunächst der Protoneneinfang schneller erfolgt. Mit zunehmender Protonenzahl, also wachsender Kernladung wird aber die elektrostatische Barriere größer und damit die Fusion erschwert und verlangsamt, bis schließlich die Protonen-Abbruchkante erreicht ist, wo kein zusätzliches Proton mehr gebunden ist. Im Wettbewerb zwischen Proton-Einfang und Betazerfall bewegt sich somit der rp-Prozess entlang der Abbruchkante. Von Bedeutung sind dabei Nuklide nahe der Kante, wo der Einfangprozess langsamer wird als der konkurrierende Betazerfall und der Reaktionspfad sozusagen einen Umweg nimmt (grüne Pfeile in Abb. 2). Vor solchen Nukliden stehen die Protonen sozusagen in der Warteschlange, weshalb sie auch „Wartepunkte“ genannt werden. Der rp-Prozess stockt hier und damit auch die Produktion von Röntgenquanten, was zum beobachteten langsameren Nachglühen beiträgt. Die Situation wird dadurch verkompliziert, dass die Reaktionsrate zusätzlich von Dichte und Temperatur der Protonen abhängt, was in Modellrechnungen aber simuliert werden kann.

Diese Modellrechnungen brauchen aber genaue Informationen über die Eigenschaften der beteiligten Nuklide – an erster Stelle die Bindungsenergie des zusätzlichen Protons. Hier hilft den Kernphysikern Einsteins berühmte Formel E = mc2, nach der Energie und Masse äquivalent sind. Wird ein Proton eingefangen und dabei Energie als Röntgenquant freigesetzt, so nimmt die Masse des Kerns etwas weniger als eine Protonenmasse zu. Forscher um Klaus Blaum und Yuri Litvinov vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Kernphysik haben nun zusammen mit ihren chinesischen Kollegen und Kooperationspartnern aus Japan, Frankreich und den USA am Schwerionenforschungszentrum in Lanzhou (China) die Masse von drei Nukliden (Germanium-63, Arsen-65 und Selen-67) nahe der Protonen-Abbruchkante (gelbe Quadrate in Abb. 2) erstmalig und für Krypton-71mit deutlich besserer Präzision bestimmt. Die besondere Herausforderung ist hierbei die kurze Lebensdauer dieser Kerne, die z. T. nur gut eine Zehntelsekunde beträgt, was die sonst übliche Präzisionsmassenmessung in Ionenfallen nicht mehr erlaubt. Ein Speicherring stellt eine Art Rennbahn für Ionen dar, welche darin einige Millionen mal pro Sekunde umlaufen – innerhalb ihrer Lebensdauer somit einige hunderttausend Umläufe, was ausreicht, um die – massenabhängige – Umlaufdauer möglichst genau zu bestimmen. Typischerweise befinden sich dabei nur einige dutzend Ionen im Speicherring und die Messungen werden mehrfach wiederholt, um höhere Präzision zu gewinnen.

Insgesamt dauerte das Experiment etwa zwei Wochen und aus dem Ergebnis der direkten Massenmessungen der vier Nuklide konnte die jeweilige Proton-Bindungsenergie bestimmt werden. Für Arsen-65, dessen Mutternuklid Germanium-64 schon als Kandidat für einen Wartepunkt galt, ergab sich, dass das Proton gerade eben nicht mehr gebunden ist – es also nur kurzzeitig eingefangen werden kann. Theoretische Rechnungen konnten mit den neuen Daten zeigen, in welchen Dichte- und Temperaturbereichen der Einfang langsamer ist als der konkurrierende Betazerfall, das Isotop also einen wesentlichen Wartepunkt darstellt. In einer Simulation für einen Röntgenausbruch zeigte sich aber, dass der rp-Prozess dennoch überwiegend über Germanium-64 verläuft, also keinen wesentlichen Wartepunkt darstellt. Die neuen Messungen beseitigten zudem die größten Unsicherheiten dieser Simulationen und lenken das Augenmerk auf weitere mögliche Wartepunkte bei schwereren Nukliden.

Originalveröffentlichung:

X. L. Tu et al.
Direct Mass Measurements of Short-Lived A=2Z-1 Nuclides 63Ge, 65As, 67Se, and 71Kr and Their Impact on Nucleosynthesis in the rp Process
Physical Review Letters 106, 112501 (2011)
(doi:10.1103/PhysRevLett.106.112501)
Kontakt:
Prof. Dr. Klaus Blaum
Direktor der Abteilung gespeicherte und gekühlte Ionen
Telefon: +49 6221 486-850
Fax: +49 6221 486-852
E-Mail: klaus.blaum (at) mpi-hd.mpg.de

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Dr. Bernold Feuerstein Max-Planck-Institut

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