Oszillierende Kurven bringen Theorien ins Wanken

Physiker vom Walther-Meißner-Institut der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (Garching) entdeckten hier mit äußerst präzisen Messungen bisher unbekannte metallische Eigenschaften von Hochtemperatur-Supraleitern. Die vor kurzem in der Fachzeitschrift „Physical Review Letters“ vorgestellten Ergebnisse riefen in kurzer Zeit ein großes Echo in der Fachwelt hervor.

Das Hochfeld-Magnetlabor Dresden stellt mit großer Verlässlichkeit höchste gepulste Magnetfelder bis 70 Tesla für die Forschung zur Verfügung und hat sich damit einen Namen bei Wissenschaftlern aus aller Welt gemacht. Dieses Mal kamen die Messgäste aus dem bayerischen Garching. Die Gruppe von Prof. Rudolf Gross brachte bestens präparierte Materialproben eines komplex aufgebauten Kuprats – das ist eine Verbindung aus Kupfer, Sauerstoff und anderen Elementen – nach Dresden mit, um endlich die widersprüchlichen theoretischen Vorstellungen zu Hochtemperatur-Supraleitern zu bestätigen oder zu widerlegen.

Die Fachwelt hat auf diese Messungen rund 20 Jahre gewartet, denn hohe Magnetfelder jenseits von 60 Tesla in Kombination mit ausgefeilten Untersuchungstechniken an hervorragend ausgestatteten Laborplätzen existieren europaweit erst seit kurzem in Dresden.

Solch hohe Magnetfelder sind, gerade wenn es um Hochtemperatur-Supraleiter geht, unumgänglich, um die Supraleitung bei tiefen Temperaturen unterdrücken und die Materialien im normalleitenden Zustand gründlich untersuchen zu können. Wie vor mehr als 20 Jahren entdeckt, leiten die Substanzen normalerweise schon bei relativ hohen Temperaturen, also in dem gut zugänglichen Bereich von rund -150 bis -200 Grad C°, verlustfrei Strom. Deshalb wird ihnen eine große technologische Zukunft vorhergesagt, doch mangelt es immer noch am Grundverständnis. Ohne dieses aber ist ein gezielter Einsatz der Materialien für neue Hochtechnologien kaum möglich.

Die Physiker aus Garching und Dresden konnten nun dem Grundverständnis von Hochtemperatur-Supraleitern einen besonders wichtigen Baustein hinzufügen. In einer mehrwöchigen Messkampagne setzten sie drei unterschiedliche Kuprat-Proben Magnetfeldern bis zu rund 65 Tesla aus und maßen jeweils den elektrischen Widerstand im Magnetfeld. Heraus kamen wunderbar oszillierende Kurven, die die gängigen Theorien ins Wanken bringen. Doch zunächst muss man wissen, dass Supraleitung bei den Kupraten entsteht, wenn man bestimmte Atome durch andere ersetzt (dotiert). Dabei waren die drei Proben je unterschiedlich dotiert. Während die eine durch die Dotierung optimal supraleitend gemacht wurde, zeigte eine andere die Supraleitung erst bei tieferen Temperaturen. Im Rossendorfer Magnetlabor stellte sich nun heraus, dass sich die Supraleiter im normalleitenden Zustand – also bei unterdrückter Supraleitung – ganz anders verhalten als bisher angenommen. Dieser ungewöhnliche metallische Zustand ist zugleich das grundsätzliche Problem, das es zu verstehen und zu lösen gilt.

Metalle sind üblicherweise leitfähig. Das verdanken sie den freien Elektronen, die mehr oder weniger schnell durch das Kristallgitter hindurchflitzen, dabei aber immer wieder mit anderen Teilchen zusammenstoßen, was zum elektrischen Widerstand führt. Wie schnell die Elektronen in verschiedenen Richtungen durch das Kristallgitter fliegen, wird durch die sogenannte Fermi-Fläche beschrieben. Für die Hochtemperatur-Supraleiter wurde diese übliche Theorie der Metalle in Frage gestellt und vermutet, dass sie weitaus komplexere Eigenschaften haben.

Die Experimente am Hochfeld-Magnetlabor Dresden beweisen jedoch, dass sich Hochtemperatur-Supraleiter durchaus wie Metalle verhalten. Der Beweis: alle untersuchten Proben haben eine Fermi-Fläche. Wohldefinierte Fermi-Flächen, so nahm man bisher an, sollte es für Hochtemperatur-Supraleiter nicht einmal im normalleitenden Zustand, also bei unterdrückter Supraleitung, geben.

Die aktuellen Ergebnisse weisen bei allen Proben zusammenhängende Fermi-Flächen aus, denn alle Messkurven aus Rossendorf zeigen eindeutige „Wackler“, also Oszillationen im Magnetfeld. Allerdings ändert sich die Fermi-Fläche in Abhängigkeit von der Dotierung, doch erstaunlicherweise findet man selbst im Bereich der optimalen Dotierung eine kleine Fermi-Fläche. Diese Ergebnisse sind tatsächlich einmalig, denn noch nie zuvor konnten diese Änderungen der Fermi-Flächen bei Hochtemperatur-Supraleitern direkt nachgewiesen werden. Dies wirft ein völlig neues Licht auf die vorherrschenden Theorien zur Natur der Supraleitung in dotierten Hochtemperatur-Supraleitern.

Die sorgfältigen Messungen des magnetischen Widerstands am Hochfeld-Magnetlabor Dresden des FZD erlauben es, Änderungen dieser Messgröße auf besser als 0,02 Prozent zu bestimmen. Erst diese hohe Auflösung erlaubte es, die Oszillationen im Widerstand nachzuweisen. Weitere Messungen sollen folgen, um zu verstehen, warum genau sich die Fermi-Fläche mit der Dotierung ändert und wie genau die metallischen, supraleitenden und magnetischen Eigenschaften voneinander abhängen. Die Physiker erhoffen sich auch Antworten darauf, wie genau die Übergänge zwischen dem normalleitenden und dem supraleitenden Zustand beschaffen sind. Nur so wird es in der Zukunft möglich sein, maßgeschneiderte Hochtemperatur-Supraleiter für den breiten technologischen Einsatz herzustellen.

Veröffentlichung:
T. Helm1, M.V. Kartsovnik1, M. Bartkowiak2, N. Bittner1, M. Lambacher1, A. Erb1, J. Wosnitza2, R. Gross13, „Evolution of the Fermi Surface of the Electron-Doped High-Temperature Superconductor Nd2-xCexCuO4 Revealed by Shubnikov-de Haas Oscillations“, in: Phys. Rev. Lett. 103 (2009), 157002. DOI: 10.1103/PhysRevLett.103.157002.
1) Walther-Meißner-Institut, Bayerische Akademie der Wissenschaften, Garching
2) Hochfeld-Magnetlabor Dresden, Forschungszentrum Dresden-Rossendorf (FZD)
3) Physik-Department Technische Universität München
Weitere Informationen:
Prof. Joachim Wosnitza
Institut Hochfeld-Magnetlabor Dresden am FZD
Tel.: 0351 260 – 3524 | E-Mail: j.wosnitza@fzd.de
Dr. Mark Kartsovnik
Walther-Meißner-Institut, Garching
Tel.: 089 289-14223 | E-Mail: mark.kartsovnik@wmi.badw.de
Pressekontakt:
Dr. Christine Bohnet
Forschungszentrum Dresden-Rossendorf (FZD)
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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