Ordnung ins spukhafte Treiben gebracht

«Ich glaube, ich kann getrost sagen, dass niemand die Quantenmechanik versteht.» So sprach der amerikanische Physiker Richard Feynman. Dass sich selbst führende Wissenschaftler oft schwer tun, ein intuitives Gefühl für die Quantenmechanik zu entwickeln, liegt mitunter daran, dass quantenphysikalische Phänomene in vielen Fällen keine Entsprechung in der klassischen Physik haben.

Ein typisches Beispiel dafür ist die sogenannte Quantenverschränkung. Verschränkte Teilchen scheinen einander direkt beeinflussen zu können, egal wie weit sie voneinander entfernt sind — es entsteht der Eindruck, dass die Teilchen über beliebige Distanzen miteinander «kommunizieren» können. Berühmt wurde Albert Einsteins Bezeichnung für dieses scheinbar paradoxe Verhalten: «spukhafte Fernwirkung».

Sind mehr als zwei Teilchen miteinander verschränkt, dann kann die gegenseitige Beeinflussung verschiedene Formen annehmen. Diese unterschiedlichen Ausprägungen des Verschränkungsphänomens zu verstehen und systematisch zu erfassen, ist eine bis anhin nur teilweise gelöste Aufgabe. In einer Publikation, die soeben in der Fachzeitschrift «Science» veröffentlicht wurde, liefert eine Gruppe von Mathematikern und Physikern rund um Matthias Christandl, Professor am Institut für Theoretische Physik, nun einen wichtigen Beitrag, um Ordnung ins dieses «spukhafte Treiben» zu bringen.

Das Team hat einen Weg gefunden, auf anschauliche Weise einen gegebenen Quantenzustand einer Klasse von möglichen Verschränkungszuständen zuzuweisen. Eine solche Zuweisung ist wichtig, da sich damit unter anderem voraussagen lässt, wie nützlich der Zustand potenziell in praktischen Anwendungen sein kann.

Verschränkung in Schranken weisen

Gemeinsam mit Brent Doran, Professor am Departement für Mathematik der ETH Zürich, und David Gross, Professor an der Universität Freiburg im Breisgau, stellen Christandl und sein Doktorand Michael Walter, Erstautor der «Science»-Publikation, nun eine Methode vor, in der verschiedenen Klassen von Verschränkungszuständen geometrische Objekte (sogenannte Polytope) zugeordnet werden. Die Polytope repräsentieren die «Räume», welche den Zuständen einer Klasse zur Verfügung stehen. Ob ein bestimmter Zustand zu einem gegebenen Polytop gehört oder nicht, kann durch eine Reihe von Messungen an den einzelnen Teilchen bestimmt werden. Wichtig dabei ist, dass nicht mehrere Teilchen gleichzeitig gemessen werden müssen, wie dies in anderen Methoden notwendig ist. Diese Beschränkung auf Messungen an einzelnen Teilchen macht den neuen Ansatz effizienter, und gleichzeitig erweiterbar auf grössere Systeme.
Die Möglichkeit, Informationen zu Verschränkungszuständen in Systemen mit mehr als ein paar wenigen Teilchen zu erhalten, ist ein zentraler Aspekt dieser Arbeit, erklärt Christandl: «Für drei Teilchen gibt es zwei fundamental verschiedene Arten von Verschränkung, wobei eine im Allgemeinen ‹nützlicher› ist als die andere. Für vier Teilchen gibt es bereits unendlich viele Möglichkeiten, die Teilchen zu verschränken. Und mit jedem weiteren Teilchen wird die Situation noch komplexer.» Dieses rapide wachsende Mass an Komplexität erklärt, wa-rum trotz der grossen Zahl von Arbeiten, die über Verschränkungszustände geschrieben wurden, nur wenige Systeme mit mehr als einer Handvoll von Teilchen vollständig charakterisiert sind. «Unsere Methode der Verschränkungspolytope hilft, diese Komplexität zu bändigen, indem wir die Zustände in endlich viele Familien einteilen,» ergänzt Michael Walter.

Auf dem Weg zu Quantentechnologien

Quantensysteme mit mehreren Teilchen könnten in zukünftigen Technologien eine wichtige Rolle spielen. Wissenschaftler haben in den vergangenen Jahren eine ganze Palette von Anwendungen vorgeschlagen und teilweise umgesetzt, die quantenmechanische Eigenschaften dazu nutzen, Dinge zu tun, die im Rahmen der klassischen Physik schlicht unmöglich sind. Solche Anwendungen reichen von abhörsicherem Übermitteln von Nachrichten, über effiziente Algorithmen zum Lösen von Rechenaufgaben bis hin zu Techniken, die das Auflösungsvermögen von fotolithografischen Methoden verbessern. Verschränkte Zustände sind in solchen Anwendungen eine wesentliche Ressource, eben weil sie ein grundlegendes quantenmechanisches Phänomen ohne Gegenstück in der klassischen Physik verkörpern. Geschickt ausgenutzt, öffnen diese komplexen Zustände eine Tür zu neuartigen Anwendungen.

Eine perfekte Paarung

Interessant ist die Querverbindung zwischen quantenmechanischen Zuständen und geometrischen Formen auch vom Gesichtspunkt der mathematischen Methoden, die für dieses Projekt entwickelt wurden. Laut Doran sollten diese auch in anderen Bereichen der Mathematik und Physik Anwendung finden, und darüber hinaus in der theoretischen Informatik. «Normalerweise löst es bei uns reinen Mathematikern etwas Unbehagen aus, wenn jemand aufwendige mathematische Methoden für ein ‹angewandtes› Problem verwenden will, da das konkrete Problem und die Theorie oft zu weit auseinanderliegen», sagt Doran. «In diesem Projekt aber passen die beiden perfekt zusammen und ich sehe ein grosses Potenzial für weitere Projekte dieser Art.»

Die Methode der Verschränkungspolytope ist allerdings mehr als nur ein elegantes mathematisches Konstrukt. Die Forscher haben in ihren Berechnungen gezeigt, dass die Technik auch unter realistischen experimentellen Bedingungen zuverlässig funktionieren sollte. Damit wäre der Weg offen, die neue Methode direkt in denjenigen Systemen einzusetzen, mit denen dereinst die neuartigen Quantentechnologien implementiert werden sollen. Und solche praktische Anwendungen mögen schliesslich auch helfen, die Quantenmechanik etwas besser zu verstehen.

Original: Walter M, Doran B, Gross D, Christandl M: Entanglement Polytopes: Multi-Particle Entanglement from Single-Particle Information. Science, 2013

Media Contact

Claudia Naegeli ETH Zürich

Weitere Informationen:

http://www.ethz.ch

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