Meridianstein der Marburger Sternwarte wiederentdeckt

Schrimpf berichtet über seine Entdeckung am 3. Dezember 2008 in einem Vortrag im Rahmen des Studium generale, der unter dem Titel „Das Maß der Welt und des Universums“ die Beiträge der Marburger Sternwarte im 19. Jahrhundert behandelt.

Ein wesentlicher Fortschritt in der Astronomie des 18. und 19. Jahrhunderts waren die immer präziser werdenden Messungen von Sternpositionen. Um die Zeit der französischen Revolution zogen die Astronomen mit der Absicht aus, die Erde zu vermessen. Das hehre Ziel: Aus dem Erdumfang sollte das Meter als Normmaß für alle Völker der Erde festgelegt werden.

Ein wichtiges Ergebnis: Die Erde ist kein rotationssymmetrischer Körper, kein Ellipsoid! Die geplante Ableitung des Meters aus dem Erdumfang funktionierte leider nicht. Anfang des 19. Jahrhunderts nutzte man die Erfahrungen der Meridianmessung zur Landvermessung. Die Kurhessische Triangulierung wurde von Christian Ludwig Gerling, dem Gründer der Marburger Sternwarte, von 1821 bis 1837 durchgeführt.

Nachdem nun die Erde vermessen war, bemühte man sich, die Größe des Sonnensystems immer präziser zu ermitteln. Die Transits der Venus wurden schon im 17. Jahrhundert als sehr geeignet zur Vermessung des Abstandes Erde-Sonne („Astronomische Einheit“) empfunden, allerdings treten sie paarweise nur etwa alle 120 Jahre auf. Gerling machte den Vorschlag, stattdessen die Stillstandspunkte der Venusbahn präzise zu vermessen.

Als Gerling im Jahr 1841 die Sternwarte am Schlossberg errichtete, schaffte er unter anderem ein so genanntes Passage-Instrument an, ein Spezialteleskop, mit dem man den Durchgang von Sternen durch den Meridian vermessen konnte, also durch den Nord-Süd-Himmelsbogen. Um dieses Gerät ebenso einfach wie sicher justieren zu können, ließ Gerling von 1843 an eine Reihe von steinernen Malen in der Umgebung setzen, an denen das Passage-Instrument ausgerichtet werden konnte. Solche Landmarken, die eine Dezimeterskala tragen, werden als Meridiansteine bezeichnet.

Der mutmaßliche nördliche Peilstein, der anhand von Entfernungs- und Richtungsangaben aus einem Brief Gerlings an seinen Lehrer Gauß und einer Doktorarbeit eines seiner Schüler in einem Waldstück in Wehrda lokalsiert werden konnte, ist in zwei Teile zerbrochen und umgefallen, eine Skala ist auf der oben liegenden Seite nicht zu erkennen. Im Rahmen eines Einsatzes des Technischen Hilfswerkes im November 2008 veranlasste Schrimpf als heutiger Leiter der Gerling-Sternwarte, dass die Fragmente genau inspiziert wurden. Dabei stellte sich heraus, dass es sich bei dem Fund tatsächlich um den Meridianstein der Marburger Sternwarte von 1843 handelt.

Gerlings machte unter anderem einen interessanten Vorschlag zur Bestimmung der Astronomischen Einheit anhand einer Analyse spezieller Eigenschaften der Bewegung des Planeten Venus. wurde 1849 bis 1852 Messungen von einem amerikanischen Astronomen durchgeführt. Die letzte Verbesserung des Wertes der Astronomischen Einheit – mit Messungen dieser Art – wurde bei den Transits 1874/1882 erzielt, unter Beteiligung von Gerlings Schülern und einem Marburger Feinmechaniker!

Dr. Andreas Schrimpf studierte Physik in Marburg und habilitierte sich 1994 mit einem Thema aus der Festkörperphysik. Seit 2002 ist er für die Sternwarte und das Planetarium des Fachbereichs verantwortlich. Beides ist in der astronomischen Allgemeinbildung ein Anliegen, welches schon Christian Ludwig Gerling vehement vertrat.

Studium Generale
o am 3. Dezember 2008 um 20.15 Uhr
o im AudiMax, Biegenstraße 14
o Eintritt frei
Weitere Informationen:
Ansprechpartner: Privatdozent Dr. Andreas Schrimpf
Fachbereich Physik
Tel.: 06421 28-21338
E-Mail: andreas.schrimpf@physik.uni-marburg.de

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Johannes Scholten idw

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