In einem Quantenrennen ist jeder Gewinner und Verlierer zugleich

Das Anwenden des Superpositionsprinzips auf die Bewegung eines Photons kann dieses gleichzeitig in zwei verschiedene Richtungen führen. Copyright: Jonas Schmöle, Fakultät für Physik der Universität Wien

Wenn WissenschafterInnen die Natur mittels physikalischer Gesetze beschreiben, setzen sie oft bei Erfahrungen aus dem Alltag an. In der Quantenwelt allerdings ist unsere herkömmliche Intuition nicht brauchbar. Kürzlich haben PhysikerInnen festgestellt, dass uns die Quantentheorie zwingt, selbst essentielle Konzepte wie z.B. die Ordnung, in der Dinge aufeinanderfolgen, zu hinterfragen.

Das wird an folgendem Beispiel, einem Rennen zwischen zwei Freunden, Alice und Bob, deutlich: Im Alltag wird klarerweise jener Läufer zum Sieger gekürt, der die Ziellinie als erstes überquert. Unser gesunder Menschenverstand sagt uns daher, dass entweder Alice oder Bob gewinnt oder dass es ein Unentschieden gibt. Diese Argumentation ist in der Quantenwelt jedoch nicht immer anwendbar.

Tatsächlich erlaubt es die Quantenmechanik, jedem Läufer in ein- und demselben Rennen zu gewinnen und zu verlieren: Alice könnte die Ziellinie zugleich vor und nach Bob in einer „Quantensuperposition“ erreichen, einer quantenmechanischen Überlagerung. Aber wie gelingt der Nachweis, dass jeder Läufer in Superposition gewonnen hat? Ein Teil der Herausforderung liegt nämlich darin, dass das Rennen laut Quantenmechanik „kollabiert“, sobald wir es beobachten. Das bedeutet, dass wir Alice entweder als Gewinnerin oder Verliererin sehen.

Ein Zeuge für durcheinandergebrachte Abfolgen von Operationen

Eine Gruppe von PhysikerInnen unter der Leitung von Philip Walther an der Universität Wien führte nun eine neue Messung durch, auch „kausaler Zeuge“ genannt, mit welcher es gelingt, Alice dabei zu beobachten, wie sie das Rennen zugleich gewinnt und verliert. Mit der neuen Methode, entwickelt von einer Gruppe um Caslav Brukner, konnten die PhysikerInnen sogar quantitativ bestimmen, bis zu welchem Ausmaß die zwei Situationen tatsächlich in Superposition waren.

Anstatt ein mikroskopisches Quantenrennen abzuhalten, schickten die PhysikerInnen in ihren Experimenten jeweils ein Photon – ein Teilchen aus Licht – in Superposition in zwei verschiedene Richtungen zugleich. Jeder dieser Pfade wurde sodann in unterschiedlichen Reihenfolgen durch zwei verschiedene Quantenoperationen geleitet. Um die Methode des kausalen Zeugen anwenden zu können, entwarfen die PhysikerInnen ein Schema, mit dem sie Information über die Superposition der Reihenfolgen gewinnen konnten, ohne dabei die Superposition zu zerstören.

Dies erreichten sie, indem sie ein anderes Quantensystem verwendeten, um – salopp formuliert – die Fahne zu schwenken, sobald das Photon an einer der Quantenoperationen vorbeikam. Ihr neuer Trick ermöglichte den ForscherInnen Information ausschließlich über die gesamte Superposition und nicht konkret über die Reihenfolge der Operationen auszulesen. Ihre Messresultate bestätigen, dass die Photonen wirklich durch beide Quantenoperationen in zwei verschiedenen Reihenfolgen zugleich hindurchgegangen waren.

Künftige Anwendungen

Die Tatsache, dass die Reihenfolge der Quantenoperationen in eine Quantensuperposition gebracht werden kann, eröffnet der Quantenforschung neue Möglichkeiten. Dies ist bereits an der großen Anzahl von theoretischen Vorschlägen zur Rolle der „kausalen Zusammenhänge“ in der Quantenmechanik erkennbar. Diese Vorschläge in Experimente im Labor zu übertragen ist jedoch eine Herausforderung. „Unsere experimentelle Demonstration ist ein bedeutender Schritt in diesem Gebiet, da sie zeigt, wie Information aus dem Inneren der Quantenprozesse gewonnen werden kann, ohne deren Quantennatur zu zerstören“, so Giulia Rubino, Erstautorin der Studie.

Das nächste Ziel der Gruppe ist es, neue technologische Fortschritte auszunutzen, um Superpositionen von noch komplexeren Prozessen zu schaffen. Dies wird ihnen ermöglichen, tiefere Einblicke in das Zusammenspiel zwischen kausalen Zusammenhängen und Quantenmechanik zu gewinnen. Außerdem ist es ein interessanter Ansatz, um Aufgaben jenseits der Möglichkeiten selbst eines Standard-Quantencomputers mit einer fixen Abfolge von Rechenoperationen zu optimieren.

Publikation in „Science Advances“: „Experimental Verification of an Indefinite Causal Order“, Giulia Rubino, Lee A. Rozema, Adrien Feix, Mateus Araújo, Jonas M. Zeuner, Lorenzo M. Procopio, Caslav Brukner, and Philip Walther Science Advances (2017)
DOI: 10.1126/sciadv.1602589

http://www.univie.ac.at/gruppe-walther/
http://www.vcq.quantum.at

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