Mit Goldlinsen zur Gamma-Optik

Instrumente einer neuen Optik: Diese Goldlinsen brechen Gamma-Strahlung vermutlich viel stärker als Silizium-Linsen, an denen Physiker die Ablenkung der energiereichen elektromagnetischen Wellen erstmals beobachteten. Die Forscher widerlegten damit eine Grundannahme der Physik und öffnen die Perspektive auf zahlreiche Anwendungen in Medizin und Materialforschung. <br>© Dietrich Habs / LMU <br>

Ein neues Kapitel der Optik haben Wissenschaftler der Ludwig-Maximilians-Universität in München und des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik in Garching aufgeschlagen:

Bei Experimenten mit Gammastrahlen am Institut Laue-Langevin (ILL) in Grenoble haben sie nachgewiesen, dass sich diese extrem energiereichen elektromagnetischen Wellen ähnlich wie herkömmliches Licht mit Linsen fokussieren lassen – damit haben die Forscher eine seit Jahrzehnten geltende Grundannahme der theoretischen Physik widerlegt. Ihre Entdeckung wird zahlreiche neue Anwendungen ermöglichen, etwa in der Medizin und der Materialforschung.

Optische Instrumente wie Teleskope und Mikroskope beruhen auf der Brechung von Licht: Die elektromagnetischen Wellen breiten sich in einem Medium wie Glas langsamer aus als in Luft oder im Vakuum und werden darum abgelenkt – beispielsweise auf die Brennebene einer Fotokamera. Wie groß dieser Effekt ist, beschreibt der Brechungsindex, der vom Linsenmaterial und der Frequenz der Wellen abhängt: Je mehr er sich von 1 unterscheidet, desto stärker ist die Ablenkung der Lichtstrahlen.

Bisher gingen die Physiker davon aus, dass sich energiereiche elektromagnetische Strahlung weit oberhalb des sichtbaren Spektrums nicht mit Linsen ablenken lässt. Sie hatten berechnet, dass der Brechungsindex in diesem Bereich des Spektrums für alle Materialien fast genau 1 beträgt. Doch schon Mitte der 1990er-Jahre zeigte sich, dass auch Röntgenstrahlen durch Linsen aus Beryllium oder Kohlenstoff abgelenkt werden und somit eine Röntgenoptik möglich ist. Das Team um Dietrich Habs, der Professor der Ludwig-Maximilians-Universität in München und des Fellow des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik in Garching ist, stellte bei seinen Messungen am ILL fest, dass dies auch für die noch energiereicheren Gammastrahlen gilt – nach der Röntgenoptik beginnt nun also das Zeitalter der Gamma-Optik.

Kurzlebige Elektronen-Positronen-Paare lenken Gammastrahlen ab

„Ich war von den Röntgen-Linsen begeistert“, erinnert sich Habs. „Darum habe ich mich gefragt, ob es etwas Vergleichbares auch im Bereich der Gammastrahlen geben könnte.“ Für seine Versuche nutzte das Team um Habs kein Glas, sondern verwendete zunächst Linsen aus Silizium. „Silizium-Atome haben 14 Protonen in ihrem Kern und erzeugen dort ein sehr starkes elektrisches Feld“, erklärt Dietrich Habs. „In diesem Feld entstehen ständig extrem viele Paare aus Elektronen und Positronen, die zwar nur für kurze Zeit existieren, aber dennoch mit den Gammastrahlen wechselwirken können.“ Diese Delbrück-Streuung ist der Grund für die unerwartete Ablenkung der Gammastrahlen.

Überraschend ist diese Entdeckung tatsächlich: Theoretische Physiker hatten schon vor Jahrzehnten vermeintlich bewiesen, dass der Effekt nicht auftreten kann. Heute ist klar, dass ihre mathematischen Näherungsmethoden bei den starken Feldern in der Nähe der Atomkerne versagen mussten – Aufgabe der Physiker wird darum sein, in Zukunft neue Berechnungsverfahren für diesen Bereich zu entwickeln.

Gammalinsen könnten die Depressions-Therapie und Lithium-Batterien verbessern

Habs hat aber auch konkrete Anwendungen seiner Entdeckung im Blick: „Manisch-depressive Patienten nehmen oft Lithium-Präparate ein – aber niemand weiß, wie genau diese Medikamente im Gehirn wirken“, so der Kernphysiker. „Mit Hilfe von Gammastrahlen und -linsen können wir in Zukunft dreidimensionale Bilder mit einer Auflösung im Mikrometer-Bereich machen und sehen, wo sich das Lithium anreichert und warum es überhaupt auf die Psyche wirkt.“ Auch in Akkus für Notebooks oder Elektrofahrzeuge spielt das Element eine entscheidende Rolle – werden sie überlastet, bilden sich kleine Lithium-Bäumchen, die die Lebensdauer der Energiespeicher drastisch verringern. Diesen Effekt will Habs ebenfalls mit Gammastrahlen detailliert beobachten, um Akkus zu optimieren – ein wichtiger Beitrag für Elektrofahrzeuge mit größeren Reichweiten.

„Aber auch radioaktives Material oder Sprengstoffe lassen sich künftig mit Gammastrahlen-Detektoren auf der Basis unserer Erkenntnisse präzise nachweisen“, glaubt der Forscher. „In der Krebsdiagnostik und -therapie sehe ich ein weiteres Anwendungsgebiet: Wir können neue medizinische Radio-Isotope herstellen, mit denen Ärzte Tumore frühzeitig erkennen und behandeln können.“

Im Sommer wird sein Team weitere Messungen an der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) in Grenoble vornehmen – dieses Mal mit Linsen aus Gold. „Gold hat 79 Protonen im Kern und wird die Gammastrahlen darum noch viel stärker ablenken als Silizium“, erklärt Habs.

Ansprechpartner

Prof. Dr. Dietrich Habs
Ludwig-Maximilians-Universität
Telefon: +49 89 2891-4077
Fax: +49 89 2891-4072
Email: Dieter.Habs@­physik.uni-muenchen.de

Originalveröffentlichung
Dietrich Habs, Marc Günther, Michael Jetschel und Waldemar Urban
Refractive Index of Silicon at γ Ray Energies
Physical Review Letters, 3. Mai 2012; DOI: 10.1103/PhysRevLett.108.184802

Media Contact

Prof. Dr. Dietrich Habs Max-Planck-Gesellschaft

Weitere Informationen:

http://www.mpg.de/5787926/

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Physik Astronomie

Von grundlegenden Gesetzen der Natur, ihre elementaren Bausteine und deren Wechselwirkungen, den Eigenschaften und dem Verhalten von Materie über Felder in Raum und Zeit bis hin zur Struktur von Raum und Zeit selbst.

Der innovations report bietet Ihnen hierzu interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Astrophysik, Lasertechnologie, Kernphysik, Quantenphysik, Nanotechnologie, Teilchenphysik, Festkörperphysik, Mars, Venus, und Hubble.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Bakterien für klimaneutrale Chemikalien der Zukunft

For­schen­de an der ETH Zü­rich ha­ben Bak­te­ri­en im La­bor so her­an­ge­züch­tet, dass sie Me­tha­nol ef­fi­zi­ent ver­wer­ten kön­nen. Jetzt lässt sich der Stoff­wech­sel die­ser Bak­te­ri­en an­zap­fen, um wert­vol­le Pro­duk­te her­zu­stel­len, die…

Batterien: Heute die Materialien von morgen modellieren

Welche Faktoren bestimmen, wie schnell sich eine Batterie laden lässt? Dieser und weiteren Fragen gehen Forschende am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) mit computergestützten Simulationen nach. Mikrostrukturmodelle tragen dazu bei,…

Porosität von Sedimentgestein mit Neutronen untersucht

Forschung am FRM II zu geologischen Lagerstätten. Dauerhafte unterirdische Lagerung von CO2 Poren so klein wie Bakterien Porenmessung mit Neutronen auf den Nanometer genau Ob Sedimentgesteine fossile Kohlenwasserstoffe speichern können…

Partner & Förderer