Einzelnen Atomen beim Zur-Ruhe-Gehen zusehen – "Quantensimulation" in Nature Physics veröffentlicht

Von den Ergebnissen versprechen sich die Wissenschaftler grundlegende Erkenntnisse und Antworten auf wissenschaftlich alte und bedeutsame Fragen. Sie können dadurch beispielsweise klären, wie Systeme, die aus dem Gleichgewicht gebracht wurden, dorthin zurückkommen und wie makroskopische Eigenschaften entstehen – etwa die, eine bestimmte Temperatur zu haben. Die Experimente und zugrundeliegenden Theorien wurden in der jüngsten Ausgabe der renommierten Zeitschrift Nature Physics veröffentlicht.

Das neue Experiment wurde von der Arbeitsgruppe um Immanuel Bloch am Max-Planck-Institut für Quantenoptik vorgenommen; unterstützt wurde es von neuen analytischen Überlegungen und numerischen Rechnungen auf Supercomputern durch die Gruppen von Uli Schollwöck an der LMU München und Jens Eisert an der Freien Universität Berlin. Ergebnis sind erste Daten zu stark korrelierten einzelnen Atomen in optischen Gittern, die geschickt aus ihrem Gleichgewichtszustand gestoßen wurden.

Atome sind die Grundbausteine der Materie. Alle Dinge, die uns umgeben, sind aus diesen kleinsten Teilchen aufgebaut. Mit dem bloßen Auge sehen können wir sie freilich nicht: Mit einer Größe eines Zehnmillionstel Millimeters sind sie sogar viel kleiner als die Wellenlänge des sichtbaren Lichts. In Festkörpern sind diese Teilchen meist in regelmäßigen Strukturen angeordnet, in Gasen schwirren sie wild durcheinander. In allen Aggregatzuständen hat man aber in makroskopischen Objekten immer mit einer dermaßen großen Anzahl solcher Atome zu tun, dass über viele Jahrzehnte das Experimentieren mit einzelnen solcher Atome undenkbar und geradezu absurd erschien.

Erst neue Experimente haben diese Situation radikal geändert. Insbesondere erlauben sogenannte optische Gitter das Aufreihen einzelner Atome in Strukturen, die im Prinzip genau so aussehen wie in einem normalen Festkörper: Nur kann man in einer solchen Situation im Labor sehr genau die Eigenschaften dieser einzelnen zusammenspielenden Atome genau bestimmen und beobachten. Optische Gitter kann man sich wie einen Eierkarton aus Licht vorstellen: Für die neuen Experimente setzten die Wissenschaftler Laserlicht auf eine Weise ein, dass die Atome gewissermaßen eine periodische Muldenlandschaft vorfanden: In jede dieser Mulden konnten sie – einem Ei gleichend – ein einzelnes Atom setzen. Einmal in einer solchen Struktur gefangen, verhielten sich die Atome wie in einem natürlichen Material. Allerdings konnten mit diesen Atomen in künstlichen Strukturen weitaus genauere Messungen vorgenommen werden, als dies in einem „natürlichen“ Festkörper auch nur entfernt vorstellbar ist. Und so eröffnen sich Wissenschaftlern ungeahnte neue Möglichkeiten, Fragen vom konzertierten Zusammenspiel vieler Atome zu klären.

Diese Fragen sind umso spannender, weil die Naturgesetze, die auf der Größenskala der Atome gelten, sogenannte „Quantengesetze“ sind. In dieser Welt der sogenannten Quantenmechanik gelten oft sehr andere Regeln als die, die wir aus der Alltagswelt kennen. Sie sind oft nicht intuitiv und zuweilen paradox. Selbst von dem genauen Ort eines Atoms zu sprechen, ergibt in aller Regel keinen Sinn.

Zwar sind Eigenschaften wie „Temperatur“ auf der Makroskala, wie wir sie kennen, natürlich gang und gäbe. Doch auf der Mikroskala ist die Temperatur gar nicht ohne Weiteres erklärt, und die fundamentalen Grundgleichungen der Physik definieren den Begriff der Temperatur nicht einmal. In dem nun vorgestellten Experiment sieht man zeitaufgelöst durch sehr genaue Messungen, wie komplexe Quantensysteme ins Gleichgewicht kommen, wie Temperatur entsteht, und wie das „typisch Quantische“ in stark korrelierten Vielteilchensystemen mit der Zeit verloren geht. Man sieht, wie durch Wechselwirkung miteinander – aber ohne ein äußeres Bad, das eine Temperatur vorgibt – Gleichgewichtszustände gewissermaßen von selbst entstehen. Einzelnen Atomen kann man so zusehen, wie sie zur „Ruhe kommen“.

Das nun in Nature Physics veröffentlichte Experiment und die Theorie dazu ist auch aus der Sicht der Diskussion über Supercomputer interessant: Denn um die Dynamik der wechselwirkenden Vielteilchensysteme nachzuvollziehen, muss man Superrechner derzeit mehrere Wochen laufen lassen, und man stößt an die Grenzen des bisher Machbaren. So kann man für kurze Zeiten gerade noch die Dynamik verstehen. Für lange Zeiten ist das Experiment aber weit leistungsfähiger als die klassische Simulation – und stellt so eine „Quantensimulation“ dar. So kann man in der Tat neue Fragen über die Natur beantworten. Aber nicht, indem man bisher zugängliche Simulationen mit Superrechnern macht – die ja den Gesetzen der klassischen Physik genügen. Sondern indem man genau im Labor kontrollierte komplexe Quantensysteme im Experiment befragt. Im Labor wird die Natur nachgestellt.

Weitere Informationen
Jens Eisert, Professor am Dahlem Center for Complex Quantum Systems der Freien Universität Berlin, E-Mail: jense@physik.fu-berlin.de, Telefon: 030 / 838-55531

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