Das VLT entdeckt unerwarteterweise riesige leuchtende Halos um ferne Quasare

Dieses Mosaik zeigt 18 der 19 von einem internationalen Astronomenteam unter der Leitung der ETH Zürich in der Schweiz beobachteten Quasare. Jeder beobachtete Quasar ist von einem hellen gasförmigen Halo umgeben. Zum ersten Mal zeigt eine Untersuchung von Quasaren solch hellen Halos um alle beobachteten Quasare. Die Entdeckung gelang mit dem MUSE-Instrument am Very Large Telescope der ESO. Herkunftsnachweis: ESO/Borisova et al.

Dank des einzigartigen Auflösungsvermögens des Instruments MUSE am Very Large Telescope (VLT) am Paranal-Observatorium der ESO gelang es einer internationalen Kollaboration aus Astronomen unter der Leitung der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) in der Schweiz und mit Beteiligung des Leibniz-Instituts für Astrophysik in Potsdam, Gas um ferne aktive Galaxien zu untersuchen.

Aufgrund der großen Entfernung und der Dauer, die das Licht braucht, um zu uns zu gelangen, sehen wir diese Objekte zu einem Zeitpunkt, in dem das Universum noch nicht einmal 2 Milliarden Jahre alt war. Diese aktiven Galaxien, die als Quasare bezeichnet werden, beherbergen supermassereiche Schwarze Löcher in ihren Zentren, die ununterbrochen große Mengen an Sterne, Gas und anderes Material verschlucken. Das wiederum führt dazu, dass ihr galaktisches Zentrum riesige Mengen an Strahlung emittiert, wodurch Quasare zu den leuchtkräftigsten und aktivsten Objekten im Universum gehören.

Untersucht wurden 19 der hellsten mit MUSE beobachtbaren Quasare. Frühere Beobachtungen haben gezeigt, dass etwa 10% aller untersuchten Quasare von Halos umgeben sind, die aus Gas bestehen, das als intergalaktisches Medium bezeichnet wird. Diese Halos erstrecken sich bis zu einer Entfernung von 300.000 Lichtjahre vom Zentrum des Quasars.

Statistisch erwarteten die Wissenschaftler bei 19 untersuchten Quasaren zwei Halos – umso überraschter waren sie, als sie um alle beobachteten Quasare große Halos entdeckten. Den Grund hierfür sehen sie in den großen Fortschritten beim Auflösungsvermögen von MUSE im Vergleich zu früheren ähnlichen Instrumenten, jedoch sind noch weitere Beobachtungen notwendig, um diese Vermutung zu bestätigen.

Es ist noch zu früh, um sagen zu können, dass unsere neue Beobachtungstechnik der Grund dafür ist, oder ob es irgendetwas Besonderes an den Quasaren in unserer Stichprobe gibt. Wir können also noch viel lernen; wir sind noch ganz am Anfang einer neuen Ära an Entdeckungen“, meint Erstautorin Elena Borisova von der ETH Zürich.

Das ursprüngliche Ziel der Untersuchung war die Analyse der gasförmigen Bestandteile des Universums auf den größtmöglichen Skalen: Eine Struktur, die manchmal als kosmisches Netz bezeichnet wird, in der Quasare helle Knoten bilden [1]. Die gasförmigen Bestandteile dieses Netzes sind normalerweise extrem schwer zu erkennen, weshalb die leuchtenden Halos aus Gas, die den Quasar umgeben, eine fast einmalige Möglichkeit bieten, das Gas innerhalb dieser großskaligen kosmischen Struktur zu untersuchen.

Die 19 neu entdeckten Halos brachten auch noch eine andere Überraschung ans Licht: sie bestehen aus relative kaltem intergalaktischem Gas – mit einer Temperatur von ungefähr 10.000°C. Diese neue Erkenntnis steht in starkem Widerspruch zu bisher geläufigen Modellen über die Struktur und Entstehung von Galaxien, die voraussagen, dass Gas in solch unmittelbarer Nähe zu Galaxien Temperaturen von einer Millionen Grad und mehr besitzen müsste.

Die Entdeckung zeigt das Potential des Instruments für die Beobachtung von Objekten dieses Typs [2]. Ko-Autor Sebastiano Cantalupo freut sich sehr über die Möglichkeiten, die das neue Instruments bietet: „Wir haben für unsere Beobachtungen die besonderen Fähigkeiten von MUSE vollständig ausnutzen können, und damit den Weg für zukünftige Durchmusterungen geebnet. Zusammen mit einer neuen Generation an theoretischen und numerischen Modellen wird dieser Ansatz auch in Zukunft Einblicke in die Entstehung kosmischer Strukturen und Entwicklung von Galaxien bieten.

[1] Das kosmische Netz ist die Struktur des Universums auf der größten Skala. Es beinhaltet spindeldürre Fäden aus Urmaterie (hauptsächlich Wasserstoff- und Heliumgas) und dunkler Materie, die Galaxien untereinander verbindet und den Raum dazwischen füllt. Die Materie in diesem Netz kann entlang der Fäden in die Galaxien hineinführen, was dazu führt, dass sie wachsen und sich entwickeln.

[2] MUSE ist ein Feldspektrograf und verbindet spektrografische und bildgebende Fähigkeiten. Es kann große astronomische Objekte in deren Gesamtheit beobachten und für jeden Pixel die Lichtintensität als Funktion der Farbe oder Wellenlänge messen.

Die hier vorgestellten Ergebnisse sind Inhalt des Fachartikels „Ubiquitous giant Lyα nebulae around the brightest quasars at z ~ 3.5 revealed with MUSE“, der demnächst in der Zeitschrift Astrophysical Journal erscheint.

Die beteiligten Wissenschaftler sind Elena Borisova, Sebastiano Cantalupo, Simon J. Lilly, Raffaella A. Marino and Sofia G. Gallego (Institut für Astronomie, ETH Zürich, Schweiz), Roland Bacon und Jeremy Blaizot (University of Lyon, Centre de Recherche Astrophysique de Lyon, Saint-Genis-Laval, Frankreich), Nicolas Bouché (Institut de Recherche en Astrophysique et Planétologie, Toulouse, Frankreich), Jarle Brinchmann (Sterrewacht Leiden, Niederlande; Instituto de Astrofísica e Ciências do Espaço, Porto, Portugal), C Marcella Carollo (Institut für Astronomie, ETH Zürich, Schweiz), Joseph Caruana (Department of Physics, University of Malta, Msida, Malta; Institute of Space Sciences & Astronomy, University of Malta, Malta), Hayley Finley (Institut de Recherche en Astrophysique et Planétologie, Toulouse, Frankreich), Edmund C. Herenz (Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam), Johan Richard (Univ Lyon, Centre de Recherche Astrophysique de Lyon, Saint-Genis-Laval, Frankreich), Joop Schaye and Lorrie A. Straka (Sterrewacht Leiden, Niederlande), Monica L. Turner (MIT-Kavli Center for Astrophysics and Space Research, Massachusetts Institute of Technology, Cambridge, Massachusetts, USA), Tanya Urrutia (Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam), Anne Verhamme (University of Lyon, Centre de Recherche Astrophysique de Lyon, Saint-Genis-Laval, Frankreich), Lutz Wisotzki (Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam).

Die Europäische Südsternwarte (engl. European Southern Observatory, kurz ESO) ist die führende europäische Organisation für astronomische Forschung und das wissenschaftlich produktivste Observatorium der Welt. Getragen wird die Organisation durch 16 Länder: Belgien, Brasilien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, die Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Spanien, Schweden, die Schweiz und die Tschechische Republik. Die ESO ermöglicht astronomische Spitzenforschung, indem sie leistungsfähige bodengebundene Teleskope entwirft, konstruiert und betreibt. Auch bei der Förderung internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Astronomie spielt die Organisation eine maßgebliche Rolle. Die ESO verfügt über drei weltweit einzigartige Beobachtungsstandorte in Chile: La Silla, Paranal und Chajnantor. Auf dem Paranal betreibt die ESO mit dem Very Large Telescope (VLT) das weltweit leistungsfähigste Observatorium für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren Lichts und zwei Teleskope für Himmelsdurchmusterungen: VISTA, das größte Durchmusterungsteleskop der Welt, arbeitet im Infraroten, während das VLT Survey Telescope (VST) für Himmelsdurchmusterungen ausschließlich im sichtbaren Licht konzipiert ist. Die ESO ist einer der Hauptpartner bei ALMA, dem größten astronomischen Projekt überhaupt. Auf dem Cerro Armazones unweit des Paranal errichtet die ESO zur Zeit das European Extremely Large Telescope (E-ELT) mit 39 Metern Durchmesser, das einmal das größte optische Teleskop der Welt werden wird.

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Dies ist eine Übersetzung der ESO-Pressemitteilung eso1638.

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