Prof. Dr. Andreas Kleinert
Vortrag zum Briefwechsel zwischen Philipp Lenard und Johannes Stark an der FH Aalen
Wo man ungezwungen vom schwäbischen Tüftlergeist und der französischen Küche spricht, nimmt sich so etwas wie eine deutsche Physik schon merkwürdig aus. Gelten doch in Paris dieselben Naturgesetze wie in Aalen. Und dennoch gab es eine Zeit, in der die Deutsche Physik propagiert wurde. Aus dieser Zeit berichtete Prof. Dr. Andreas Kleinert von der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg an der Fachhochschule Aalen.
Die Deutsche Physik, so der Titel eines vierbändigen Grundlagenwerkes zur Physik aus dem Jahre 1936 von Philipp Lenard, wurde in Anschlag gebracht gegen eine sich ausbreitende vermeintlich jüdische Physik. Wenige Jahre nach der Erscheinung von Lenards Werk gaben die beiden Physiker Wilhelm Müller und Johannes Stark ein Heftchen mit dem Titel ’Jüdische und Deutsche Physik’ heraus. Wetterte Lenard im Vorwort seiner Deutschen Physik gegen die Relativitätstheorie, so lässt Stark in seinem Beitrag an der Quantentheorie kein gutes Haar. Lenard ereifert sich in seinem Vorwort dazu, den Juden jedes Verständnis von Wahrheit abzusprechen und sie als ungeeignet für die wissenschaftliche "Wirklichkeitsbegründung und Wahrheitssuche" zu halten. Ihre Unfähigkeit zu wissenschaftlichem Denken verdeckten die Juden glänzend hinter undurchsichtigen Rechenkünsten. Diese Rechenkünste von abgehobenem Geiste schrieb Stark einer dogmatischen Physik zu, die im Gegensatz zur pragmatischen Physik nur ein geringes Interesse an der Erfahrung habe und sich in abstrakten Theoriegebäuden häuslich bequem einrichtete. Wohingegen die pragmatische Physik die harte und geduldige Laborarbeit nicht scheue und jede Hypothese dem strengen Test einer Beobachtung unterziehe. Derart verwandt in der wissenschaftlichen Auffassung publizierten die beiden Nobelpreisträger im Jahr 1924 einen Aufsatz unter dem Titel "Hitlergeist und Wissenschaft", in dem sie der Hoffnung Ausdruck verliehen, mit der nationalsozialistischen Bewegung werde auch in Deutschlands Universitäten ein neuer Geist einziehen. Lange vor und nach dieser Publikation entspann sich ein ausgedehnter Briefwechsel zwischen Stark und Lenard, aus dem Kleinert ausschöpfend berichtete.
Er stellte klar, dass die Deutsche Physik keinesfalls eine Erfindung der Nationalsozialisten sei, sondern nach dem ersten Weltkrieg begrifflich in Frankreich geprägt wurde. Pikanterweise wollte man dort polemisch mit der Deutschen Physik gerade die von den späteren Vertretern der Deutschen Physik angefeindete Relativitätstheorie und Quantenmechanik bezeichnen und diskreditieren. Es spricht für diese Theorien, dass sie sich trotz der grenzüberschreitenden Anfeindungen letztlich durchgesetzt haben.
Im Gegensatz zu Starks Atomtheorie, die als ein Gegenentwurf zu Sommerfeldts quantentheoretischer Beschreibung der Atome gedacht war und sich nie durchsetzen konnte. Selbst der verbündete Lenard zeigte kein fachliches Interesse an Starks Theorie vom axialen Aufbau der Atome. Seit er ohne sein Verschulden öffentlich mit dem Antisemitismus in Zusammenhang gebracht wurde und von Einstein daraufhin die wissenschaftliche Kompetenz auf seinem Fachgebiet abgesprochen bekam, fielen für Lenard Relativitätstheorie und Antisemitismus zusammen. Stand Stark mit seinen Ideen und Experimenten ziemlich alleine da, so verbreite sich Lenards 1200 Seiten umfassendes Werk stark. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg war es als wissenschaftliches Kompendium geschätzt und wurde in späteren Auflagen allein um sein Vorwort verkürzt.
Konsterniert musste Stark 1933 in einem Brief an Lenard feststellen, dass die an Hitler geknüpften Hoffnungen enttäuscht wurden. Entgegen der frommen Erwartung entpuppte sich der selbsternannte Größte Feldherr aller Zeiten nicht als Mann der Wissenschaft, ja nicht einmal als Unterstützer der Deutschen Physik. So stand sie auch unter der Herrschaft des Nationalsozialismus reichlich isoliert da und wurde von den gleichgeschalteten Medien nahezu ignoriert. Was Stark wiederum zwang, seine Ansichten der Deutschen Physik in englischsprachigen Organen wie ’nature’ zu veröffentlichen, welche Lenard wiederum als durch und durch jüdisch ansah. Hatte dieser den Antisemitismus tief verinnerlicht, gebrauchte Stark "jüdisch" größtenteils als Schmähbegriff, um letztlich die Anerkennung seiner Forschungen zu befördern. Wo er schändlich mit einer Geisteshaltung focht, sah Lenard theoretische Missbildungen, die tief im Blute einer Rasse wurzelten. Über vierzig Jahre korrespondierten zwei hochgelehrte Nobelpreisträger aneinander vorbei, getragen vom gemeinsamen Wunsch, die scientific community nach ihren Vorstellungen einzurichten.
Dr. Marc Dressler | idw
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