Astrophysik: Geisterhafte Teilchen aus dem All

Sind Sie schon einmal von einem Neutrino getroffen worden? Sie würden es allerdings nicht spüren und es ist nicht beweisbar. Denn Neutrinos aus dem Weltall durchfliegen ungehindert die ganze Erdkugel, fast ohne Spuren zu hinterlassen. Einrichtungen der Helmholtz-Gemeinschaft widmen sich im Rahmen großer internationaler Projekte der schwierigen Aufgabe, Neutrinos und andere Elementarteilchen aus dem All zu erforschen. Die Wissenschaftler begeben sich in das Eis des Südpols oder in die Pampa Argentiniens, um den Elementarteilchen Antworten auf grundlegende Fragen zu entlocken. Zum Beispiel: Wie ist die Welt entstanden? Und woraus besteht sie?

Grundlegende Fragen untersuchen

Die Erde steht unter Beschuss. Durchschnittlich 700 Kernteilchen pro Sekunde treffen auf jeden Quadratmeter Erdoberfläche. Manche von ihnen waren seit Millionen von Jahren im All unterwegs. Ihre Herkunft und Zusammensetzung könnten Auskunft geben über zentrale Fragestellungen der Physik. Denn das gesamte Universum ist aus Elementarteilchen aufgebaut. Ihr Zusammenspiel wird durch die vier Naturkräfte bestimmt (starke und schwache Wechselwirkung, elektromagnetische Kraft und Gravitation). Es ist allerdings bislang nicht gelungen, eine umfassende physikalische Theorie zu formulieren, die alle vier Naturkräfte vereint. Die weitere Erforschung der Elementarteilchen ist also von zentraler Bedeutung um zu erkennen, was eigentlich „die Welt im Innersten zusammenhält“, wie Goethe seinen Faust fragen ließ.

Der Riesen-Eiswürfel

Unter den Teilchen, die uns aus dem All erreichen, sind die Neutrinos besonders schwer zu fangen. Sie werden sehr wahrscheinlich in kollidierenden Galaxien, in Pulsaren oder in der Umgebung von schwarzen Löchern erzeugt. Sie lassen sich auf ihrem Weg durch den Weltraum weder von der Schwerkraft von Materie noch von Magnetfeldern ablenken. Um derart geisterhafte Teilchen nachzuweisen, sind Detektoren von gewaltigen Ausmaßen nötig. Sie müssen besonders gut vor jeder anderen möglichen Strahlung geschützt sein, die sonst die kaum wahrnehmbare Spur der Neutrinos verschleiern würde. Darum sind die Messinstrumente des Antarctic Muon and Neutrino Detector Array (AMANDA) kilometertief in das Eis des Südpols eingelassen. AMANDA, an dem das Deutsche Elektronen-Synchrotron (DESY), ein Zentrum der Helmholtz-Gemeinschaft, maßgeblich beteiligt ist, sucht sozusagen „durch die Erde hindurch“ den Nordhimmel nach Neutrinos ab.

Derzeit wird AMANDA zu einem ein Kubikkilometer großen IceCube-Teleskop ausgebaut. Dabei kooperieren knapp 30 Forschungseinrichtungen aus den USA, Deutschland, Schweden, Belgien, den Niederlanden, Großbritannien, Japan und Neuseeland. 1300 der 4200 Basketball-großen gläsernen Licht-Detektoren für IceCube werden von DESY in Zeuthen gebaut und getestet. Sechzig von ihnen wurden im Januar 2005 erfolgreich installiert – bis 2010 soll der Gesamtdetektor fertig gestellt sein. Während das IceCube-Projekt den Marsch auf seine Zielmarke von einem Kubikkilometer Detektorvolumen begann, wurde der allererste Detektor dieses Typs, das ebenfalls von DESY mit betriebene Baikal Neutrino-Teleskop im sibirischen Baikalsee, im März 2005 erheblich erweitert.

Neutrinos hören?

Als wäre der Nachweis von Neutrinos an und für sich noch nicht schwierig genug, erkunden die DESY-Wissenschaftler eine noch ausgefallenere Methode: Sie versuchen, den kaum hörbaren Knall nachzuweisen, der bei den Stoßprozessen extrem energetischer Neutrinos erzeugt wird. Der Vorteil: Schall wird in Eis und Wasser weniger gedämpft als Licht, man kann ihn wahrscheinlich über mehrere Kilometer hinweg registrieren. Mit einigen wenigen, weit voneinander aufgehängten Mikrofonen könnte man so – vielleicht! – ein hundert Kubikkilometer großes „Ohr“ zu geringen Kosten bauen. 90 Enthusiasten aus aller Welt trafen sich Ende Mai bei DESY in Zeuthen zu einem Workshop, um ihre Erfahrungen bei der Entwicklung von Akustik- und Radio-Detektoren auszutauschen. Sie arbeiten darauf hin, innerhalb einer Dekade mit dem Bau solcher Riesen-Neutrinofänger zu beginnen.

Der neue Weg: Radioteleskopie

Auch für die Erforschung in anderen Bereichen der Astroteilchenphysik arbeiten Helmholtz-Wissenschaftler an neuen Methoden. Das Projekt LOFAR PrototypE Station (LOPES) lotet die Möglichkeiten der neuartigen digitalen Radioteleskopie aus. Die LOPES-Antennen stehen im Helmholtz-Forschungszentrum Karlsruhe auf einem Feld, das einen halben Quadratkilometer umfasst, direkt zwischen fast 300 Schutzhütten für die Teilchendetektoren eines weiteren Projekts: Das Karlsruhe Shower Core and Array Detector (KASCADE-Grande) misst die „Luftschauer“ der sekundären Partikel, die die kosmischen Teilchen beim Zusammenstoß mit der Erdatmosphäre auslösen.

Die Nachbarschaft beider Projekte hat einen guten Grund: Der Vergleich der Erkenntnisse aus dem bereits gut verstandenen KASCADE-Projekt mit den LOPES-Messergebnissen hilft, die neuartigen Daten der Radioteleskope zu interpretieren. Der Radionachweis kosmischer Teilchen könnte ein ganz neues Fenster in den Kosmos öffnen. Erste Ergebnisse aus der LOPES-Forschung haben die Karlsruher Wissenschaftler kürzlich in der internationalen Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht. LOPES ist der Prototyp für das neuartige europäische Radioteleskop Low-Frequency Array (LOFAR), das in Zukunft mit zahlreichen Antennen in den Niederlanden und Nordrhein-Westfalen die Radiostrahlung von Astroteilchen messen soll.

Im Zickzack durch das All

Diese Astroteilchen sind überwiegend Protonen sowie schwerere Atomkerne von Helium bis Eisen. Beinahe alle chemischen Elemente kommen vor. Zumindest zum Teil scheinen sie bei Sternenexplosionen, so genannten Supernovae, freigesetzt zu werden, erklärt Prof. Dr. Johannes Blümer, Sprecher des Helmholtz-Forschungsprogramms Astroteilchenphysik und Leiter des Institutes für Kernphysik am Forschungszentrum Karlsruhe. Im Gegensatz zu Neutrinos sind diese Teilchen elektrisch geladen. Sie werden von den Magnetfeldern der Milchstraße immer wieder abgelenkt und bleiben für einige Millionen Jahre in einem Zickzackkurs durch das All gefangen, bis sie schließlich entkommen. „Darum sagt die Richtung, aus der sie zufällig auf die Erde treffen, leider nichts über ihre Herkunft aus“, erklärt Blümer.

Besonders die energiereichen dieser Teilchen sind alles andere als leicht nachzuweisen. Astroteilchen werden nämlich umso seltener, je mehr Energie in ihnen steckt. Im Extremfall entfällt pro Jahrhundert nur eines auf einen Quadratkilometer der Erdoberfläche. Die Energie von Astroteilchen messen Wissenschaftler in Elektronvolt. Ein Lichtteilchen, ein Photon, aus dem Bereich des sichtbaren Lichts der Sonne ist beispielsweise mit etwa ein bis zwei Elektronvolt unterwegs. Demgegenüber steckt in den Teilchen der kosmischen Strahlung eine Bewegungsenergie bis zu 1020 Elektronvolt – etwa zehn Millionen Mal mehr, als selbst die modernsten Teilchenbeschleuniger auf der Erde erzeugen können.

Nach den energiereichsten Partikeln wird das Pierre-Auger-Observatorium in Argentinien suchen, das zurzeit in der argentinischen Pampa, etwa 1000 Kilometer westlich von Buenos Aires entsteht. 54 Forschungseinrichtungen aus 15 Nationen sind an diesem weltweit größten Messfeld für die Untersuchung besonders energiereicher Strahlung aus dem Weltraum beteiligt. „Wir haben den stärksten Anteil am Pierre Auger-Observatorium“, beschreibt Prof. Dr. Johannes Blümer die Rolle des FZK: ein weiteres Beispiel für die wichtigen Beiträge von Helmholtz-Einrichtungen zur internationalen Grundlagenforschung mit Astroteilchen.

Media Contact

Prof. Dr. Johannes Blümer Helmholtz-Gemeinschaft

Weitere Informationen:

http://www.helmholtz.de

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