Protonen – alles dreht sich um den Spin

Viele Elementarteilchen rotieren wie ein Kreisel um die eigene Achse. Im Gegensatz zu Kreiseln hat dieses als Spin bezeichnete Drehmoment aber fundamentalen Einfluss auf die Eigenschaften des Elementarteilchens ­ und damit auf unsere Welt. So wird aufgrund von quantenphysikalischen Zusammenhängen das magnetische Moment von Protonen ebenso wie der Zusammenhalt des Universums vom Spin beeinflusst. Eine wahrhaft fundamentale Kraft also. Umso bedenklicher, dass die Ursache von 30 Prozent des Spins von Protonen experimentell nicht zu erklären ist.

SPIN DOCTOR
Dr. Steven Bass, Institut für Theoretische Physik der Universität Innsbruck und Mitarbeiter am CERN (Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire), hat nun den Wissensstand über diese Diskrepanz in einem Buch zusammengefasst.

Neben 1000 theoretischen Veröffentlichungen hat er dazu auch die Ergebnisse eines weltweiten Forschungsprogramms zusammengetragen, das an den Teilchenbeschleunigern von CERN, vom Deutschen Elektron-Synchrotron (DESY), vom Brookhaven National Laboratory (BNL), vom Jefferson Laboratory (JLab) und vom Stanford Linear Accelerator Center (SLAC), durchgeführt wird.

Dr. Bass zum „missing spin“ der Protonen: „Protonen sind aus den Elementarteilchen Quarks und Gluonen aufgebaut. Wobei drei Quarks pro Proton von den Gluonen zusammengehalten werden. Wie die Protonen haben auch die Quarks und Gluonen einen eigenen Spin. Der Spin des Protons ergibt sich dabei aus dem Spin seiner Bestandteile. So erklären gängige Modelle, dass 60 Prozent des Spins der Protonen vom Spin der Quarks stammen müssen. Der Rest würde von anderen Bewegungen der Quarks innerhalb des Protons verursacht werden. Doch Experimente an einigen der leistungsstärksten Teilchenbeschleunigern der Welt kommen zu dem Ergebnis, dass maximal 30 Prozent des Spins der Protonen vom Spin der Quarks stammen. Wo kommt also der Rest her?“

Um genau diese Frage zu klären, wurde nicht nur das erwähnte globale Forschungsprogramm begonnen, sondern es wurden auch in zahlreichen Veröffentlichungen Berechnungen angestellt. Diese Anstrengungen liefern nun erste Ergebnisse, die Dr. Bass in seinem Buch zusammengefasst hat.

HYPOTHESE: MESSUNG FALSCH!
Diese Ergebnisse führten zunächst zu der Überlegung, dass die Diskrepanz in Wirklichkeit auf Messungsungenauigkeiten zurückzuführen sei ­ also gar keine wirkliche Diskrepanz darstellt. Der Gedanke dahinter: Der Spin der Gluonen ­ jene Partikel, die zum Zusammenhalt der Quarks beitragen ­ schirmt in Abhängigkeit seiner Polarisation den Spin der Quarks ab. Das würde dessen Messung beeinflussen und in der Folge zur Verzerrung der Berechnung führen.

Doch schon bald lieferten andere Experimente Daten, die dieser These widersprachen. Diesen zufolge ist die Polarisation der Gluonen nicht stark genug, um die „fehlenden“ 30 Prozent des Spins der Quarks zu erklären. In naher Zukunft aber werden Berechnungen von noch genaueren Messungen verfügbar sein und neue Erkenntnisse liefern ­ oder bestehende widerlegen.

Unser bisheriges Verständnis darüber, was Protonen ­ oder aber das Universum ­ zusammenhält, wird somit immer häufiger in Frage gestellt. So kommt für Dr. Bass, der gleichzeitig ein thematisch verwandtes FWF-Projekt leitet, seine Buchpublikation zum richtigen Zeitpunkt: „Die Ergebnisse neuer und immer genauerer Messungen müssen im Licht des aktuellen Wissensstands beurteilt werden. Mit diesem Werk hoffe ich dazu beitragen zu können.“

Buchreferenz: The Spin Structure of the Proton. By Steven D. Bass, Publisher World Scientific, ISBN 978-981-270-9479.

Wissenschaftlicher Kontakt:
Dr. Steven Bass
Universität Innsbruck
Institut für Theoretische Physik
6020 Innsbruck
M +43 / 676 / 316 93 82
E Steven.Bass@uibk.ac.at
Der Wissenschaftsfonds FWF:
Mag. Stefan Bernhardt
Haus der Forschung
Sensengasse 1
1090 Wien
T +43 / 1 / 505 67 40 – 8111
E stefan.bernhardt@fwf.ac.at

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