Stuttgarter Know-how für die Expo 2010 – Wissenschaftler entwickeln Antrieb für interaktives Pendel

Das Pendel ist Kernstück der sogenannten Energiezentrale des Pavillons, der unter dem Motto „balancity – Stadt in Balance“ steht und vor allem Lösungen made in Germany zur Gestaltung des urbanen Lebens in der Zukunft präsentiert.

An einer dünnen Stange befindet sich eine interaktive Kugel mit einen Durchmesser von drei Metern, die mit fast 400.000 LED-Leuchten besetzt ist. Über einen in die Decke des Pavillions integrierten Antrieb wird das rund 1,2 Tonnen schwere und 5,6 Meter lange Pendel zu großen Schwing- und Kreisbewegungen angeregt.

Der Antrieb darf dabei nur sehr kleine Horizontalbewegungen ausführen, um den Eindruck eines sich frei bewegenden Pendels zu vermitteln. Die Besucher können die Kugel über Akustiksignale zum Schwingen bringen und sogar die Richtung des Pendelausschlags beeinflussen. Wissenschaftler der Universität Stuttgart haben in Zusammenarbeit mit der Stuttgarter Eventagentur Milla und Partner ein spezielles Antriebskonzept entwickelt, das dafür sorgt, dass das Pendel zuverlässig in die gewünschte Bewegung versetzt und wieder sicher abgebremst wird. Und während die Kugel schwingt und kreist, sehen die Besucher darauf Bilder und Filme aus Deutschland zum Generalthema der EXPO: „Better city, better life“.

„Das war schon eine Herausforderung, als Milla und Partner bei uns anfragte, ob es überhaupt möglicht sei, solch ein Pendel in der gewünschten Form in Bewegung zu versetzen und ob wir das Regelungs- und Antriebskonzept entwickeln könnten“, berichtet Prof. Peter Eberhard vom Institut für Technische und Numerische Mechanik (ITM). „Nach ersten Modellrechnungen und Simulationen war klar: Die Aufgabe ist schwierig, aber lösbar“, erzählt Robert Seifried, der sich als Juniorprofessor im Rahmen des Exzellenzclusters Simulation Technology am ITM unter anderem mit der Regelung und Optimierung von elastischen Mehrkörpersystemen, etwa bei Roboterarmen in Leichtbauweise befasst.

Ehrgeiziger Zeitplan
Aufgrund des ehrgeizigen Zeitplans – die Stuttgarter Forscher hatten knapp eineinhalb Jahre Zeit – musste der gesamte Entwicklungsprozess simulationsgestützt ablaufen. Dafür konnten Eberhard und Seifried weitere Partner an der Universität Stuttgart gewinnen. Die Konstruktion und Lebensdauerberechnung der Pendelstange war Aufgabe des Instituts für Maschinenelemente unter Leitung von Prof. Bernd Bertsche. Die besondere Herausforderung lag in der Auswahl eines geeigneten Konzepts, das die komplexen Anforderungen erfüllen konnte. Die Pendelkonstruktion sollte betriebssicher sein und über den gesamten Zeitraum der Expo zuverlässig und wartungsfrei arbeiten; gleichzeitig sollte die Gestaltung so unauffällig wie möglich sein, um den Eindruck einer frei schwebenden Kugel hervorzurufen.

Die Fragestellung, wie sich die vom ITM entwickelten komplexen Regelungsalgorithmen zuverlässig in eine Steuerung umsetzen lassen, welche elektromechanischen Antriebskonzepte und welche Sensorik für das Projekt geeignet sein könnten, bearbeitete das Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen (ISW) unter Prof. Alexander Verl. Eine besondere Anforderung war es nach Alexander Hafla vom ISW dabei, eine neuartige Anlage zu entwerfen, die über sechs Monate und über 14.000 Vorstellungen reibungsfrei und sicher funktionieren muss, ohne dass für die Auslegung ein vergleichbares System zur Verfügung stand. Aufgrund der hohen Pendelmasse wurde daher auf zuverlässige Komponenten aus dem Werkzeugmaschinenbau gesetzt.

Sicherheit ist wichtig
„Spannend an der Aufgabe war auch, dass es hier nicht nur um Physik und Steuerungstechnik ging, sondern sicherheitstechnische Aspekte von Anfang an eine große Rolle spielten“, erzählt Peter Eberhard. Schließlich werden die Expo-Gäste dem Pendel sehr nahe kommen. Und da darf nichts schiefgehen. Inzwischen ist die Aufgabe erfolgreich gelöst. Das Pendel, das die Firma Metron nach den Berechnungen der Stuttgarter Wissenschaftler inzwischen in einer Halle in Stuttgart aufgebaut hat, funktioniert wie gewünscht. Und wenn – wie Robert Seifried berichtet – die Stimmungslage gelegentlich „zwischen Euphorie und Verzweiflung“ schwankte und „es auch schlaflose Nächte gab“, hat sich die Beteiligung an diesem Großprojekt in jedem Fall gelohnt. Lohnend war vor allem der enge Praxisbezug, ist sich das Team einig. Davon haben auch Studierende profitiert, die über Studien- und Diplomarbeiten einbezogen wurden. Die Expo-Besucher werden an diesem Beispiel erleben, dass Ingenieurleistungen aus Deutschland auch auf spielerische Weise umgesetzt werden können.

Übrigens: Bevor das Pendel nach Shanghai verschifft wird, gibt es nach der Abnahme durch den TÜV Anfang Oktober einen Vor-Ort-Termin in Stuttgart, bei dem Medienvertreter schon mal testen können, ob das Pendel auch wunschgemäß funktioniert. Eine Einladung dazu folgt.

Dies ist nicht das erste Mal, dass die Uni Stuttgart an einer Expo beteiligt ist. Für die Internationale Weltausstellung in Montreal im Jahr 1967 hatte der Bauingenieur Frei Otto in Zusammenarbeit mit Rolf Gutbrod den Deutschen Pavillon in Form einer Zeltstruktur entwickelt, wie sie in dieser Form noch niemals gebaut worden war. Der deutsche Pavillon galt als einer der schönsten und wirtschaftlichsten der Weltausstellung und erhielt den internationalen Architekturpreis „Prix Perret“. Ein Modell auf dem Uni-Campus in Vaihingen dient noch heute als Domizil für das Institut für Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren. Und an der Expo 2000 in Hannover beteiligte sich die Uni Stuttgart mit Exponaten zur unterirdischen Wasseraufbereitung, zum Lebenszyklus von Produkten und zur Telemedizin.

Weitere Informationen
Prof. Peter Eberhard, Tel. 0711/685-66388, e-mail: eberhard@itm.uni-stuttgart.de
Jun.-Prof. Robert Seifried, Tel. 0711/685-66392, e-mail: seifried@itm.uni-stuttgart.de
Prof. Alexander Verl, Tel. 0711/685-82410, e-mail: alexander.verl@isw.uni-stuttgart.de

Dipl.-Ing. Alexander Hafla, Tel. 0711/685-82440, e-mail: alexander.hafla@isw.uni-stuttgart.de

Marion Conrady, Pressesprecherin Deutscher Pavillon EXPO 2010 Shanghai, Tel. 0221/821-3207,e-mail: m.conrady@koelnmesse.de sowie www.expo2010-deutschland.de/erleben/deutscher-pavillon/

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