Schutz vor vereisten Flügeln – Fraunhofer IFAM auf der ILA 2012 in Berlin

Im Fraunhofer IFAM entwickelte Messvorrichtung für den Runback-Eis-Test an Flügelprofilen<br>(© Fraunhofer IFAM)<br>

So kuschelig die weißen Wolken am blauen Himmel auch aussehen, sind die Bedingungen dort oben doch unwirtlich: Fliegen Flugzeuge durch die Wolken hindurch, lassen die tiefen Temperaturen gemeinsam mit der Windgeschwindigkeit schnell Eiskrusten auf den Tragflächen entstehen.

Dieses Vereisen kann schwerwiegende Folgen haben: Zum einen kann der Luftwiderstand des Flugzeugs durch die Eiskruste um bis zu 40 Prozent steigen, zum anderen wird das Flugzeug schwerer und der Auftrieb sinkt um bis zu 30 Prozent. Beides erhöht den Treibstoffverbrauch deutlich und beeinträchtigt die Sicherheit – schlimmstenfalls bringt das Eis das Flugzeug gar zum Absturz.

Die Flugzeughersteller müssen die Vereisung daher mit verschiedenen Technologien verhindern: Etwa indem sie die Abwärme der Triebwerke in Hohlräume in den Flügelvorderkanten leiten und die Flügel so während des Flugs enteisen können. Andere Hersteller integrieren »rubberboots«: Gummimatten, die bei Bedarf aufgepumpt werden und das Eis so von der Oberfläche »sprengen«. Ein großer Nachteil dieser Technologien ist allerdings der hohe Energiebedarf. Zudem lassen sie sich nicht oder nur schwer mit Faserverbundwerkstoffen kombinieren, die im Flugzeugbau zunehmend eingesetzt werden.

Systemlösungen zur Enteisung

An Systemlösungen zur Enteisung arbeiten die Forscher der Lacktechnik des Fraunhofer-Instituts für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM in Bremen. In einem EU-Projekt, das im Herbst 2012 starten soll, entwickeln sie – neben der Enteisung durch Heizen – auch neue technische Lösungen, um das Eis mechanisch von den Flügeln zu entfernen. »Hierfür werden wir innovative Materialien einsetzen, etwa die ’Shape-Memory-Materialien’«, erläutert Dr. Stephan Sell, Wissenschaftler im Bereich Lacktechnik des Fraunhofer IFAM. Das Besondere daran: Ändert sich die Temperatur oder legt man eine elektrische Spannung an, ändert das Material sein Volumen. So können die Wissenschaftler das Eis von der Oberfläche absprengen. »Wir erwarten in dem Zusammenhang Energieeinsparungen von bis zu 80 Prozent gegenüber herkömmlichen Beheizungsmethoden«, sagt Sell.

Gleichzeitig wollen die Wissenschaftler diese aktive Enteisung der Flügel an neuartige Sensoren koppeln. Vereisen die Flügel, erkennen die Sensoren dies über ein optisches System und alarmieren die Crew. Bisherige Techniken basierten lediglich auf indirekten Messungen. Das integrierte Sensorsystem ermöglicht es, sowohl die Vereisung in Echtzeit zu erkennen als auch den Erfolg der Enteisung in Echtzeit zu überwachen. Dies erhöht die Energieeffizienz des Gesamtsystems und steigert die Sicherheit im Flugverkehr um ein Vielfaches.

Schutz durch Anti-Eis-Beschichtungen

Wo kein Wasser ist, kann auch kein Eis entstehen. Daher entwickeln Forscher des Fraunhofer IFAM im »CleanSky«-Programm auch Beschichtungen mit Anti-Eis-Funktionen. Die hydrophobe, wasserabweisende Beschichtung soll unter anderem vor dem »Runback-Eis« schützen, das sich aus dem von den Flügelvorderkanten abgeschmolzenen Eis bildet. Denn wird das Eis an den Flügelvorderkanten über Heizungen abgetaut, fließt es als Schmelzwasser zum hinteren Teil der Tragfläche und friert dort wieder fest. »Unsere hydrophoben Beschichtungen sollen dafür sorgen, dass das Wasser am hinteren Teil der Tragfläche erst gar nicht haften kann, sondern sofort abfließt. Das erreichen wir, indem wir dem Lack bestimmte Additive beimischen, beispielsweise fluorierte Verbindungen«, erklärt Stephan Sell. »Die Herausforderung besteht vor allem darin, die wasserabweisenden Schichten so herzustellen, dass sie über Jahre hinweg stabil bleiben – trotz UV-Strahlung und hohen Erosionsbelastungen.«

Die Anwendungsbereiche dieser neuen Technologien beschränken sich nicht nur auf die Luftfahrt: Auch bei Schiffen, Schienenfahrzeugen, Autos, Rollläden, Kühlaggregaten und Windenergieanlagen ist die Vereisung ein Problem. Beispielsweise führen vereiste Rotorblätter bei Windanlagen dazu, dass die Anlage deutlich weniger Strom produziert – im schlimmsten Fall führt die Vereisung zu irreparablen Schäden. Fallen Teile des Eises herunter, können Menschen verletzt werden.

Um die Anti-Eis-Technologien zu überprüfen, steht den Wissenschaftlern am Fraunhofer IFAM eine eigens entwickelte Eiskammer zur Verfügung. Hier können sie verschiedene Vereisungsszenarien realistisch nachstellen: Beispielsweise die Lufttemperatur auf bis zu -20 Grad Celsius absenken, den Wind mit Geschwindigkeiten von bis zu 70 Metern pro Sekunde durch die Testkammer pfeifen lassen und über eine Düse Regen simulieren. So lassen sich die Eisbildung auf Oberflächen, die Effektivität der Enteisungsprozesse und die Haftkraft des Eises ermitteln. Für die Tests verwenden die Forscher beispielsweise individuell gefertigte Modelle von Flügelprofilen mit neuen Anti-Eis-Beschichtungen. Eines davon stellen sie auf der Messe ILA aus (Halle 3, Stand 3221).

Kontakt
Fraunhofer IFAM
ILA Berlin Air Show 2012 I Berlin I Halle 3 I Stand 3221

Media Contact

Anne-Grete Becker Fraunhofer-Institut

Weitere Informationen:

http://www.ifam.fraunhofer.de/

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Messenachrichten

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Anlagenkonzepte für die Fertigung von Bipolarplatten, MEAs und Drucktanks

Grüner Wasserstoff zählt zu den Energieträgern der Zukunft. Um ihn in großen Mengen zu erzeugen, zu speichern und wieder in elektrische Energie zu wandeln, bedarf es effizienter und skalierbarer Fertigungsprozesse…

Ausfallsichere Dehnungssensoren ohne Stromverbrauch

Um die Sicherheit von Brücken, Kränen, Pipelines, Windrädern und vielem mehr zu überwachen, werden Dehnungssensoren benötigt. Eine grundlegend neue Technologie dafür haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Bochum und Paderborn entwickelt….

Dauerlastfähige Wechselrichter

… ermöglichen deutliche Leistungssteigerung elektrischer Antriebe. Überhitzende Komponenten limitieren die Leistungsfähigkeit von Antriebssträngen bei Elektrofahrzeugen erheblich. Wechselrichtern fällt dabei eine große thermische Last zu, weshalb sie unter hohem Energieaufwand aktiv…

Partner & Förderer