Bildverarbeitungsbranche blickt auf Milliardengrenze
Kamera? Bitte lächeln! Dieser Gedanke bleibt nicht auf den Besuch beim Fotografen beschränkt, sondern gilt genauso für den Einsatz der Bildverarbeitung in der Industrie. Kameras, Sensoren und Auswerteelektronik, die einen Roboter lenken oder den makellosen Glanz des Lackes auf der Autokarosserie kontrollieren, bringen ihren Herstellern jede Menge Umsatz. Seit Jahren gelten die Bildverarbeiter in Sachen Wachstum als Spitzenreiter unter den Anbietern von Automatisierungstechnik. Sie meldeten selbst im Jahr 2003 ein Plus von 15 Prozent und erreichten in Deutschland einen Gesamtumsatz von 833 Millionen Euro. Andere Branchen können davon nur träumen. Weil Schätzungen für 2005 wiederum von zweistelligem Wachstum ausgehen, rückt die magische Milliardengrenze nach Erkenntnissen des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e. V. (VDMA), Frankfurt am Main, in greifbare Nähe.
Fast zwei Drittel ihres Umsatzes erzielt die Branche, die durch eher kleinere Betriebe gekennzeichnet ist, mit vollständigen Bildverarbeitungssystemen. Auf Komponenten wie Kameras, Bilderfassungskarten oder Optiken entfällt nur etwas mehr als ein Drittel. Das klassische Anwendungsgebiet der industriellen Bildverarbeitung ist die Qualitätssicherung. Im Jahr 2003 lag es mit 44,4 Prozent des Branchenumsatzes mit weitem Abstand vorn. Allerdings holen andere Anwendungsgebiete allmählich auf. Auf die Qualitätssicherung entfielen im Jahr 2000 noch 61,4 Prozent des Umsatzes. Bei den industriellen Anwendungen steht die Fertigungsautomatisierung mit 16,9 Prozent an zweiter Stelle, gefolgt von Materialflusssteuerung (6,1 Prozent) und Maschinensteuerung (2,7 Prozent). Ein ständig wachsendes Engagement notiert der VDMA im Bereich der nichtindustriellen Anwendungen, wie Sicherheitstechnik, Verkehrsleittechnik oder Medizin. Entfielen im Jahr 2001 noch 15,6 Prozent des Umsatzes auf nichtindustrielle Anwendungen, so waren dies in 2003 bereits knapp 30 Prozent.
Was komplexe Bildverarbeitungssysteme heute leisten können, zeigt das Beispiel des so genannten Visual Servo, einer Kamera an der Roboterhand. Eingesetzt wird diese Technik, wenn der Roboter einem bewegten Objekt folgen und daran etwas montieren soll. Beispiel Automobilindustrie: Der Mensch folgt einfach der Karosse auf ihrem Weg durch die Produktion. Damit der Roboter montieren kann, muss das Werkstück bisher entweder stehen bleiben und bremst damit den gesamten Prozess, oder der Roboter muss am Förderband befestigt sein. Das macht ihn unflexibel für den Einsatz an anderen Stellen der Fertigung. Mit der Kamera an der Hand, der Auswerteelektronik und einer schnellen Steuerung im Hintergrund hingegen kann auch der Roboter den Abstand zu seinem Werkstück messen. Sobald er diesem nahe genug kommt, halten die Bilder der Kamera und die Steuerung den passenden Abstand. Sie kontrollieren den Zustand im Takt von Tausendstelsekunden. Die Roboterhand kann an der vorgesehenen Stelle schrauben oder schweißen.
Ähnlich aufwändig ist die Kontrolle von Folienbahnen, die beispielsweise in Windeln und anderen Hygieneprodukten eingesetzt werden. Schmutz und Löcher sind nicht akzeptabel – beides müssen die Kameras auf einer vier Meter breiten Folie entdecken, die bei der Produktion mit 300 Metern pro Minute an ihnen vorbeirauscht. Um das zu schaffen, arbeiten die Kameras mit Bildwiederholraten von bis zu 37 000 Scans pro Sekunde, die das System auch auswerten muss. Die Daten aus der Verarbeitung werden in einer Datenbank gespeichert, damit das Prozessleitsystem darauf zugreifen kann. Es liefert den Qualitätsnachweis für den Kunden.
Doch es müssen nicht immer komplexe Lösungen sein. Mit zunehmender Geschwindigkeit der Prozessoren und der Entwicklung intelligenter Kameras, in die ein solcher Prozessor eingebaut ist, wird die Bildverarbeitung für immer mehr Anwender schnell rentabel. So steigt die Nachfrage nach Automatisierungslösungen in der Industrie. Müssen beispielsweise nur wenige Varianten eines Produktes unterschieden werden, um ein Teil als Ausschuss zu erkennen, reicht eine intelligente Kamera. Dafür wollen die Anwender aber weniger bezahlen als für eine komplexe Bildverarbeitung. Die intelligenten Kameras sind mit Optik und Intelligenz ausgestattet, um die aufgenommenen Bilder zu verarbeiten. Zusammen mit Hard- und Software sind sie in einem kleinen Gehäuse untergebracht, das den Anforderungen der Industrie entspricht. Dem großen Bruder, einem PC-basierten Bildverarbeitungssystem, sind sie in ihrer Leistung um den Faktor fünf bis zehn unterlegen. Experten rechnen damit, dass die Minimallösung wegen zunehmender Einsätze für einfache Aufgaben ihre bisher drei bis vier Prozent Anteil am Gesamtumsatz noch steigen wird.
Die Entwicklungen an den Bildverarbeitungssystemen selbst sind jedoch nur ein Bereich, in dem die Hersteller aktiv sind. Darüber hinaus wollen sie Schnittstellen normieren, sodass sich ihre Lösungen einfacher in den Produktionsprozess integrieren lassen. Eines Tages könnte die Steuerung einer ganzen Anlage mit den Bilddaten aus der Qualitätskontrolle so weit sein, sogar die Ursache für die Fehler am Produkt auszumachen und diese in ferner Zukunft ohne Zutun eines Mitarbeiters zu beseitigen.
Einstweilen gibt es noch den Werker in der Fabrikhalle, der mit den Bildverarbeitungssystemen umgehen muss. Seine Bedürfnisse bestimmen ebenfalls die Arbeit der Entwickler. Obwohl die Leistung der Kameras und Prozessoren steigen soll, versprechen die Hersteller, dass die Technik einfach und intuitiv zu programmieren und zu konfigurieren sein soll. Das werde den Einsatz in immer mehr, auch außerindustriellen, Gebieten fördern – die Milliardengrenze winkt schließlich. Selbst an Anwendungen in der Landwirtschaft ist gedacht. So könnte ein Bildverarbeitungssystem überprüfen, ob das Euter einer Kuh sauber genug ist für die Melkmaschine. Als Herausforderung wird hier genannt, dass das Tier in eine stabile Position gebracht werden muss.
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