Therapie mit neuen Strahlenarten revolutioniert Kampf gegen Krebs

Über 3.000 Mediziner, Wissenschaftler und Ingenieure werden vom 7. bis zum 12. September in München einen Marathon in Sachen Medizintechnik erleben. Mit 3.000 Vorträgen ist der World Congress 2009 on Medical Physics and Biomedical Engineering eine wissenschaftliche Leistungsschau, die den aktuellen Stand der Medizintechnik wiedergibt.

„Deutschland spielt in der internationalen Liga weit oben mit, sowohl im wissenschaftlichen als auch im industriellen Umfeld. Der Weltkongress im eigenen Land wird der Medizintechnik „Made in Germany“ weiter Auftrieb geben“, prognostiziert Kongresspräsident und VDEPräsidiumsmitglied Prof. Dr. Olaf Dössel von der Universität Karlsruhe. Die Highlights des Kongresses finden sich auf den Gebieten der modernen Bildgebung, insbesondere bei der Weiterentwicklung diagnostischer Verfahren mit Röntgenstrahlung und Magnetresonanz (MR), sowie der Therapie mit neuen Strahlenarten vor allem im Kampf gegen den Krebs.

„Die Zukunft liegt in der Verknüpfung von Bildgebung und Therapie, woraus eine wesentlich schonendere und effizientere Behandlung der Patienten resultiert“, konstatiert Prof. Wolfgang Schlegel vom Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg und Kongresspräsident neben Dössel. Die klassischen Röntgenbilder, seit über 100 Jahren unverzichtbare Hilfsmittel der Ärzte, erfahren durch das Phasen-Kontrast-Röntgen eine ganz neue Brillanz – eine Entwicklung, die vergleichbar ist mit der Ergänzung der Lichtmikroskopie durch moderne Elektronenmikroskope.

Der neue Ansatz nutzt die Phasenverschiebung der Strahlung, wenn sie ein Objekt durchdringt. Auf diese Weise kann der Kontrast auch bei Weichteilgeweben deutlich erhöht werden, was nicht zuletzt die Mammographie stark verbessern wird. Um nicht länger auf Synchrotronstrahlung angewiesen zu sein, was die Einsatzmöglichkeiten des Phasen- Kontrast-Röntgen deutlich einschränken würde, stehen nun eine Art „Röntgenoptik“ und eine kompakte Röntgenquelle zur Verfügung, die das Phasen-Kontrast-Röntgen in herkömmlichen Radiologen-Praxen ermöglichen könnte. Eine erstaunlich einfache Anordnung aus drei Gittern generiert so die notwendige monochromatische Röntgenstrahlung. Prof. Franz Pfeiffer, heute am Fachbereich Physik der TU München, hat Anfang 2009 für diese bahnbrechende Entwicklung den renommierten Latsis-Preis (dotiert mit 100.000 Schweizer Franken) erhalten: „Anders als beim klassischen Röntgen steht bei unserer Methode nicht die Intensität im Vordergrund, sondern die Art, wie ihre Wellenlänge im Körper verschoben wird.“ Um die Leistungsstärke der monochromatischen Strahlung zu verbessern und so die Bestrahlungsdauer zu verbessern arbeitet eine zweite Gruppe in diesem Feld mit Beteiligung der Ludwig-Maximilians-Universität und des Centre for Advance Photonics, beide München, bereits an neuen kompakten Röntgenquellen, die auf Lasern beruhen.

Neue Möglichkeiten mit Röntgenstrahlen werden auch in der Therapie erwartet. So zielen mehrere Innovationen darauf ab, den Tumor direkt während der Bestrahlung sichtbar zu machen und so seine Bewegungen und Verschiebungen zu beobachten. „In der Strahlentherapie vollzieht sich zurzeit ein Wandel durch die Integration bildgebender Verfahren direkt in den Behandlungsablauf“, so Schlegel. Statt auf herkömmliche Röntgenröhren setzten Dr. Otto Zhou und seine Kollegen von der University of North Carolina (Chapel Hill) auf senkrecht angeordnete Nanoröhrchen (Nanotubes) aus Kohlenstoff als Elektronenkanonen. Diese ersetzen die bisher üblichen Elektronenquellen aus Wolfram, die im Vakuum auf über 1.000°C aufgeheizt werden müssen, und lassen sich durch schaltbare Spannungen einfach steuern. Die beschleunigten Elektronen werden dann in einer Metallschicht abgebremst und erzeugen so die benötigte Röntgenstrahlung.

Röntgenpulse aus verschiedenen Raumrichtungen

Diese Grundlagen haben Siemens Healthcare und XinRay Inc. (North Carolina), ein Joint Venture zwischen Siemens und Xintech Inc. (ein Start-up-Unternehmen der University of North Carolina), inzwischen aufgegriffen und einen ersten Prototypen mit 52 Nanotubes entwickelt, der in München vorgestellt wird. Ein großer Vorteil des Systems ist die Tatsache, dass für räumliche 3D-Aufnahmen das Gerät nicht mehr aufwändig um den Patienten herumgeführt werden muss, weil die kurzen Röntgenpulse aus verschiedenen Richtungen abgefeuert werden. Die zweite Entwicklung wurde gemeinsam von der University of Texas, BrainLAB (Feldkirchen bei München) und Mitsubishi Heavy Industries (Tokio) durchgeführt.

Das Vero SBRT System (SBRT steht für Stereotactic Body Radiation Therapy) besteht aus einem kompakten Linearbeschleuniger, der auf einem ringförmigen Gestell (Ring-Gantry) ähnlich wie ein Computertomograph geführt und mit zwei Röntgenröhren sowie Flächendetektoren ausgerüstet ist. „Beide Lösungen haben das Potential, die Strahlentherapie gerade bei beweglichen und deformierbaren Tumoren wesentlich genauer zu machen und so die Strahlenbelastung der Patienten zu verringern“, prophezeit Kongresspräsident Prof. Wolfgang Schlegel, der die Abteilung Medizinische Physik in der Radioonkologie am Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg leitet.

Ein weiteres Highlight der Tagung ist sicher die Hadronentherapie. Hier geht es darum, zur Behandlung von Krebs statt der bisher eingesetzten Röntgenstrahlung Teilchenstrahlung in Form von beschleunigten Protonen oder schwereren Ionen-Kernen (zum Beispiel Kohlenstoff C-12 oder Sauerstoff O-16-Atomkernen) einzusetzen. Da man mit diesen Strahlenarten die Strahlendosis besser auf das Tumorgewebe konzentrieren und das notwendigerweise durchstrahlte gesunde Gewebe besser schonen kann, gilt die „Hadronentherapie“ als sehr zukunftsträchtig, aber wegen der notwendigen großen Beschleunigern (Zyklotrons oder Synchrotrons) auch als sehr teuer. Neue Wege sollen auch hier kompakte Teilchenbeschleuniger auf Basis von Hochleistungskurzpulslasern eröffnen. Über entsprechende Fortschritte wird unter anderem das Forschungszentrum Dresden-Rossendorf (FZD) berichten, das über den leistungsstärksten Ultrakurzpulslaser in Deutschland verfügt, der eine Leistung von 150 Terawatt erzeugen kann – allerdings nur für 10 Femtosekunden.

Solche Beschleuniger sind allerdings noch Zukunftsmusik. Wenn sie sich realisieren lassen, und alle Vorversuche und Prototypen deuten darauf hin, wird das einen Paradigmenwechsel in der Strahlentherapie verursachen, und mit Sicherheit zu einem weiteren Qualitätssprung in der Tumortherapie führen. Und hier schließt sich der Kreis zur bildgebenden Diagnostik wieder: Die Laser-Beschleuniger können auch für Elektronen eingesetzt werden und damit neue Möglichkeiten der Röntgen-Bildgebung eröffnen.

Um eine Bildgebung auf völlig anderer Basis geht es beim „magnetic particle imaging“, kurz MPI genannt. Dabei fungieren winzige Nanopartikel aus superparamagnetischem Eisenoxid als Tracer für metabolische Prozesse. Positiv an diesem Verfahren ist vor allem, dass auf radioaktive Teilchen verzichtet werden kann. „Ziel dieser Bildgebung ist es, biomolekulare Prozesse im Körper abzubilden und damit Krankheiten sehr viel früher als bisher zu erkennen und zu charakterisieren“, erklärt Kongresspräsident Prof. Olaf Dössel, Leiter des Instituts für Biomedizinische Technik der Universität Karlsruhe. Er vertritt die Medizintechnik innerhalb des Programms. Auf dem Münchner Kongress präsentieren Experten neue Methoden, mit denen insbesondere der quantitative Nachweis der magnetischen Nanopartikel ebenso wie ihre Herstellung verbessert werden sollen.

EU-Projekte für bessere Computermodelle vom Herzen und Tumorwachstum

In den letzten Jahren hat die Bedeutung von Computermodellen zur Verbesserung von Diagnose und Therapie deutlich zugenommen. Zu den anatomischen Modellen kommen nun auch funktionelle Modelle: Das Computermodell vom menschlichen Herzen beginnt zu schlagen. Rund 1.9 Millionen Menschen sterben jedes Jahr in der EU an koronalen Herzerkrankungen, die Kosten dieser Erkrankungen summieren sich auf 105 Milliarden Euro per anno. Deshalb hat die EU unter Führung von Philips das Projekt euHeart gestartet, das mit 17 akademischen, klinischen und industriellen Partnern individuelle, computer-basierte Herzmodelle entwickeln will, die Diagnose, Therapieplanung und Behandlung von Herzerkrankungen verbessern sollen. Ähnliches gilt für Computermodelle vom Tumorwachstum, mit deren Hilfe der Verlauf der Erkrankung besser abgeschätzt und die Effektivität einer Strahlentherapie verbessert werden kann. Das EU-Projekt ContraCancrum arbeitet an entsprechenden Modellen auf biochemischen, molekularem und zellulärem Level insbesondere in den Bereichen Gehirn- und Lungentumore. In den Modellen sollen Daten von MRI, CT, PET und Ultraschall ebenso zusammengeführt werden wie Informationen, die mit verschiedenen biomedizinischen Markern gewonnen werden.

Fortschritte werden auch für viele Eingriffe in den menschlichen Körper erwartet. Waren noch vor einigen Jahren in vielen Fällen große Operationen mit entsprechend langen Liegezeiten notwendig, lassen sich heute immer mehr minimal invasiv durchführen, wodurch Patienten sehr viel schneller „wieder auf die Beine kommen“. Neue Endoskope und miniaturisierte chirurgische Werkzeuge sind die Voraussetzung für diese Operationstechniken, die immer häufiger natürliche Körperöffnungen wie den oberen Magen- Darm-Trakt, das Rektum oder die Vagina oder aber einen kleinen Schnitt im Bauchnabel nutzen. So lassen sich beispielsweise Gallenblase und Appendix narbenlos entfernen. Neue Methoden und Techniken für diese NOTES (Natural Orifice Transluminal Endoscopic Surgery) genannten Techniken werden auf der Tagung vorgestellt. Bei der sogenannten in-vitro Diagnostik werden Körperflüssigkeiten oder Zellen im Labor analysiert, um daraus wichtige diagnostischen Informationen abzuleiten. Die Vereinfachung und Miniaturisierung dieser Methoden verspricht eine deutlich schnellere Antwort auf die diagnostischen Fragen und eine Reduktion der Kosten. „Hier werden auf der Konferenz neue Chip-basierte Methoden vorgestellt, um Körperflüssigkeiten durch kleine Kanäle in einem Chip zu bewegen und zu analysieren (Mikrofluidik)“, so Dössel. Einer miniaturisierten und dabei automatisierten Bio- oder Medizin-Analytik wird großes ökonomisches Potential zugetraut, weil Arbeits- und Materialkosten für teure Reagenzien reduziert und schlankere Arbeitsabläufe mit verlässlicherem Aussagewert erzielt werden können. Daraus weltweit resultierende Anstrengungen haben zu technisch zunehmend ausgereifteren Technologien geführt. Zudem werden auf dem Kongress Methoden diskutiert, um Zellen genau zu charakterisieren, die sich auf einem Chip befinden. Zu diesen Themen wird Prof. Andreas Manz von der Albert-Ludwig-Universität in Freiburg eine Keynote Lecture halten, der zu den Pionieren der Lab-on-a-chip-Technologie zählt.

Dreidimensionale Trägerstrukturen für künstliche Knochen

Dass man heute künstliche Haut züchten kann ist allgemein bekannt – allerdings sind ihre Eigenschaften bei weitem noch nicht ideal. Nun geht man daran, auch Knochen, Knorpel oder ganze Herzklappen im Bioreaktor zu züchten. Dafür sind dreidimensionale Trägerstrukturen nötig, in denen die Zellen wachsen können – die als „Scaffolds“ bezeichnet werden. „Polymer-keramische Composite sind beispielsweise ein interessanter Ansatz zur Schaffung von künstlichen Knochen, weil ihre Struktur und Eigenschaften sehr ähnlich sind zu natürlichem Material“, erklärt Prof. Dietmar Hutmacher von der Queensland University of Technology (Australien), der auf der Tagung über bioresorbierbare Polymere vorträgt, die mit keramischen Mikropartikeln verstärkt sind. Generell wird auf dem Kongress über spannende neue Entwicklungen berichtet, mit denen die Gewebestrukturen aus den neuartigen Scaffolds bessere Eigenschaften bekommen.

Über den Kongress:

Der World Congress 2009 on Medical Physics and Biomedical Engineering ist weltweit das wichtigste Branchentreffen. 2009 ist Deutschland mit München Austragungsort des Weltkongresses, der alle drei Jahre stattfindet, zuletzt in Seoul, Sydney und Chicago.

Gastgeber des Kongresses sind der VDE mit seiner Deutschen Gesellschaft für Biomedizinische Technik (DGBMT), die Deutsche Gesellschaft für Medizinische Physik (DGMP) sowie internationale Organisationen. Eröffnet wird der Kongress von der Bundesforschungsministerin Dr. Annette Schavan, Siemens Healthcare CEO Prof. Dr. Hermann Requardt und Nobelpreisträger Roger Y. Tsien, Ph. D. Der VDE sieht den Kongress als ideale Plattform, um Innovationen in der Medizintechnik und die Stärken des Standorts Deutschland zu präsentieren. In enger Kooperation mit Industrie, Wissenschaft und Medizin sowie dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat der Technologieverband bereits zahlreiche Projekte zum Innovationsmanagement in der Medizintechnik initiiert und umgesetzt, die mit dem Kongress weiter gefördert werden. Darüber hinaus ist der VDE eine wichtige Plattform für Standards und Produktprüfung in der Medizintechnik.

Die VDE-Studie „MedTech 2020“ kann für 250 Euro beim VDE bestellt werden. Für VDEMitglieder ist sie kostenlos.

Pressekontakt: Melanie Mora, Telefon: 069 6308-461, melanie.mora@vde.com

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