ICCN: Neue Technik ermöglicht Kontakt zu Wachkoma-Patienten

Es ist der Stoff, aus dem Psychothriller geschrieben sind: Patienten im Wachkoma sind scheinbar ohne Bewusstsein. Sie können mit ihrer Umwelt nicht in Kontakt treten. Vieles deutet aber darauf hin, dass einige Patienten mehr wahrnehmen als bisher vermutet.

Anders als beim künstlichen Koma, in das Michael Schumacher nach seinem Skiunfall versetzt wurde, wird ein Wachkoma nicht durch Medikamente herbeigeführt, sondern ist Folge einer Hirnverletzung. Neurophysiologische Studien zeigen, dass ein Teil der Betroffenen Aufgaben wahrnimmt, versteht und versucht, diese zu erfüllen.

Inwieweit Wachkoma-Patienten sogar kommunizieren können, ist Thema einer Pressekonferenz am 20. März 2013 anlässlich des 30. International Congress of Clinical Neurophysiology (ICCN) und der parallel stattfindenden 58. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung (DGKN). Diese finden vom 19. bis 23. März 2014 in Berlin statt.

Schätzungsweise 5000 Menschen in Deutschland werden als Wachkoma-Patienten behandelt. Bei rund einem Viertel war ein Schädel-Hirn-Trauma, wie es Schumacher erlitten hat, der Auslöser. Tatsächlich liegt bei etwa 40 Prozent jedoch eine Fehldiagnose vor, erläutert Privatdozent Dr. med. Andreas Bender, Chefarzt am Therapiezentrum Burgau: „Diese Patienten haben entweder bereits unbemerkt wieder ein Minimalbewusstsein oder gar ein volles Bewusstsein erlangt, sind jedoch vollständig gelähmt. Der zweite Fall kommt nur sehr selten vor, wir sprechen vom Locked-In-Syndrom.“

Mithilfe neuer elektrophysiologischer Verfahren können Experten inzwischen leichter als früher feststellen, ob das Nervensystem eines komatösen Patienten Reize verarbeiten kann oder nicht. Dazu gehören sogenannte ereigniskorrelierte Potentiale (ERP), also Schwankungen im Elektroenzephalogramm (EEG), die parallel zu kognitiven Prozessen oder Sinneswahrnehmungen stattfinden. Ebenso hilfreich erwies sich die Methode „Motor Imagery“, bei der Betroffene aufgefordert werden, sich Bewegungen vorzustellen ohne diese durchzuführen. „Bei zehn bis zwanzig Prozent der Wachkoma-Patienten finden wir deutliche Hinweise auf ein 'verborgenes' Bewusstsein“, berichtet der DGKN-Experte Dr. Bender im Vorfeld des ICCN.

Eine ERP-Analyse hilft Ärzten auch dabei, Patienten zu identifizieren, mit denen später eine Kommunikation möglich sein könnte. Eine aktuelle Studie konnte nachweisen, dass diese Menschen mit starken Schwankungen ihrer Gehirnströme auf Nonsens-Sätze reagieren. Darüber hinaus gibt es neue Ansätze, über sogenannte Brain-Computer-Interfaces (BCI) einen Kontakt zu Betroffenen herzustellen. Neurophysiologen gelang es, einen Patienten im Zustand des Minimalbewusstseins Ja-Nein-Fragen beantworten zu lassen. „Leider kann derzeit nur ein kleiner Teil der Patienten in Spezialzentren entsprechend untersucht werden“, erklärt Dr. Bender. „Engere Kooperationen zwischen Universitäts- und Rehabilitationskliniken wären wünschenswert“.

„Fortschritte in der Neurophysiologie ermöglichen künftig ganz neue Therapieansätze“, sagen die Tagungspräsidenten Professor Dr. med. Otto Witte aus Jena und Professor Dr. med. Reinhard Dengler aus Hannover. „Gerade in den vergangenen Jahren hat sich bei der Erforschung des Bewusstseins viel bewegt.“ Darüber berichten Experten aus der ganzen Welt auf dem internationalen Kongress: Unter anderem Professor Rizzolatti, einer der bedeutendsten Hirnforscher unsere Zeit. Weitere Informationen finden Sie im Internet unter http://www.iccn2014.de.

Quellen:
– Redemanuskript Dr. Bender
– Lulé D et al: Probing command following in patients with disorders of consciousness using a brain-computer interface. Clin Neurophysiol. 2013 Jan;124(1):101-6.

– Steppacher I, et al.: N400 predicts recovery from disorders of consciousness. Ann Neurol. 2013 May;73(5):594–602.

Terminhinweise:
Kongress-Pressekonferenz:
Zeit/Ort: Donnerstag, 20 März 2014, 12.00 bis 13.00 Uhr, Estrel Berlin
Eines der Themen:
Wachkoma-Patienten nehmen mehr wahr als angenommen:
Neue Techniken ermöglichen Kommunikation über Hirnsignale
Referent: Privatdozent Dr. med. Andreas Bender, Burgau
Plenary Lecture: „Mirror neuron systems“
Zeit/Ort: Donnerstag, 20. März 2014, 19.00 bis 20.00 Uhr, Estrel Berlin
Referent: Giacomo Rizzolatti, Professor of Human Physiology, University of Parma (IT)

Experte für: neurophysiologische Mechanismen, die dem menschlichen Handeln, Intention und Emotionen Dritter zugrunde liegen; Spiegelneuronen-System; Beziehung zwischen Gehirn und Geist.

Berger Lecture: Computing with neural ensembles – the next frontier
Zeit/Ort: Samstag, 22. März 2014, 18.00 bis 18.45 Uhr, Estrel Berlin
Referent: Miguel A. L. Nicolelis, Professor of Neuroscience at Duke University,
Anne W. Deane, Professor of Neurobiology, Biomedical Engineering and Psychology, Durham (US)

Experten für: neuronale Populationskodierung, Brain Machine Interfaces (BMI) und Neuroprothetische Geräte und Anwendungen.

Kontakt für Journalisten:
Pressestelle DGKN
Kathrin Gießelmann
Postfach 30 11 20
70451 Stuttgart
Tel.: 0711 8931-981
Fax: 0711 8931-167
giesselmann@medizinkommunikation.org
Die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung (DGKN) ist die medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft für Ärzte und Wissenschaftler in Deutschland, die auf dem Gebiet der klinischen und experimentellen Neurophysiologie tätig sind. Anliegen der DGKN ist es, die Forschung auf diesem Gebiet zu fördern sowie eine qualitätsgesicherte Aus-, Weiter- und Fortbildung zu garantieren. Zu diesem Zweck richtet die DGKN wissenschaftliche Tagungen, Symposien und Fortbildungsveranstaltungen aus. Sie erarbeitet Richtlinien und Empfehlungen für die Anwendung von Methoden wie EEK, EMG oder Ultraschall. Darüber hinaus setzt sich die DGKN für den wissenschaftlichen Nachwuchs ein, indem sie etwa Stipendien und Preise vor allem für junge Forscher vergibt. Die Methoden der klinischen Neurophysiologie kommen Patienten bei der Diagnose und Therapie von neurologischen Erkrankungen wie Parkinson, Alzheimer, Migräne, Epilepsie, Schlaganfall oder Multiple Sklerose zu Gute.

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Weitere Informationen:

http://www.iccn2014.de

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