Zerreißprobe für die Hauptschlagader

Krankhafte Erweiterungen der Bauchschlagader (Bauchaorten-Aneurysmen), sind wie tickende Zeitbomben: Wenn sie platzen, sterben vier von fünf Betroffene an inneren Blutungen noch bevor sie ein Krankenhaus erreichen. Niemand kann mit Bestimmtheit vorhersagen, wann diese lebensbedrohliche Situation eintritt.

Bei ihrer Entscheidung, ein Bauchaorten-Aneurysma vorsorglich zu operieren, richten sich Chirurgen bisher vor allem nach der Größe des Aneurysmas. Eine differenziertere Entscheidungsgrundlage erarbeiten Gefäßchirurgen der Goethe-Universität jetzt gemeinsam mit Ingenieuren der Fachhochschule Frankfurt: Wie die Forscher in der aktuellen Ausgabe von „Forschung Frankfurt“ berichten, sollen Simulationen der Strömungsverhältnisse und der Belastbarkeit des Gewebes dabei helfen, den optimalen Zeitpunkt für eine Operation zu ermitteln.

„Ab einem Durchmesser von fünf Zentimetern muss operiert werden, weil die Rupturgefahr dann exponentiell steigt“, weiß Prof. Thomas Schmitz-Rixen, Leiter der Gefäß- und Endovascularchirurgie am Klinikum der Goethe-Universität. Doch die Krankheit hält sich nicht an Regeln, immer wieder reißen auch kleinere Aneurysmen, werden andererseits riesige Aussackungen per Zufall bei Patienten entdeckt, die nie Beschwerden hatten und an ganz anderen Krankheiten starben.

Warum das so ist, versucht Schmitz-Rixen in Kooperation mit Prof. Gerhard Silber, Leiter des Instituts für Materialwissenschaften (IfM) an der Fachhochschule Frankfurt, herauszufinden. Gebündelt wird diese Zusammenarbeit im Frankfurter „Center for Biomedical Engineering“ (CBME).

Silber ist Fachmann für die Biomechanik von menschlichem Gewebe. Blutgefäße sind nämlich keine starren Rohre. Sie werden durch die Blutmenge passiv aufgedehnt, können sich aber auch aktiv zusammenziehen. Durch Rauchen, zu fettes Essen, ungenügende Bewegung und zunehmendes Alter verlieren die Gefäße ihre Elastizität und Dehnbarkeit. Zusätzlich verkalken die Arterien, so dass die Durchflussmenge messbar abnimmt. Diese Vorgänge modelliert der Materialwissenschaftler Gerhard Silber im Computer. Denn die Reißfestigkeit der Aortenwand oder die Wandspannung im Aneurysma lassen sich nicht im Patienten messen. Sie könnten aber wichtige Indikatoren dafür sein, wann ein Gefäß zu platzen droht.

Zunächst musste ein Materialgesetz abgeleitet werden, das die Eigenschaften der Aneurysmen treffend beschreibt. Dann wurde aus den Bildern der präoperativen Computer- oder Kernspintomografien (CT/MRT) von Schmitz-Rixens Patienten, die der Radiologe Prof. Thomas Vogl, ein weiterer Partner im CBME, liefert, mit aufwendigen Berechnungen ein biomechanisches Modell eines Aortenaneurysmas erstellt. Bis zu zwei Wochen dauert es, bis der Rechner ein Modell erstellt hat, in dem Viskosität, Strömungsgeschwindigkeit und Wandspannung dargestellt sind. Im nächsten Schritt gehen die Flow-Daten ein, ebenfalls gewonnen aus den präoperativen Bildern. Schließlich ändern sich sämtliche Parameter mit jedem Pulsschlag, dehnt sich das Gefäß aus und erschlafft dann wieder.

Um herauszufinden, ob die Berechnungen und Modelle auch tatsächlich In-vivo-Bedingungen repräsentieren, mussten die Eigenschaften echter aneurysmatischer Gefäße geprüft und charakterisiert werden. Doch auch wenn offen operiert wird, verbleibt das Aneurysma im Körper; mit ihm wird die Prothese ummantelt. Silber bekommt daraus nur ein Gewebestück, das kaum zwei Zentimeter misst. Mithilfe eines eigens von seinen Studenten entwickelten Prüfstandes werden die Gewebeeigenschaften des winzigen Fetzens charakterisiert. „Die Datenfülle, die wir aus der Zusammenarbeit mit Medizinern gewinnen, liefert uns völlig neue Informationen über den menschlichen Körper und seine Fehlfunktionen oder Erkrankungen“, erklärt Silber seine Vorliebe für die Biomechanik. Selbst wenn das Forscherduo noch Jahre mit der Aneurysmaforschung beschäftigt sein wird: Schon jetzt ist abzusehen, dass dies nicht ihr einziges gemeinsames Projekt bleiben wird.

Informationen:

Prof. Thomas Schmitz-Rixen,
Leiter der Gefäß- und Endovascularchirurgie, Klinikum Campus Niederursel,
Tel.: (069) 6301-5349; Schmitz-rixen@em.uni-frankfurt.de.
Prof. Gerhard Silber,
Leiter des Instituts für Materialwissenschaften (IfM),
Fachhochschule Frankfurt,
Tel.: 069 / 1533-3035
Die Goethe-Universität ist eine forschungsstarke Hochschule in der europäischen Finanzmetropole Frankfurt am Main. 1914 von Frankfurter Bürgern gegründet, ist sie heute eine der zehn größten Universitäten Deutschlands. Am 1. Januar 2008 gewann sie mit der Rückkehr zu ihren historischen Wurzeln als Stiftungsuniversität ein einzigartiges Maß an Eigenständigkeit. Rund um das historische Poelzig-Ensemble im Frankfurter Westend entsteht derzeit für rund 600 Millionen Euro der schönste Campus Deutschlands. Mit über 50 seit 2000 eingeworbenen Stiftungs- und Stiftungsgastprofessuren nimmt die Goethe-Universität den deutschen Spitzenplatz ein. In drei Forschungsrankings des CHE in Folge und in der Exzellenzinitiative zeigte sie sich als eine der forschungsstärksten Hochschulen.
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