Wechselwirkung zwischen Gehirn und Essverhalten im Visier der Adipositasforschung

Eine Nachwuchsforschungsgruppe zur „Neurobiologie der Entscheidungsfindung bei Adipositas“ geht der Frage nach, wie es bei übergewichtigen Menschen zu oft ungünstigen Essgewohnheiten kommt und wie diese wieder verändert werden können.

Eine weitere Gruppe untersucht die Wechselwirkungen zwischen Gehirn, bestimmten Hormonen und der Nahrungsaufnahme. Denn welche Rolle unser Gehirn bei der Entstehung einer Adipositas spielt, wird in der Adipositasforschung zunehmend wichtig.

Essen als Belohnung

Dr. Annette Horstmann und ihr sechsköpfiges Forscherteam untersuchen für das IFB am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften das Entscheidungsverhalten bei stark übergewichtigen Menschen. Horstmanns Studien deuten darauf hin, dass adipöse Probanden stärker zu Verhaltensweisen neigen, die schnelle Belohnungen versprechen. Beim Essverhalten kann das dazu führen, dass die Betroffenen schneller und gewohnheitsmäßiger z.B. süßen Verlockungen nachgeben. Viele adipöse Patienten berichten auch, dass sie in bestimmten Situationen „einfach Schokolade essen müssen.“

„Wir untersuchen welche Rolle das Gehirn dabei spielt, dass manche Menschen zu einem solchen rigiden Gewohnheitshandeln neigen und andere ihr Handeln stärker an dem Wunsch gesund und schlank zu bleiben ausrichten“, erklärt Horstmann. Dazu werden beispielsweise in Bilder-, Geruchs- oder Geschmacktests die Reaktionen im Gehirn bei über- und normalgewichtigen Studienteilnehmern gemessen und mit Lern- und Entscheidungsaschiedlichen Handlungsweisen erklären. Ziel von Dr. Horstmann ist es, die neurobiologischen Grundlagen des Entscheidungsverhaltens und die verschiedenen Einflüsse darauf, durch bestimmte Gene oder Botenstoffe des Gehirns, zu entschlüsseln. Dies könnte hilfreich sein, um spezielle Therapien oder Verhaltenstrainings zu entwickeln, die es ermöglichen, rigide Verhaltensweisen wieder zu „verlernen“, um weniger impulsiv und stärker zielgerichtet reagieren zu können.

Hormone beeinflussen Essverhalten

Eine weitere neue Gruppe von jungen Wissenschaftlern um Dr. Wiebke Fenske untersucht die „Neuroendokrinen Mechanismen der Adipositas“, insbesondere die Frage wie überschüssige Nahrungsaufnahme und Gewichtszunahme kurz- und langfristig Gehirnbereiche und -funktionen verändern, die das Essverhalten regulieren. Vor allem der Hypothalamus, ein entscheidendes Steuerungszentrum der Nahrungsaufnahme, und das Belohnungsempfinden, also das positive Gefühl nach angenehmen Reizen, wie der Nahrungsaufnahme, können nachhaltig gestört sein. Wenn das Belohnungssystem des Gehirns nur noch auf große Nahrungsmengen anspricht, macht dies Abnehmversuche und vor allem das Halten eines erreichten niedrigeren Gewichts schwierig. Es kommt zur Wiederzunahme der verlorenen Kilos, also dem Yoyo-Effekt. Eine wichtige Rolle hierbei spielen offenbar die Hormone Leptin im Hypothalamus und Dopamin, auch bekannt als „Glückshormon“. Letzteres ist ein Botenstoff des Belohnungssystems, das u. a. positiv auf Antrieb, Motivation, Lust, und Freude an der Nahrungsaufnahme wirkt.

Unterschiedliche Mengen des Hormons Dopamin

„Jüngere Daten weisen darauf hin, dass adipöse Menschen mehr Nahrung konsumieren müssen, um denselben „zufriedenstellenden“ Dopaminspiegel zu erreichen wie Normalgewichtige“, erläutert Fenske. Diese Zusammenhänge zu entschlüsseln, haben sich die Leipziger in Kooperation mit US-amerikanischen Forschern um Prof. Ivan de Araujo von der Yale University zur Aufgabe gemacht.

Verantwortlich für die unterschiedlichen Dopaminlevels bei über- und normalgewichtigen Menschen, scheint unter anderem die Fettaufnahme mit der Nahrung zu sein. „Dopamin könnte ein wichtiger Faktor sein, warum viele Menschen etwa nach Abnehmkuren wieder Gewicht zunehmen, während Patienten, die mit Hilfe der Adipositas-Chirurgie Kilos verlieren, diese Gewichtsreduktion meist über viele Jahre halten können“, so Fenske. Wie es zu diesem Unterschied kommt und welchen Einfluss die Adipositas-Chirurgie auf die Hirnregionen hat, die das Essverhalten kontrollieren, sollen die neuen Studien klären. Dies könnte neue Ansatzpunkte für nicht-operative, auch langfristig wirksame Adipositas-Therapien liefern.

Neben den nun sechs Nachwuchsgruppen in der Adipositasforschung untersuchen Wissenschaftler des IFB und der Universitätsmedizin Leipzig in über 40 verschiedenen interdisziplinären Forschungsprojekten die Ursachen, Auswirkungen und Behandlungsansätze bei krankhaftem Übergewicht und seinen Folgeerkrankungen.

Hintergrundinformationen

Das IFB AdipositasErkrankungen ist eines von acht Integrierten Forschungs- und Behandlungszentren, die in Deutschland vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert werden. Es ist eine gemeinsame Einrichtung der Universität Leipzig und des Universitätsklinikums Leipzig (AöR). Ziel der Bundesförderung ist es, Forschung und Behandlung interdisziplinär so unter einem Dach zu vernetzen, dass Ergebnisse der Forschung schneller als bisher in die Behandlung adipöser Patienten integriert werden können. Am IFB AdipositasErkrankungen gibt es derzeit über 40 Forschungsprojekte. Zur Patientenversorgung stehen eine IFB AdipositasAmbulanz für Erwachsene und eine für Kinder und Jugendliche zur Verfügung. Das IFB wird das Feld der Adipositasforschung und -behandlung in den nächsten Jahren kontinuierlich ausbauen.

(Doris Gabel)

Weitere Informationen:

Dr. Annette Horstmann
IFB AdipositasErkrankungen
Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften
Telefon: +49 341 9940-2258
E-Mail: horstmann@cbs.mpg.de
Web: www.cbs.mpg.de
Dr. Wiebke K. Fenske
IFB AdipositasErkrankungen
Medizinisches Forschungszentrum
Telefon: +49 341 97-13306
E-Mail: wiebkekristin.fenske@medizin.uni-leipzig.de
Web: www.ifb-adipositas.de
Doris Gabel
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit IFB
Telefon: +49 341 97-13361
E-Mail: presse@ifb-adipositas.de

Media Contact

Diana Smikalla idw

Weitere Informationen:

http://www.ifb-adipositas.de

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