Statistische Risikoanalysen: Auswertung molekularer Daten ermöglicht gezieltere Krebsbehandlung

Mithilfe neuer statistischer Techniken wollen PD Dr. Harald Binder und PD Dr. Lars Bullinger in einem Kooperationsprojekt zwischen den Unikliniken Freiburg und Ulm eine komplexe Auswertung zahlreicher Datenquellen zum weißen Blutkrebses vornehmen. Ihr Ziel ist es, wertvolle Anhaltspunkte zu erhalten, um Therapien individueller zu gestalten.

Zwar gibt es bereits zahlreiche Erkenntnisse zu spezifischen Symptomen sowie genetischen und molekularen Eigenschaften von Krebserkrankungen. Was jedoch fehlt, ist eine umfassende Vernetzung und Auswertung dieser Informationen. „Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen den verschiedenen molekularen Informationen. So kann sich beispielsweise eine Veränderung im Erbmaterial stark auf die Gen-Aktivität auswirken. Für die Risikobewertung und zur Vorhersage des Therapieansprechens ist es hilfreich, verschiedene Arten molekularer Daten kombiniert zu betrachten“, erläutert Dr. Harald Binder.

Bedingt durch die große Datenmenge und die Komplexität der Abhängigkeitsstrukturen gibt es bisher nur wenige erfolgreiche Ansätze für eine derartige integrierte Betrachtung. Dr. Harald Binder und Dr. Lars Bullinger wollen diese Lücke schließen und das volle Potenzial des Datenbestandes ausschöpfen. Ihr Forschungsvorhaben baut auf neuen statistischen Techniken auf, die eine Vielzahl von molekularen Informationen gleichzeitig betrachten können. Im Gegensatz zu vielen bisherigen Ansätze werden dabei nicht nur die Messungen zu einem molekularen Aspekt betrachtet, sondern Informationen von verschiedenen Datenquellen berücksichtigt. „Wenn sich beispielweise zeigt, dass eine Veränderung an einer bestimmten Position im Erbmaterial die Heilungschancen verschlechtert, so wird auch die Aktivität des Gens, das dieser Position zuzuordnen ist, bevorzugt in das statistische Modell aufgenommen. Damit kann die Verlässlichkeit einer Prognose erhöht werden“, so Binder.

In dem von der Wilhelm Sander-Stiftung geförderten Projekt wollen die Forscher insbesondere die Risikovorhersage für Patientinnen und Patienten verbessern, die an weißem Blutkrebs, der sogenannten akuten myeloischen Leukämie (AML), erkrankt sind. Bei dieser Krebsart sind viele verschiedene Untergruppen bekannt und zahlreiche weitere werden vermutet. Sie alle unterscheiden sich deutlich in Bezug auf den Krankheitsverlauf und im Ansprechen auf bestimmte Therapieformen. „Die klinischen Merkmale allein erlauben nur eine unzureichende Zuordnung zu den Untergruppen. Es ist bei einem neuen Patienten also schwierig, die Therapie sofort passgenau zu bestimmen“, erläutert Binder das Problem.

In den vergangenen Jahren haben Wissenschaftler vermehrt molekulare Daten herangezogen, um Tumorsubgruppen der akuten myeloischen Leukämie zu identifizieren. Dabei wurden sowohl Veränderungen im Erbmaterial als auch Veränderungen in der Gen-Aktivität oder im sogenannten epigenetischen Muster des Erbgutes untersucht. Diese Art von Daten hat zahlreiche Hinweise darauf gegeben, dass eine molekulare Charakterisierung zur Vorhersage von Überlebenswahrscheinlichkeiten und damit auch für Entscheidungen im Therapiemanagement sinnvoll sein kann. Allerdings sind die so identifizierten Untergruppen von AML-Ausprägungen oft noch zu unscharf, um eine optimale Behandlungsplanung für Patienten zu erlauben.

Die im Projekt von Dr. Binder und Dr. Bullinger geplante vernetzte Analyse der molekularen Daten, soll neue Rückschlüsse auf den Zusammenhang verschiedener molekularer Ebenen untereinander ermöglichen und neue Kenngrößen identifizieren, die für die Risikoeinschätzung der Krankheit relevant sind.

Die identifizierten molekularen Größen sollen Experten anschließend im Labor experimentell überprüfen. Anhand der von dort gelieferten Ergebnisse passen Dr. Binder und Dr. Bullinger ihre statistischen Modelle an. Die Wissenschaftler hoffen, dass durch Zusammenarbeit von biomedizinischen Forschern und Statistikern die Aussagekraft der Risikoeinschätzung und die Grundlage für eine Therapieentscheidung sukzessive verbessert werden können.

Die Wilhelm Sander-Stiftung fördert dieses Forschungsprojekt mit über 150.000 Euro. Stiftungszweck der Stiftung ist die medizinische Forschung, insbesondere Projekte im Rahmen der Krebsbekämpfung. Seit Gründung der Stiftung wurden dabei insgesamt über 190 Mio. Euro für die Forschungsförderung in Deutschland und der Schweiz bewilligt. Die Stiftung geht aus dem Nachlass des gleichnamigen Unternehmers hervor, der 1973 verstorben ist.

Kontakt:
PD Dr. Harald Binder, Abteilung für Medizinische Biometrie und Statistik des Universitätsklinikums Freiburg
Forschungsschwerpunkt: statistische Techniken zur Entwicklung molekularer Profile zur Risikovorhersage.
E-Mail: binderh@imbi.uni-freiburg.de
Web: www.fdm.uni-freiburg.de/team/binder
PD Dr. Lars Bullinger,
Klinik für Innere Medizin III am Universitätsklinikum Ulm
Arbeitsschwerpunkt im Projekt: Entwicklung molekularer Strategien zur Behandlungsplanung bei AML

Media Contact

Sylvia Kloberdanz idw

Weitere Informationen:

http://www.wilhelm-sander-stiftung.de

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