Rolando-Epilepsie – eine der häufigsten Epilepsieformen bei Kindern

Nils (7) ist müde, denn er war fast die ganze Nacht wach. Seine Eltern haben ihn um zwei Uhr früh geweckt und nicht wieder schlafen lassen. Jetzt wartet der Junge im Sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) im Elisabeth-Krankenhaus Essen zusammen mit seinem Vater darauf, dass ein so genanntes Schlafentzugs-Elektroenzephalogramm bei ihm gemacht wird.

Das EEG, bei dem die elektrische Aktivität des Gehirns gemessen wird, ist völlig schmerzlos. Der kleine Patient bekommt lediglich eine Haube aufgesetzt, damit die Elektroden Kontakt zu bestimmten Punkten der Kopfhaut haben. Die Untersuchung wird bei Nils durchgeführt, weil die Ärzte vermuten, dass der Junge unter einer bestimmten Form der Epilepsie leidet. Nils weiß nicht, was das ist. Er weiß nur, dass er nachts manchmal wach wird, seine Zunge dann kribbelt und der Mund komisch zuckt. Wenn er deshalb zu seinen Eltern läuft, um ihnen davon zu erzählen, kann er oft nicht sprechen.

„Die so genannte Rolando-Epilepsie ist eine der häufigsten Epilepsieformen und macht etwa zehn bis 15 Prozent aller Epilepsien des Kindesalters aus“, erläutert Dr. Claudio Finetti, Kinderneurologe und Oberarzt im Essener SPZ. „Die Erkrankung kann im Alter von zwei bis zwölf Jahren auftreten, besonders oft aber zwischen dem fünften und siebten Lebensjahr. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen. In der Regel sind die Kinder ansonsten gesund, neurologisch unauffällig und von normaler Intelligenz.“

Typisch für die Anfälle: Sie treten meist nachts kurz nach der Einschlafphase auf. Vor dem eigentlichen Ereignis kommt es häufig zu einer Missempfindung im Bereich der Mundhöhle, der Zunge und des Gesichtes. In seltenen Fällen können solche Missempfindungen sogar das einzige Symptom dieser Epilepsieform sein. Zumeist werden die Kinder allerdings aufgrund von Zuckungen im Bereich der Kaumuskulatur und einer Gesichtshälfte geweckt. Diese treten in unterschiedlich ausgeprägter Intensität auf. Manchmal breitet sich der Anfall auch auf die Schlundmuskulatur aus, so dass die Kinder das Gefühl haben, nicht richtig atmen zu können. Es kommt zu vermehrtem Speichelfluss und das Gesicht verzieht sich zu einer Seite.

Die Kinder können in diesem Moment nicht sprechen und bringen nur noch lallende, unverständliche Laute hervor. „Die Anfälle dauern zumeist nur etwa ein bis zwei Minuten. Die Sprachstörung kann danach jedoch noch einige Minuten anhalten. Das Bewusstsein ist während des gesamten Anfallverlaufes nicht eingetrübt“, so der Essener Kinderneurologe. „Eltern, die noch nie von der Rolando-Epilepsie gehört haben, verkennen das typische Anfallsbild häufig.“

Gesicherte Diagnose

Bei der Rolando-Epilepsie ist in der Regel nur eine ganz bestimmte Region in einer Gehirnhälfte betroffen. Nur in wenigen Fällen dehnt sich diese auf beide Hälften aus. Die epileptische Aktivität spielt sich vor allem in sensiblen und motorischen Feldern der Hirnrinde ab, wobei die motorische Sprachregion mit einbezogen wird. Treten die Anfälle häufiger auf, kann die Diagnose anhand der Anamnese, der neurologischen Untersuchung und des typischen EEG-Befundes gestellt werden. Dabei ist die EEG-Untersuchung – sowohl im Wach- als auch im Schlafzustand – das wichtigste Instrument zur Diagnosestellung. Bei der Rolando-Epilepsie finden sich besonders im Schlaf-EEG gehäuft die epilepsietypischen Veränderungen. Dr. Finetti: „Bei der Befundkonstellation des typischen Anfalles, einer normalen neurologischen Entwicklung sowie einem typischen Wach- und Schlaf-EEG-Befund ist die Diagnose gesichert und jede weitere diagnostische Maßnahme unnötig. Bestehen jedoch noch Zweifel, sollte zusätzlich eine Magnetresonanztomographie des Kopfes durchgeführt werden, um evtl. vorliegende hirnorganische Fehlbildungen nicht zu übersehen.“

Gute Prognose

Die Rolando-Epilepsie ist eine gutartige Erkrankung, die keine neurologischen Schäden hinterlässt. Die meisten Kinder haben nur wenige Anfälle, die vereinzelt über Monate oder Jahre auftreten. Spätestens in der Pubertät werden die Kinder beschwerdefrei und auch die typischen EEG-Veränderungen verschwinden. Bis dahin sollte die Behandlung von einem Kinderneurologen gesteuert werden. Hierzu gehört neben der sicheren Diagnosestellung auch die eingehende Beratung der Eltern und des betroffenen Kindes sowie ggf. der Beginn einer vorbeugenden medikamentösen Therapie und regelmäßige Verlaufskontrollen. „Die Erkrankung spricht sehr gut auf eine medikamentöse Therapie an“, so Dr. Finetti. „Diese ist allerdings nur bei gehäuftem Auftreten der Anfälle notwendig. Der Arzt wird dann ein Medikament verschreiben, das möglichst wenig Nebenwirkung hat und für das Kind gut verträglich ist. Eine solche Behandlung wird in der Regel für einen Zeitraum von etwa zwei Jahren angesetzt. Ein Absetzversuch ist aber bereits ein Jahr nach Anfallsfreiheit möglich. In manchen begründeten Ausnahmefällen und nach Absprache mit den Eltern kann evtl. auch auf eine medikamentöse Therapie dieser gutartigen Epilepsie ganz verzichtet werden.“ Die Eltern von betroffenen Kindern sollten immer darauf achten, dass ihr Kind ausreichend Schlaf bekommt, denn es ist bekannt, das Schlafentzug ein Anfallsauslöser sein kann. Und noch eins ist wichtig zu wissen: „In seltenen Fällen kann sich aus einem typischen Anfall der Rolando-Epilepsie ein generalisierter tonisch-klonischer Anfall entwickeln – mit Bewusstlosigkeit und einer Anspannung und Versteifung der gesamten Körpermuskulatur“, erläutert Dr. Finetti. „Wir wollen die Eltern nicht beunruhigen, sie aber auf diese Möglichkeit vorbereiten. Aus diesem Grund geben wir ihnen auch Notfallmedikamente mit und klären sie darüber auf, unter welchen Umständen sie diese verabreichen sollen.“

Nach der Untersuchung zeigt der Kinderneurologe Nils ein Blatt mit vielen wirren EEG-Kurven und erklärt sie dem Jungen. Danach wird mit seinem Vater das Für und Wider einer täglichen Medikamenteneinnahme besprochen. Nils muss nun regelmäßig zwei Mal am Tag eine Tablette einnehmen, die ihm helfen soll, dass er nachts nicht mehr diese komischen Zustände bekommt. Der Junge freut sich darüber, dass er jetzt nach Hause und morgen wieder ganz normal in die Schule gehen kann. Am meisten jedoch freut er sich auf sein Bett, da er aufgrund der sehr kurzen letzten Nacht und den Aufregungen des Tages hundemüde ist.

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EKE

Weitere Informationen:

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