Wie reagiert der menschliche Kreislauf auf Aufenthalte im Weltraum und auf Bettlägerigkeit?

Das Herz-Kreislaufsystem von uns Menschen ist auf der Erde unter den Bedingungen der Schwerkraft entstanden, die wir als „normal“ betrachten. Eine Vielzahl von Reflexen greift nahtlos und unbemerkt ineinander, um stets den Blutfluss zum Gehirn auch entgegen der nach unten wirkenden Schwerkraft aufrecht zu erhalten. Was aber passiert, wenn die Schwerkraft wegfällt oder sich ändert? Etwa wenn Astronauten monatelang schwerelos um die Erde kreisen? Aber auch bemannte Missionen zum Mond und zum Mars sind längst mehr als nur ferne Spekulationen.

Ein interdisziplinäres Team aus Ärzten und Wissenschaftlern der Universität Witten/Herdecke und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) unter Leitung von Prof. Dr. Frank Wappler, Lehrstuhlinhaber für Anästhesiologie an der UW/H, untersucht die Auswirkungen der Schwerkräfte von Mond und Mars auf den menschlichen Kreislauf. Bislang war es nicht möglich, die Schwerkraftverhältnisse dieser Himmelskörper auf der Erde zu erzeugen und somit für wissenschaftliche Experimente zu nutzen.

„Diese einmalige Chance boten uns nun die ersten Parabelflüge mit einem Airbus, die nicht völlige Schwerelosigkeit, sondern die Gravitationskräfte von Mond oder Mars herstellten“, beschreibt Paula Beck, Alumna der UW/H und Ärztin in Weiterbildung für Chirurgie im Helios-Klinikum Wuppertal, die neue Forschungssituation.

Das DLR, die European Space Agency (ESA) und die französische Raumfahrtagentur CNES bieten gemeinsam die erste europäische Parabelflugkampagne mit partieller Schwerkraft (First Joint European Partial G Parabolic Flights) an. Im französischen Bordeaux hat das fliegende Labor bereits bei über 10.000 Parabelflugmanövern jeweils 22 Sekunden Schwerelosigkeit erzeugt und somit Biologen, Physikern und Lebenswissenschaftlern einmalige Forschungsmöglichkeiten eröffnet. Nun also nicht nur Schwerelosigkeit, sondern die Schwerkraft von Mond und Mars. In drei Flugtagen der Kampagne wurden insgesamt 36 Marsparabeln, 39 Mondparabeln und 18 Schwerelosigkeitsparabeln geflogen.

„Wir konnten im Rahmen unserer Studie insgesamt 59 Aufstehversuche mit 6 Probanden durchführen und die Daten sehen sehr vielversprechend aus.“ Ulrich Limper, Assistenzarzt in der Anästhesie des Wittener Universitätsklinikums Köln-Merheim, ist zufrieden mit dem Ablauf des monatelang geplanten und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie geförderten Experiments. Die Probanden mussten, mit Elektroden und einem speziellen Fingerblutdruckmessgerät bestückt, von einer Liege aufstehen und dann möglichst ruhig stehenbleiben, während Herzschlag, Blutdruck und weitere Kreislaufparameter von sensiblen Messgeräten millisekundengenau aufgezeichnet wurden.

Die Ergebnisse der Studie sollen nicht nur helfen, mögliche Gefahren für Astronauten im Vorfeld ihrer zukünftigen Missionen zu Mond und Mars zu erkennen, sondern dienen auch höchst irdischen Zwecken: Vor allem bei bettlägerigen Patienten kommt es häufig zu einer Schwächung des Kreislaufsystems, ähnlich wie in langen Phasen der Schwerelosigkeit. Je genauer man das menschlichen Kreislaufsystem unter diesen Bedingungen versteht, desto gezielter können Gegenmaßnahmen entwickelt werden.

Ein Folgeexperiment ist bereits in Planung, Ulrich Limper und Paula Beck werden dieses nicht nur durchführen, sondern auch wieder selber als Probanden fungieren: „Spritzen gegen Übelkeit, Blutentnahmen vor und nach dem Flug, sehr eingeschränkte Bewegungsmöglichkeiten, wir wissen genau, was wir unseren Versuchspersonen zumuten.“ Auch wenn für die beiden Ärzte die Wissenschaft im Vordergrund steht, bleibt doch jeder Parabelflug etwas Besonderes: „Wenn plötzlich der Boden wegkippt und man selber in der Luft stehenbleibt und schwebt, oder wenn man in der Mondschwerkraft nur noch ein Sechstel seines Gewichts hat und einfingrige Klimmzüge kein Problem sind, das ist das immer wieder ein unbeschreibliches Gefühl.“

Weitere Informationen bei Paula Beck (paula.beck@gmx.net oder Handynummer unter 02302/926-849/805)

Die Universität Witten/Herdecke (UW/H) nimmt seit ihrer Gründung 1982 eine Vorreiterrolle in der deutschen Bildungslandschaft ein: Als Modelluniversität mit rund 1.300 Studierenden in den Bereichen Gesundheit, Wirtschaft und Kultur steht die UW/H für eine Reform der klassischen Alma Mater. Wissensvermittlung geht an der UW/H immer Hand in Hand mit Werteorientierung und Persönlichkeitsbildung.

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Kay Gropp Universität Witten/Herdecke

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