Psychotherapie bei somatoformen Störungen wirksamer als medizinische Standardbehandlung

Somatoforme Störungen zählen zu den häufigsten Gründen für Besuche bei Allgemein- und Fachmedizinern. Wie eine große Studie zeigt, lindert eine Kurzzeittherapie derartige Symptome zuverlässiger als die Standardbehandlung gemäß der aktuellen Leitlinien: Eine zwölfstündige Psychotherapie bessert sowohl die Beschwerden als auch die Lebensqualität der Patienten – und sie kostet weniger. Auf dem Deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie vom 23. bis 26. März 2011 in Essen stellen Experten die Studienergebnisse detailliert vor.

Schon im Alter von 15 bis 29 Jahren leidet laut einer aktuellen Analyse der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) jeder zehnte Bundesbürger an einer somatoformen Störung, die chronisch zu werden droht. Sie sind Schätzungen zufolge für bis zu 30 Prozent aller Besuche bei Hausärzten verantwortlich. Bis zur richtigen Therapie vergehen oft Jahre. „Seelisch bedingte körperliche Beschwerden bedeuten für Patienten ähnlich viel Leid wie organisch verursachte Erkrankungen“, erläutert Professor Dr. med. Peter Henningsen, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum rechts der Isar in München. Die vergebliche Suche nach den Auslösern schüre zudem Ängste und das Gefühl, sich nicht mehr auf seinen Körper verlassen zu können. „Die Beschwerden schränken die Menschen im Alltag stark ein und bergen das Risiko für eine Depression, da sich die Betroffenen oftmals auch sozial zurückziehen“, ergänzt Professor Henningsen. Zudem verursachen Untersuchungen und Behandlungsversuche beträchtliche Kosten für das Gesundheitssystem.

Dass eine speziell entwickelte Psychotherapie selbst gegen schwere somatoforme Störungen hilft, zeigt die an sechs deutschen Kliniken durchgeführte PISO-Studie. PISO steht für Psychodynamisch-Interpersonelle Therapie bei somatoformen Störungen. Die 208 Teilnehmer litten seit durchschnittlich zehn Jahren im Mittel an zehn Symptomen wie Schmerzen, Schwindel, Müdigkeit oder Reizdarm. Eine Hälfte der Patienten wurde gemäß den aktuellen Leitlinien für somatoforme Probleme ausführlich informiert und beraten. Die übrigen unterzogen sich der sogenannten Psychodynamisch-Interpersonellen Therapie: In zwölf wöchentlichen Sitzungen klärten Psychotherapeuten die Patienten über die Hintergründe psychosomatischer Erkrankungen auf, schulten sie im Umgang mit ihren Beschwerden oder zeigten ihnen Entspannungstechniken.

Anfangs wirkten beide Methoden. Aber während diese Entwicklung in der konventionell behandelten Gruppe bald stehenblieb, besserten sich die Symptome und die Lebensqualität der übrigen Patienten auch noch neun Monate nach der Therapie. In der Standardbehandlung blieb der Anteil der Teilnehmer mit einer schweren Depression konstant. In der PISO-Gruppe sank er von 44 auf 26 Prozent. Während der Nachbeobachtung ging auch die Zahl der Arztbesuche zurück. „Selbst Patienten mit schweren somatoformen Störungen und starker Depressivität können wir mit psychosomatischen Therapieansätzen gut behandeln“, bilanziert Professor Henningsen im Vorfeld des Kongresses. Jedoch gebe es bei dieser Patientengruppe noch erhebliche Probleme in der Versorgung: „Bis zur richtigen Therapie vergeht unnötig viel Zeit. Eine engere Zusammenarbeit von somatischer und psychosozialer Medizin könnte die Beschwerden früher lindern“, betont Psychosomatiker Henningsen, der zusammen mit europäischen Kollegen Vorschläge für eine bessere Versorgung erarbeitet. Ausführliche Ergebnisse der PISO-Studie stellen die Forscher auf dem Deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie vom 23. bis 26. März 2011 in Essen vor.

Terminhinweise:
Deutscher Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
23. bis 26. März 2011, Congress Center Essen (Eingang West)
Kongress-Pressekonferenz:
Donnerstag, 24. März 2011, 12.45 bis 13.45 Uhr, Konferenzraum N (Congress Center Süd, Essen)

Eines der Themen: Körperbeschwerden ohne Befund: eingebildete Krankheit oder echtes Leiden?

State of the Art: Das Fibromyalgiesyndrom – eine somatoforme Störung?
Donnerstag, 24. März 2011, 11.00 bis 12:30 Uhr, Congress Center Süd, Saal Deutschland
Symposium: Chronischer Schmerz und Traumatisierung: Hintergründe, Zusammenhänge und Therapiemöglichkeiten

Donnerstag, 24. März 2011, 18.00 bis 19.30 Uhr, Congress Center West, Saal New York

State of the Art: Somatoforme Störungen
Freitag, 25. März 2011, 11.00 bis 12.30 Uhr, Congress Center Süd, Saal Rheinland
Symposium: Die PISO-Studie – eine psychosomatische Intervention bei somatoformen Störungen: ausgewählte Ergebnisse

Freitag, 25. März 2011, 18.00 bis 19.30 Uhr, Congress Center West, Saal Mailand

Symposium: Moderne Bildgebung: Psychische Prozesse sehen, verstehen und in die Therapie integrieren

Freitag, 25. März 2011, 18.00 bis 19.30 Uhr, Congress Center Süd, Saal Deutschland

Pressekontakt für Rückfragen:
Deutscher Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Pressestelle
Anne-Katrin Döbler, Christine Schoner
Postfach 30 11 20, 70451 Stuttgart,
Tel: 0711 8931-573; Fax: 0711 8931-167
schoner@medizinkommunikation.org
http://www.deutscher-psychosomatik-kongress.de

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