Proteine auf Wanderschaft: Neue Einblicke in die Mechanismen der Parkinson-Krankheit

Bei der Parkinson-Erkrankung sammeln sich Klumpen des Proteins „Alpha-Synuclein“ in Nervenzellen an. Je weiter die Krankheit fortschreitet, desto weiter breiten sich diese schädlichen Proteinansammlungen in bestimmte Bereiche des Gehirns aus. Die Vorgänge, die dieser Ausbreitung zu Grunde liegen, sind bislang kaum verstanden.

Sie könnten darauf beruhen, dass sich das Protein – oder abnorme Versionen davon – über Nervenverbindungen zwischen niederen und höheren Hirnregionen ausbreitet. Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn haben eine neue experimentelle Methode entwickelt, die das typische Muster dieser Ausbreitung erstmals nachbildet und so wichtige Einblicke in die Mechanismen der Krankheit ermöglicht. Hierzu induzierten die Forscher im Hirnstamm von Ratten die Produktion von menschlichem Alpha-Synuclein und verfolgten die Ausbreitung des Proteins in höher gelegene Hirnbereiche. Das neue Modellverfahren könnte Wege aufzeigen, um den Krankheitsverlauf beim Menschen zu verlangsamen oder zu stoppen. Das Forscherteam um Prof. Donato Di Monte stellt diese Ergebnisse nun im Fachjournal „EMBO Molecular Medicine“ vor.

Parkinson ist eine Erkrankung des Nervensystems, die in der Regel Bewegungsstörungen auslöst, welche beispielsweise mit unkontrollierbaren Zitterbewegungen der Gliedmaßen einhergehen. Überdies verursacht sie auch nicht-motorische Symptome wie Schlafstörungen und Depressionen.

Bislang ist die Parkinson-Krankheit nicht heilbar, auch wenn manche Therapien in der Lage sind, bestimmte Symptome zu lindern. Dazu zählt beispielsweise die Behandlung mit Arzneimitteln, die die Wirkung des körpereigenen Botenstoffes Dopamin nachahmen und die Bewegungsstörungen verringern. Parkinson ist die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung nach Alzheimer. Es wird geschätzt, dass allein in Deutschland 100.000 bis 300.000 Menschen von Parkinson betroffen sind.

Zu einem kleinen Prozentsatz geht Parkinson auf genetische Faktoren zurück, die familiär vererbt werden. Doch für die überwiegende Mehrheit der Fälle ist die Krankheitsursache unbekannt. Die Entwicklung dieser sporadisch auftretenden Krankheitsform wird wahrscheinlich von Umwelteinflüssen und genetischen Risikofaktoren gefördert. Auffällig ist, dass sich im Gehirn von Patienten mit sporadischem und familiären Parkinson-Syndrom Protein-Ansammlungen in den Nervenzellen bilden und dort ablagern. Diese Ablagerungen wurden erstmals vom deutschen Neurologen Friedrich Lewy beschrieben und werden daher „Lewy-Körperchen“ genannt.

„Es war eine wichtige Entdeckung in den späten 90er-Jahren, dass Lewy-Körperchen entstehen, wenn das Protein Alpha-Synuclein verklumpt“, sagt Di Monte. „Seitdem hat man auch nachweisen können, dass sich im Laufe der Erkrankung Alpha-Synuclein fortschreitend im Gehirn von Patienten mit Parkinson-Syndrom ansammelt.“

Pathologische Untersuchungen von menschlichen Gehirnen zeigen, dass in der Regel die Ablagerungen zunächst im Hirnstamm, in einem Gebiet namens „Medulla oblongata“ entstehen. In späteren Krankheitsstadien werden diese Aggregate jedoch auch zunehmend in höheren („rostralen“) Hirnregionen beobachtet. Dazu gehören das Mittelhirn und die Hirnrinde.

„Diese Ausbreitung scheint einem typischen Muster zu folgen, das auf anatomischen Verbindungen zwischen den Hirnregionen beruht“, sagt der Neurowissenschaftler. „So kam die Hypothese auf, dass das Protein Alpha-Synuclein, oder anomale Formen davon, zwischen miteinander verbundenen Nervenzellen übertragen werden kann und dass es auf diese Weise innerhalb des Gehirns wandert. Doch bislang gab es keine Möglichkeit, diese Ausbreitung ausgehend von der Medulla oblongata im Labor nachzubilden. Unklar ist auch, was die Übertragung des Proteins oder seiner Aggregate zwischen den Neuronen auslösen könnte. Wir haben nun ein experimentelles Modell entwickelt, das die Untersuchung dieser grundlegenden Fragen ermöglicht.“

Vom Nacken ins Gehirn

Das Konzept der Forscher beruht darauf, die Ausbreitung von Alpha-Synuclein in Ratten nachzubilden: Dafür schleusten sie den Bauplan der menschlichen Variante von Alpha-Synuclein in das Gehirn der Ratten ein. Als Transportmittel diente ein maßgeschneidertes Virus-Teilchen. Dieses wurde von den Wissenschaftlern in Nervenfasern im Nacken der Tiere injiziert. Über diese Fasern gelangte der genetische Bauplan des Proteins bis in die Medulla oblongata. Dortige Nervenzellen, die das Erbgut aufgenommen hatten, begannen nun damit, menschliches Alpha-Synuclein in großen Mengen herzustellen.

„Wir haben gute Gründe davon auszugehen, dass die Medulla oblongata ein primärer Entstehungsort der frühen Krankheitsentwicklung ist. Deshalb wollten wir die Produktion von menschlichem Alpha-Synuclein gezielt in diesem Teil des Gehirns induzieren. Die Medulla oblongata ist über chirurgische Eingriffe schwierig zu erreichen. Aus diesem Grund haben wir die Viruspartikel in den Nervus Vagus injiziert. Das ist ein langer Nerv, der sich vom Bauchraum über den Nacken bis zur Medulla oblongata ausdehnt. Der Nerv diente als Zugang zum Gehirn und insbesondere zur Medulla oblongata“, erläutert Di Monte.

Ein wanderndes Protein

Die Forscher verfolgten die Produktion und Ausbreitung des menschlichen Alpha-Synucleins im Rattenhirn über einen Zeitraum von viereinhalb Monaten nach Verabreichung der Viruspartikel. Wie vorhergesagt, wurde das fremde Protein nur in solchen Nervenzellen der Medulla oblongata hergestellt, die mit dem Nervus Vagus verbunden waren. Nach zwei Monaten jedoch fanden die Forscher das menschliche Protein auch in Hirnregionen, die von der Medulla oblongata mehr und mehr entfernt lagen. Diese „caudo-rostrale“ Ausbreitung von niederen in höhere Hirnregionen geschah von Nervenzelle zu Nervenzelle und entlang bestimmter Nervenbahnen. In den Fortsätzen jener Nervenzellen, die menschliches Alpha-Synuclein aufgenommen hatten, stellten die Wissenschaftler morphologische Veränderungen (zum Beispiel Schwellungen) fest.
Die Studie, die zum Teil durch die Blanche A. Paul Foundation finanziert wurde, liefert eine Reihe wichtiger Befunde: Sie reproduziert ein Muster der Protein-Verteilung, dass die fortschreitenden Ausbreitung von krankhaftem Alpha-Synuclein, wie sie beim Parkinson-Syndrom auftritt, simuliert. Ein ebenso wichtiges Ergebnis ist, dass die Ausbreitung durch Überproduktion von Alpha-Synuclein im Hirnstamm ausgelöst wurde.

„Die Überproduktion von Alpha-Synuclein ist einer der Faktoren, die maßgeblich die Entwicklung von Parkinson fördern können. Weitere Faktoren sind z.B. der Alterungsprozess, neuronale Verletzungen oder genetische Polymorphismen“, so Di Monte. „Unsere Ergebnisse deuten daraufhin, dass es eine mechanistische Verbindung zwischen den Risikofaktoren der Erkrankung, einem erhöhtem Alpha-Synuclein-Spiegel, der Verbreitung des Proteins und seiner krankhaften Anhäufung gibt.“

Einblick in Anfangsstadium von Parkinson

Das neue Modell ahmt Ereignisse nach, die wahrscheinlich in den frühen Stadien dieser Erkrankung auftreten – in Abwesenheit von Verhaltensauffälligkeiten (bei Ratten) oder klinischen Anzeichen (bei Patienten). „Es wird daher ein wertvolles Werkzeug sein, um Mechanismen der frühen Krankheitsentwicklung zu untersuchen. Mechanismen, die man therapeutisch gezielt ansprechen könnte. Ein frühzeitiger Eingriff hat eine größere Wahrscheinlichkeit, die Ausbreitung der Pathologie und das Fortschreiten der Krankheit zu verhindern oder zu stoppen“, sagt Di Monte.
Originalveröffentlichung
„Caudo-rostral Brain Spreading of α-Synuclein through Vagal Connections“, Ayse Ulusoy, Raffaella Rusconi, Blanca I. Pérez-Revuelta, Ruth E. Musgrove, Michael Helwig, Bettina Winzen-Reichert, Donato A. Di Monte, EMBO Molecular Medicine (2013), DOI: 10.1002/emmm.201302475 – http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/emmm.201302475/abstract

Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) erforscht die Ursachen von Erkrankungen des Nervensystems und entwickelt Strategien zur Prävention, Therapie und Pflege. Es ist eine Einrichtung in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren mit Standorten in Berlin, Bonn, Dresden, Göttingen, Magdeburg, München, Rostock/Greifswald, Tübingen und Witten. Das DZNE kooperiert eng mit Universitäten, deren Kliniken und außeruniversitären Einrichtungen. Website: http://www.dzne.de

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Dr. Marcus Neitzert idw

Weitere Informationen:

http://www.dzne.de

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