Nervöser Darm kann genetische Ursachen haben

Nervöse Störungen des Darms können genetische Ursachen haben. Diesen Zusammenhang haben Wissenschaftler des Instituts für Humangenetik des Universitätsklinikums Heidelberg entdeckt. Bisher gelten die Ursachen für das so genannte Reizdarmsyndrom, eine der häufigsten Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts, als unklar – was Diagnose und Therapie stark erschwert.

Die Heidelberger Ergebnisse, die in der renommierten Fachzeitschrift „Human Molecular Genetics“ veröffentlicht wurden, verbessern die Aussichten auf ein wirkungsvolles Medikament gegen ein Leiden, das häufig als funktionelle Störung verharmlost wird.

In Deutschland geht man von rund fünf Millionen Betroffenen aus, bei Frauen etwa doppelt so häufig wie Männern. Insgesamt suchen aber nur rund 20 Prozent aller Betroffenen überhaupt einen Arzt auf. Manche Patienten leiden unter Verstopfung, andere unter heftigen Durchfällen oder an einem Wechsel aus beiden. Durch die oft Monate oder Jahre andauernde Erkrankung ist das Allgemeinbefinden und die Lebensqualität der Patienten stark beeinträchtigt.

Veränderte Rezeptoren führen zu Überreizung des Darms

Eine entscheidende Rolle für die komplizierten Vorgänge im Verdauungstrakt spielt das Hormon Serotonin – ebenso wie es den Schlaf, die Stimmung und den Blutdruck beeinflusst. Auf den Darmzellen sitzen verschiedene Typen von Rezeptoren, an die das Serotonin nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip bindet und so zelluläre Signale weiterleitet.

„Wir haben festgestellt, dass Patienten, die an Reizdarmsyndrom mit Durchfällen leiden, häufiger bestimmte genetische Veränderungen aufweisen“, erklärt Dr. Beate Niesler, die mit ihrem Team in der Abteilung Molekulare Humangenetik (Direktorin: Prof. Gudrun Rappold) am Heidelberger Institut für Humangenetik (Ärztlicher Direktor: Professor Dr. Claus Bartram) genetische Ursachen komplexer Erkrankungen erforscht. Diese Veränderungen scheinen dazu zu führen, dass der Aufbau oder die Anzahl der Rezeptoren, von Proteinen in der Zellwand, verändert ist. „Die Reizweiterleitung im Verdauungstrakt wird gestört, und es kommt so zu einer Überreizung des Darms. Dadurch bedingte Störungen im Wasserhaushalt könnten eine Erklärung für die Entstehung der Durchfälle sein“, sagt Dr. Beate Niesler.

Medikament hemmt die Serotonin-Rezeptoren

Abhilfe könnte ein Medikament namens Alosetron verschaffen, das in den USA zwar zugelassen ist, aber wegen seiner Nebenwirkungen nur unter starken Einschränkungen verschrieben werden darf. In Deutschland ist es nicht erhältlich. Alosetron hemmt die Serotonin-Rezeptoren im Darmtrakt und verlangsamt so die Bewegung des Stuhls.

„Zurzeit werden in Deutschland Patienten mit Reizdarmsyndrom nach dem Prinzip Versuch und Irrtum behandelt“, erklärt Dr. Beate Niesler. Die Heidelberger Forschungsarbeiten könnten dazu dienen, aufgrund bestimmter Genveränderungen bei Patienten spezifische Medikamente zu entwickeln und zu verordnen.

Zusammenhänge mit Depression und Schmerzempfinden

Die Erforschung des Serotonin-Systems zeigt interessante Zusammenhänge auf: Die Serotonin-Rezeptoren sitzen auch auf Nervenbahnen zur Schmerzweiterleitung und könnten diese beeinflussen – was erklären würde, warum Patienten mit Reizdarmsyndrom häufig über starke Schmerzen klagen, obwohl keine krankhaften Veränderungen wie Entzündungen oder Tumore festzustellen sind. Auffällig ist auch, dass Menschen mit veränderten Rezeptoren häufiger an Depressionen leiden.

Literatur
J. Kapeller et al., First evidence for an association of a functional variant in the microRNA-510 target site of the serotonin receptor-type 3E gene with diarrhea predominant irritable bowel syndrome, Human Molecular Genetics, 2008, Vol.17, No.19, 2967-2977.

(Die Originalartikel können bei der Pressestelle des Universitätsklinikums Heidelberg unter contact@med.uni-heidelberg.de angefordert werden.)

Ansprechpartner
Dr. Beate Niesler, PhD
Universität Heidelberg
Institut für Humangenetik
Im Neuenheimer Feld 366
69120 Heidelberg
Tel.: 06221/56 50 58
Email: beate.niesler@med.uni-heidelberg.de
www.klinikum.uni-heidelberg.de/HTR3.100142.0.html
Bei Rückfragen von Journalisten:
Dr. Annette Tuffs
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Universitätsklinikums Heidelberg
und der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 672
69120 Heidelberg
Tel.: 06221 / 56 45 36
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