Mikrobielle "Aufforstung" des Darms bei Entzündungen

Mikroskopische Identifizierung der Mikrobiota im gesunden (links) und entzündeten Darm (rechts) mittels spezifischer Gensonden. Darmentzündungen führen zur Verdrängung gesundheitsunterstützender Bakterien z.B. Buttersäure-produzierende Clostridia (links in gelb) durch andere Bakterien (rechts), die in manchen Fällen die Heilung der Darmschleimhaut verzögern.<br><br>Copyright: Alexander Loy<br>

Bei dieser ungewöhnlichen Alternativtherapie wird die Darm-Mikrobiota von gesunden Spenderinnen auf Personen übertragen, die an Darmerkrankungen leiden. Die Ergebnisse dieser klinischen Pilotstudie erscheinen aktuell in der Fachzeitschrift „American Journal of Gastroenterology“.

In Europa leiden rund zwei Millionen Menschen an chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Durch die fortschreitende Gewebszerstörung sind oft operative Entfernungen von Darmabschnitten notwendig. Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sind die häufigsten Ausprägungen dieser Erkrankungen, deren genauen Ursachen noch weitgehend ungeklärt sind. Neben genetischen Faktoren und Umwelteinflüssen, wie dem Lebensstil, wird für das Auslösen der Erkrankungen auch eine gestörte Darm-Mikrobiota verantwortlich gemacht. Eine vollständige Heilung ist nicht möglich. „Wenn die gängigen medikamentösen Therapien versagen, ist die Entfernung von Teilen des entzündeten Darms derzeit das letzte Mittel der Wahl“, erklärt Walter Reinisch, Gastroenterologe an der Universitätsklinik für Innere Medizin III der MedUni Wien und Initiator der Studie.

Fäkaltransplatation: die Alternativtherapie mit dem gewissen Ekelfaktor

Der Gedanke an die Übertragung von Fäkalien in den eigenen Körper verursacht natürlicherweise einen gewissen Ekel. Bei vielen infektiösen und chronischen Durchfallerkrankungen ist die Darm-Mikrobiota massiv verändert. Das Ziel der Fäkaltransplantation ist daher die Wiederherstellung der natürlichen Darm-Mikrobiota und damit eine Verbesserung des Krankheitszustands. „Metastudien haben gezeigt, dass die kontrollierte Transplantation der Fäkalmikrobiota von gesunden SpenderInnen eine sichere und sehr effiziente Behandlung von Durchfallerkrankungen ist, deren Erreger der Clostridium difficile-Keim ist“, berichtet Sieglinde Angelberger, Gastroenterologin an der Universitätsklinik für Innere Medizin III der MedUni Wien und Erstautorin der Studie: „Dies war der Grund, warum wir diese Therapie auch zur Behandlung von PatientInnen mit chronischen Darmerkrankungen in Betracht gezogen haben“.

Sukzessive Besiedelung durch Spender-Darmbakterien

„Bislang ist noch nie wissenschaftlich überprüft worden, ob und wie eine erfolgreiche Fäkaltransplantation zur dauerhaften Besiedelung der/s Patientin/en durch die Darmbakterien der/s gesunden Spenderin/s führt“, so Alexander Loy vom Department für Mikrobielle Ökologie der Universität Wien: „Wir haben daher die Zusammensetzung der Darm-Mikrobiota der PatientInnen mittels moderner DNA-Sequenzierungsmethoden erstmals über einen Zeitraum von bis zu drei Monaten nach der Behandlung verfolgt.“

Das Darmökosystem jeder/s einzelnen Patientin/en reagierte sehr unterschiedlich auf die Fäkaltransplantation. Darmbakterien der SpenderInnen konnten in den PatientInnen nachgewiesen werden, aber zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in verschiedenen Häufigkeiten. „Obwohl die Mechanismen unbekannt sind, erinnert die zeitliche Abfolge der Neubesiedelung des Darms durch die Bakterien der SpenderInnen an die Sukzession eines Waldes nach einem Sturmschaden“, erläutert Mikrobiologe David Berry: „Pionierarten besiedeln das abgeholzte Gebiet, in diesem Fall den entzündeten Darm, zuerst und verändern das Ökosystem so, dass sich weitere Arten ansiedeln können.“

Kooperation zwischen angewandter Medizin und Grundlagenforschung

„Durch die Zusammenarbeit mit der Medizinischen Universität Wien bot sich für uns erstmals die Möglichkeit, unsere im Rahmen des Projektes InflammoBiota erworbene Expertise zur Untersuchung der Darm-Mikrobiota von PatientInnen einzusetzen“, berichtet Alexander Loy. Das Verbundprojekt InflammoBiota (http://gutmicrobiota.univie.ac.at/inflammobiota/) wird durch das österreichische Genomforschungsprogramm GEN-AU (http://www.gen-au.at/) des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung finanziert und widmet sich der Erforschung der immunologischen und mikrobiellen Ursachen entzündlicher Darmerkrankungen.

Publikation in American Journal of Gastroenterology

Temporal bacterial community dynamics vary among ulcerative colitis patients after fecal microbiota transplantation
Von: Sieglinde Angelberger, Walter Reinisch, Athanasios Makristathis, Cornelia Lichtenberger, Clemens Dejaco, Pavol Papay, Gottfried Novacek, Michael Trauner, Alexander Loy und David Berry.
In: American Journal of Gastroenteroloy (AJG), September 2013.
http://www.nature.com/ajg/journal/vaop/ncurrent/full/ajg2013257a.html
Beteiligte Institutionen
Department für Mikrobielle Ökologie, Fakultät für Lebenswissenschaften der Universität Wien und Klinische Abteilung für Mikrobiologie und Klinische Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie der Medizinischen Universität Wien.
Wissenschaftlicher Kontakt
Ass.-Prof. Dr. Alexander Loy
Department für Mikrobielle Ökologie
Universität Wien
1090 Wien, Althanstrasse 14
T +43-1-4277-54 317
alexander.loy@univie.ac.at
Ass.-Prof. Dr. David Berry
Department für Mikrobielle Ökologie
Universität Wien
1090 Wien, Althanstrasse 14
T +43-1-4277-57321
david.berry@univie.ac.at
Ao.-Univ. Prof. Dr. Walter Reinisch
Innere Medizin III, Klinische Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie
Medizinische Universität Wien
Währinger Gürtel 18-20, A-1090 Wien
T +43-1-40400 4741
walter.reinisch@meduniwien.ac.at
Dr. Sieglinde Angelberger
Innere Medizin III, Klinische Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie
Medizinische Universität Wien
Währinger Gürtel 18-20, A-1090 Wien
T +43-1-40400 4741
sieglinde.angelberger@meduniwien.ac.at
Rückfragehinweise
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Pressebüro der Universität Wien
Forschung und Lehre
1010 Wien, Universitätsring 1
T +43-1-4277-175 33
M +43-664-602 77-175 33
alexandra.frey@univie.ac.at
Mag. Johannes Angerer
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