Warum man sich an Unerwartetes besser erinnert

Diese Hypothese konnten Neurowissenschaftler der Universität Bonn jetzt in einer Patientenstudie bekräftigen: Wenn die Probanden sich Bilder einprägten, die nicht zu einem bestimmten Konzept passten, war das Belohnungszentrum im Gehirn aktiver als bei den herkömmlichen Bildern. Die Studie in Zusammenarbeit mit den Universitäten Köln, Freiburg und Davis (Kalifornien) wurde heute in dem Fachmagazin „Neuron“ veröffentlicht.

Ereignisse werden dann besonders gut abgespeichert, wenn das Gedächtniszentrum starke Signale aus dem Belohnungszentrum erhält – und das ist nicht nur bei tatsächlich belohnungsrelevanten, sondern auch bei unerwarteten Ereignissen offensichtlich der Fall. Das Forscherteam um Dr. Nikolai Axmacher von der Klinik für Epileptologie der Universität Bonn untersuchte bei Patienten die Aktivität von zwei Gehirnregionen: zum einen die des Nucleus accumbens, einem Teil des Belohnungszentrums, zum anderen die Aktivität des Hippocampus, dem Gedächtniszentrum. „Die Ergebnisse bestätigen, dass die beiden Gehirnregionen miteinander wechselwirken“, erklärt Dr. Nikolai Axmacher, „und zwar bei unerwarteten Ereignissen besonders stark.“ Daher könne man sich an Unvorhergesehenes hinterher besser erinnern.

„Stellen Sie sich vor, Sie stehen morgens auf und alles passiert wie immer“, erläutert Dr. Axmacher. „Sie kaufen sich einen Kaffee, fahren zur Arbeit und setzen sich an den Computer – dann ist es unwahrscheinlich, dass Sie sich später noch an viele Details erinnern.“ Geschehe allerdings etwas Unerwartetes – egal, ob positiv oder negativ – sehe das ganz anders aus: „Wenn Sie sich Kaffee über die Hose schütten oder einen Kaffee geschenkt bekommen, dann ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass Sie sich später noch daran erinnern“, sagt der Mediziner.

Dieser Effekt ist schon länger bekannt. Bisher war aber unklar, wie das Gehirn das bewerkstelligt. Die Hypothese: Zunächst überprüft der Hippocampus, ob das eingetroffene Ereignis mit der Erwartungshaltung übereinstimmt und gibt diese Information an den Nucleus accumbens weiter. Dort wird daraufhin der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet, und zwar umso mehr, je stärker das Ereignis von der Erwartungshaltung abweicht. Je mehr Dopamin ausgeschüttet wird, umso wahrscheinlicher ist es, dass der Hippocampus das Ereignis ins Langzeitgedächtnis überschreibt.

Dem Gehirn bei der Arbeit zugeschaut

Das Forscherteam um Dr. Nikolai Axmacher untersuchte jetzt erstmals die beteiligten Gehirnregionen am Menschen direkt: an Patienten, die gegen Epilepsie oder schwere Depressionen behandelt wurden und denen daher Elektroden ins Gehirn eingesetzt worden waren. Acht Epilepsiepatienten mit Elektroden im Hippocampus und sechs Depressionspatienten mit Elektroden im Nucleus accumbens nahmen an der Studie teil.

Die Probanden sollten sich Bilder auf einem Computerbildschirm einprägen, und zwar Bilder mit Gesichtern auf rotem Hintergrund und Bilder mit Häusern auf grünem Hintergrund. Dabei war stets die eine Art von Bildern deutlich in der Überzahl, die andere Art von Bildern wurde viel seltener gezeigt und kam daher unerwartet für die Probanden. Waren die Gesichter auf rotem Hintergrund besonders häufig, dann konnten sich die Patienten hinterher tatsächlich etwa anderthalbmal besser an die Häuser auf grünem Hintergrund erinnern und umgekehrt.

„Wir haben während der Einprägungsphase die Aktivität in den beteiligten Gehirnregionen gemessen“, erklärt Dr. Axmacher, „und dabei im Hippocampus zwei Potenziale registriert, ein frühes Signal bei 187 Millisekunden und ein spätes bei 482 Millisekunden.“ Beide Signale waren deutlich stärker, wenn sich die Probanden die unerwarteten Bilder einprägten – in diesem Fall war also der Hippocampus aktiver. Im Nucleus accumbens fanden die Forscher ein spätes Potenzial bei 475 Millisekunden, auch hier war das Signal bei unerwarteten Bildern höher als bei der konventionellen Art von Bildern.

Hypothese bestätigt

„Diese Ergebnisse unterstützen die Hypothese perfekt“, sagt Dr. Axmacher. „Das Gedächtniszentrum vergleicht die tatsächliche Situation mit der erwarteten – das ist das frühe Signal im Hippocampus.“ Das Gedächtniszentrum aktiviert durch sein Potenzial den Nucleus accumbens als Teil des Belohnungszentrums. Vermutlich schüttet dieses daraufhin Dopamin aus, und dieser Botenstoff aktiviert dann wieder das Gedächtniszentrum. Das späte Signal im Hippocampus ist dann die Reaktion auf die Antwort aus dem Nucleus accumbens.

Neue Ereignisse sind also für das Gehirn positiv, sie aktivieren das Belohnungssystem. Daher konnten sich die Probanden an die Häuser hinterher besser erinnern, wenn die Gesichter in der Überzahl waren.

Die Studie ist am 25. Februar in dem Fachmagazin „Neuron“ erschienen:

N. Axmacher, M.X. Cohen, J. Fell, S. Haupt, M. Dümpelmann, C.E. Elger, T.E. Schlaepfer, D. Lenartz, V. Sturm, C. Ranganath, Intracranial EEG correlates of expectancy and memory formation in the human hippocampus and nucleus accumbens, Neuron, 2010.

Kontakt:
Dr. Nikolai Axmacher
Klinik für Epileptologie der Universität Bonn
Telefon: 0228/287-19341
E-Mail: nikolai.axmacher@ukb.uni-bonn.de

Media Contact

Dr. Andreas Archut idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-bonn.de

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