Leukodystrophie: Berliner Forscher ergründen rätselhafte Erbkrankheit

Auf der Suche nach den Ursachen der seltenen und unheilbaren Erkrankung haben Berliner Forscher entdeckt, dass bei der Krankheit ein feines Zusammenspiel von drei Proteinen in der weißen Substanz des Gehirns gestört ist.

Der Fall zeigt, dass neurologische Erkrankungen nicht zwangsläufig auf Defekten in den Nervenzellen selbst beruhen: Um optimal funktionieren zu können, sind die Nervenbahnen in ein komplexes Netzwerk aus sogenannten Gliazellen eingebettet, deren Bedeutung lange unterschätzt wurde.

Leukodystrophie kann in vielen Formen auftreten, die Symptome sind dabei höchst unterschiedlich. Mal leiden die Menschen an deutlichen motorischen Störungen, in anderen Fällen treten nur leichte Symptome auf.

Erste Anzeichen machen sich meist im Kindesalter bemerkbar, manchmal aber auch erst im Erwachsenalter, und die Krankheit kann sich im Verlauf des Lebens sogar abmildern. Die Betroffenen leiden an einer Degeneration der weißen Hirnsubstanz, vor allem sind die sogenannten Myelinscheiden betroffen, die die Nervenbahnen umhüllen.

„Myelinscheiden sind eine ‚Erfindung‘ der Säugetiere – durch die isolierende Schicht um die langen Ausläufer der Nervenzellen werden die elektrischen Signale stark beschleunigt“, erklärt Thomas Jentsch, dessen Abteilung am Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP) und am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) angesiedelt ist. „Dinosaurier beispielsweise hatten keine solche Beschleunigung, ihre Reaktionen und Denkleistungen verliefen vermutlich entsprechend langsamer.“

Myelinscheiden werden von spezialisierten Zellen gebildet, die sich um die Nervenfasern herumwickeln. Sie bilden mit anderen sogenannten Gliazellen ein kontinuierliches Netzwerk, das wiederum mit den Blutgefäßen im Gehirn in Verbindung seht.

Das Netzwerk ist auch notwendig, um die Nervenzellen zu ernähren, sie einzubetten und ihnen genau die Umgebung zu bieten, die sie zum Funktionieren benötigen. Bei Menschen mit Leukodystrophie aber gibt es kleine Fehler in dem Gefüge: Verschiedene Mutationen in ihrem Erbgut sorgen dafür, dass es in dieser präzisen Koordination zu Fehlern kommt.

Um die Krankheit zu verstehen, erzeugten die Forscher unter der Leitung von Thomas Jentsch Mäuse mit Mutationen, die mit einer bestimmten Form der Leukodystrophie – der Megalenzephale Leukoenzephalopathie mit subkortikalen Zysten – vergleichbar waren. Bei dieser Form bilden sich kleine Flüssigkeitsansammlung in der weißen Hirnsubstanz, die man durch bildgebende Diagnostik ausfindig machen kann.

Als Thomas Jentsch und seine Mitarbeiter die Mäuse nun genauer untersuchten, fanden sie heraus, dass von den Mutationen der Zusammenschluss von drei Proteinen betroffen ist, die sich normalerweise an den Ausläufern der Gliazellen befinden.

Das Dreiergespann vermittelt den Kontakt zu Blutbahnen und öffnet eine speziellen Kanal, so dass von dort Chloridionen in den Blutkreislauf ausströmen können. „Dieser Ausstrom ist nötig, um nach einem Nervenreiz in der Umgebung das elektrische Gleichgewicht wiederherzustellen“, erklärt Thomas Jentsch. Das Ergebnis veröffentlichten sie im Online-Journal Nature Communications.

Auch wenn die Leukodystrophie vorerst unheilbar bleibt, zeigt das Beispiel, welche große Wirkung selbst kleine Veränderungen im Gehirn haben können, und in welch enger Beziehung die Nervenzellen zu den sie umgebenden Zellen stehen.

Nervenzellen sind nicht einfach nur untereinander verschaltet, sondern werden in ihrer Funktionsweise auch entscheidend durch die Gliazellen unterstützt. Thomas Jentsch möchte nun untersuchen, welche Typen von diesen Zellen bei der Krankheit besonders betroffen sind. 

NATURE COMMUNICATIONS | DOI: 10.1038/ncomms4475

http://www.fmp-berlin.de

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Silke Oßwald idw - Informationsdienst Wissenschaft

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