Kopfschmerzen bei Hirntumoren: Veranlagung ist wesentlich

Eine typische Sorge von Kopfschmerzpatienten ist die Unsicherheit, ob ihrem Schmerz eine andere Ursache als die „normale Migräne“ oder der „normale Spannungskopfschmerz“ zu Grunde liegt.

Häufig stellen sich Betroffene die Frage: „Könnte nicht auch ein Hirntumor meine Kopfschmerzen hervorrufen?“ „Wichtig ist in diesem Fall vor allem, die Ursachen von Kopfschmerzen rechtzeitig zu diagnostizieren, bevor ein Hirntumor durch sein Wachstum den Druck im Gehirn bereits erhöht hat und dadurch Kopfschmerzen entstehen,“ sagt Dr. Christoph Schankin, Neurologische Klinik und Poliklinik, Klinikum der Universität München. Informationen zu Kopfschmerzen unter www.dmkg.de

Es stelle sich also bei Kopfschmerzen immer die Frage, ob es sich um einen 'normalen Kopfschmerz' (primärer Kopfschmerz) oder um einen durch eine andere Erkrankung verursachten Kopfschmerz (sekundärer Kopfschmerz) handelt. „Um dies besser beurteilen zu können, haben wir uns ausführlich der Charakterisierung der Kopfschmerzen bei Hirntumoren gewidmet. In unserer Studie haben wir festgestellt, dass Risikofaktoren für das Auftreten von Kopfschmerzen bei Hirntumoren ein vorbestehendes primäres Kopfschmerzsyndrom (Migräne, Spannungskopfschmerz) sowie eine positive Familienanamnese für Kopfschmerzen waren,“ so Dr. Schankin. Im Gegensatz dazu ist das Risiko für Kopfschmerzen unabhängig von Tumorgröße, -lage und Umgebungsödem (angeschwollenes Gehirngewebe um den Tumor). Hirntumor-Kopfschmerz kann sich wie ein primärer Kopfschmerz manifestieren. Eine kernspintomographischen Untersuchung des Gehirns sollte bei Kopfschmerzen durchgeführt werden, wenn das Kopfschmerzsyndrom atypisch ist oder sich in der klinischen Untersuchung pathologische Befunde (Reflexdifferenzen, Lähmungen, Seh- oder Sprachstörungen) finden lassen. Wichtig ist eine solche Untersuchung auch, wenn im höheren Alter Kopfschmerzen nach Jahren von Beschwerdefreiheit wieder auftreten.

In der aktuellen Version der Internationalen Kopfschmerzklassifikation (IHCD-II) der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft (IHS) werden zwei Arten von Kopfschmerz bei Hirntumoren unterschieden, der Kopfschmerz bei erhöhtem Hirndruck (indirekte Tumorwirkung, IHS 7.4.1.) und der Kopfschmerz durch direkte Tumoreinwirkung (IHS 7.4.2). Beide Arten beginnen in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Tumordiagnose und bessern sich rasch nach Therapie des Tumors. Laut IHCD-II unterscheiden sie sich in den Kopfschmerzcharakteristika: bei indirekter Tumorwirkung werden Zeichen des erhöhten Hirndrucks gefordert (Übelkeit, Erbrechen, Verschlechterung durch Pressen, Husten, körperliche Aktivität) sowie ein attackenartiges Auftreten. Bei direkter Tumorwirkung ist gefordert, dass der Kopfschmerz lokalisiert und insgesamt fortschreitend mit zunehmend schwererem Verlauf (progredient) ist sowie von der Tageszeit abhängt (morgens schlechter als abends) und sich durch Husten beziehungsweise Vornüberbeugen verschlechtert. Die beschriebene Symptomatik beider Unterformen überlappt stark mit der typischen Hirndrucksymptomatik (Übelkeit, Erbrechen, Zunahme im Liegen, beim Husten, Pressen), die man von Hirnblutungen, Hirnhautentzündungen und Schädel-Hirn-Traumata kennt und ist daher sicherlich zutreffend für Hirntumoren, die bereits zu einer Hirndruckerhöhung führen. Die Unterschiede zwischen IHS 7.4.1 und IHS 7.4.2 scheinen vor diesem Hintergrund eher quantitativ als qualitativ zu sein, und es stellt sich die Frage, wie sich der Kopfschmerz bei Hirntumoren manifestiert, die noch zu keiner Erhöhung des intrakraniellen Drucks geführt haben. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund bedeutsam, da ein Tumor erkannt werden sollte, bevor er zu einer Hirndruckerhöhung führt.

Wir haben in einer prospektiven Studie an 85 Patienten einer neurochirurgischen Normalstation mit Hirntumoren (22 Meningeome, 21 Astrozytome, 19 Glioblastome, 19 Metastasen) Häufigkeit, Manifestation und klinische Risikofaktoren untersucht (1). Es ergab sich eine Häufigkeit des Tumor-assoziierten Kopfschmerzes von 60 Prozent. Der Schmerz war v.a. dumpf-drückend (59%), beidseitig (49%) und keiner bestimmten Region des Kopfes zuzuordnen. Die Schmerzstärke war im Median 6 von 10 auf der nominalen Schmerzskala (mit 1 als minimalem bis 10 als maximalem Schmerz), die Schmerzdauer in 49 Prozent der Fälle zwischen vier Stunden und sieben Tagen. Übelkeit und Erbrechen waren selten (18%), ebenso die Verschlechterung bei Husten (2%), Vornüberbeugen (2%), in horizontaler Lage (6%) oder bei körperlicher Belastung (4%). Risikofaktoren für das Auftreten von Kopfschmerzen bei Hirntumoren waren ein vorbestehendes primäres Kopfschmerzsyndrom (Migräne, Spannungskopfschmerz) mit einer Odds Ratio (OR) von 9,3 sowie eine positive Familienanamnese für Kopfschmerzen (OR 5,6). Im Gegensatz dazu ist das Risiko für Kopfschmerzen unabhängig von Tumorgröße, -lage und Umgebungsödem.

Aus dieser Untersuchung ergibt sich also, dass die in der Kopfschmerzklassifikation geforderte Kopfschmerz-Symptomatik mit Übelkeit, Erbrechen, Zunahme im Liegen, beim Husten oder Pressen bei Hirntumor-Patienten selten ist. Vielmehr ähnelt das Kopfschmerzsyndrom dem primären Spannungskopfschmerz. Zusätzlich scheint bei Vorliegen einer positiven Familienanamnese für Kopfschmerz bzw. einer eigenen Kopfschmerzvorgeschichte eine u.a. genetische Veranlagung für Kopfschmerz bei Hirntumoren zu bestehen. Dies deutet darauf hin, dass der Mechanismus von Hirntumor-assoziiertem Kopfschmerz eher nicht hirndruckabhängig ist, sondern vielmehr mit den Mechanismen primärer Kopfschmerzen überlappt. Passend dazu ist dieses Beispiel aus dem klinischen Alltag (2): Bei einer 57-jährigen Patientin mit Migräne in der Vorgeschichte war es nach mehr als 20 Jahren Kopfschmerzfreiheit erneut zu für sie typischen Migräneattacken gekommen. Ursächlich lag diesem späten Wiederauftreten von Migräneattacken eine intrakranielle Metastase eines Schilddrüsenkarzinoms zugrunde.

Referenzen
[1] Schankin CJ, Ferrari U, Reinisch VM, Birnbaum T, Goldbrunner R, Straube A. Characteristics of brain tumour-associated headache. Cephalalgia. 2007;27:904-11.

[2] Schankin CJ, Wagner J, Elstner M, Reinisch VM, Straube A. [Migraine recurrence due to intracranial metastasis of a thyroid carcinoma]. Nervenarzt. 2008;79:465-9.

Ansprechpartner:

Klinikum der Universität München
Prof. Dr. Andreas Straube
Dr. Christoph Schankin
Neurologische Klinik und Poliklinik
Marchioninistr. 15
D-83177 München
Andreas.Straube@med.uni-muenchen.de
christoph.schankin@med.uni-muenchen.de
Generalsekretär und Pressesprecher Dt. Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft
Prof. Dr. Dipl.-Psych. Peter Kropp
Institut für Medizinische Psychologie im Zentrum für Nervenheilkunde
an der Medizinischen Fakultät der Universität Rostock
Gehlsheimer Str. 20, D-18147 Rostock
Telefon +49 381 4949530/31
E-Mail peter.kropp@med.uni-rostock.de

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Rita Wilp idw

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