Wenn Kindern das Atmen schwer fällt

Weltweit quälen sich immer mehr Kinder mit Atemwegsbeschwerden. Sie husten, atmen schwer oder erleiden Asthmaanfälle. Die wichtigsten äußeren Ursachen dieser Erkrankungen waren zwar längst ausgemacht: Belastungen der Luft durch Verkehr und Industrie.

Doch bislang konnten diese beiden Faktoren nicht deutlich voneinander abgegrenzt und so gezielt beeinflusst werden. Wissenschaftler des Helmholtz Zentrums für Umweltforschung UFZ und der Universität Leipzig haben mit Kollegen der Universität La Plata in Argentinien dazu geforscht und belegen jetzt: Die durch die Industrie erzeugte Luftverschmutzung hat noch schwerwiegendere Auswirkungen als Abgase von Fahrzeugen.

Die kürzlich abgeschlossene Studie unter dem Titel „Kombinationswirkungen von luftgetragenen Schadstoffen als Risikofaktoren für Umwelterkrankungen“ entstand im Rahmen einer langjährigen, vom internationalen Büro des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unterstützten Zusammenarbeit zwischen dem Helmholtz Zentrum für Umweltforschung UFZ, der Universität Leipzig und der Universität La Plata (Argentinien). Die Ergebnisse wurden in mehreren international renommierten Journalen veröffentlicht, so unter anderem im „Journal of Allergy and Clinical Immunologie“ und in der Fachzeitschrift „Toxicology“.

Die Herangehensweise der Wissenschaftler, konzentrierte sich auf drei Analyse-Richtungen: „Zum einen galt es“, so die Leipziger Biologin Andrea Müller, „mittels Messtechnik genaue Aussagen zur tatsächlichen Belastung der Atemluft zu treffen. Untersucht wurden Feinstäube unterschiedlicher Korngröße, polyzyklische aromatische Verbindungen wie Benzo(a)pyren, die an diesen Partikeln haften, sowie flüchtige organische Verbindungen wie Benzol oder Hexan. Zum zweiten wurden die toxischen und mutagenen Eigenschaften getestet.

Als Untersuchungsgebiete legten wir vier Vergleichsregionen fest: ein Wohngebiet, das sich in unmittelbarer Nachbarschaft der größten Erdölraffinerie Argentiniens befindet, ein verkehrsreiches Gebiet im Zentrum von La Plata, ein Viertel am Stadtrand und ein eher ländliches Gebiet.“

Aus denselben vier Gebieten stammten auch die Kinder, deren Gesundheitszustand als dritte Analyserichtung ermittelt wurde. Rund 1200 Mädchen und Jungen zwischen sechs und zwölf Jahren waren in die rund zwei Jahre dauernden Forschungen eingebunden. Über einen von den Eltern auszufüllenden Fragebogen wurden die Beschwerden der Kinder erfragt, wie zB. Husten, pfeifende Atemgeräusche, Lungenentzündungen und Asthmaanfälle.

Ein Teil der Kinder aus den jeweils vier Regionen wurde außerdem durch die vor Ort eingebundenen Kinderärzte zum Lungenfunktionstest eingeladen. Dabei mussten sie, erst stoßartig dann langsam, in Messgeräte pusten. Auf diesem Weg wurde ermittelt, inwieweit die Bronchien verengt und damit in ihrer Leistung behindert sind.

Als Ende 2006 all diese Messungen und Befragungen in La Plata abgeschlossen waren, galt es zigtausende Daten zusammenzufassen und zueinander in Beziehung zu setzen. Aus all den Zahlenreihen und Tabellen lassen sich einige bemerkenswerte Aussagen ableiten. So ist bewiesen, dass die verschiedensten Symptome von Atemwegserkrankungen in den untersuchten Industriegebieten rund ein Viertel bis ein Drittel aller Kinder betrifft. Am Stadtrand und auf dem Lande sind das meist nur halb so viele und selbst in der City betrifft das nur rund ein bis zwei Prozent mehr als in den relativ unbelasteten Gegenden. Auch die Lungenfunktion bei den Kindern aus dem Industriegebiet war deutlich beeinträchtigt. Einen derartigen Kontrast hatten die Wissenschaftler nicht erwartet.

Auch wesentliche Verursacher scheinen aus der Masse der Schadstoffe herausgefiltert: „Wir konnten mit neuen statistischen Methoden den Fingerabdruck der Industrieabgase in allen Untersuchungsgebieten nachweisen“, so der Meteorologe Dr. Uwe Schlink. „Die Stärke der Belastung war jedoch von Entfernung, Jahreszeit und Wetterlage abhängig. Während in den industriellen Arealen La Platas im Jahresdurchschnitt fast 20 Mykrogramm Benzol pro Kubikmeter Luft gemessen wurden, waren es an Verkehrsknotenpunkten nur 2,9 und in ländlichen Gebieten 1,9. Dies macht das Gesundheitsrisiko der Industrieabgase offensichtlich.“

Aber es ging um mehr als die wissenschaftlichen Aussagen, durch welche Schadstoffe die gesundheitlichen Probleme vorrangig verursacht wurden. Die Leipziger Forscher, vor allem aber ihre argentinischen Kollegen, waren und sind auch damit beschäftigt, ihre Forschungsergebnisse ins öffentliche Bewusstsein zu tragen. Dies passiert in Elternversammlungen an eingebundenen Schulen ebenso wie bei Vorlesungen an der Universität von La Plata, durch internationale Publikationen und auch durch die Lobbyarbeit in Behörden und Unternehmen. „Immerhin haben wir mit dazu beigetragen, dass sich die Umstände für die Kinder in La Plata schon verändert haben“, freut sich Andrea Müller. Die Chemiebetriebe fühlten sich unter Druck gesetzt und modernisieren nun ihre Anlagen. „Interessant wäre es jetzt zu ermitteln, wie schnell die Luftverschmutzung zurück geht und inwieweit sich das Befinden der Kinder dadurch verbessert.“ „Auch die Fragen, ob die Masse des Feinstaubes oder die Anzahl der Partikel pro Kubikzentimeter wichtiger für Gesundheitsschäden sind und wie die Wirkungen vom Klima beeinflusst werden sind sehr aktuell“, so der Physiker Dr. Ulrich Franck. „An diesen Themen bleiben wir jedenfalls dran, auch in anderen Großstädten der Welt.“

Marlis Heinz

Weitere Informationen:
Andrea Müller
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Telefon: 0341-235- 1559
Email: a.mueller@ufz.de
und
Andres Porta
Centro de Investigaciones del Medio Ambiente (CIMA) Facultad de Ciencias Exactas, Universidad Nacional de La Plata
Email: aaporta@yahoo.com.ar
oder über:
Tilo Arnhold
Pressestelle des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ)
Telefon: 0341-235-1269
E-Mail: presse@ufz.de
Publikationen:
Fernando A. Wichmann, Andrea Müller, Luciano E. Busi, Natalia Cianni, Laura Massolo, Uwe Schlink, Andres Porta, Peter David Sly (2009):
Increased asthma and respiratory symptoms in children exposed to petrochemical pollution.
J ALLERGY CLIN IMMUNOL, Vol. 123, Number 3
doi:10.1016/j.jaci.2008.09.052
http://www.jacionline.org/article/S0091-6749(08)01879-4/abstract
Wichmann G, Franck U, Herbarth O, Rehwagen M, Dietz A, Massolo L, Ronco A, Müller A. (2009): Different immunomodulatory effects associated with sub-micrometer particles in ambient air from rural, urban and industrial areas.
Toxicology. 257(3):127-36.
http://dx.doi.org/10.1016/j.tox.2008.12.024
Massolo L; Rehwagen M, Porta A, Ronco A, Herbarth O, Mueller A.
Indoor-outdoor distribution and risk assessment of volatile organic compounds in the atmosphere of industrial and urban areas Environmental Toxicology 2009

in press: online available: DOI: 10.1002/tox.20504

Cianni, N., Müller, A., Lespadel, P., Aguilar, M., Martin, M., Chiapperini, V., Bussi, L., Massolo, L., Wichmann, F., Porta, A. (2009): Calidad del Aire y Salud infatil en areas urbanas e industriales. Contaminación atmosférica en Argentina. Buenos Aires (in press)

Massolo, L., Müller, A., Herbarth, O., Ronco, A. E., Porta, A. (2009): Contaminación atmosférica y salud infantil en áreas urbanas e industriales de La Plata, Argentina.

Acta Bioquímica Clínica Latinoamericana (in press)

Müller, A., Wichmann, G., Massolo, L., Porta, A., Schlink, U., Ronco, A., Herbarth, O. (2009): Risk assessment of airborne particles and volatile organic compounds from industrial areas. Industrial pollution including oil spills (in press)

Schlink, U., Rehwagen, M., Massolo, L., Herbarth, O., Müller, A., Ronco, A. (2005): Source Apportionment and Identification of VOC Fingerprints in the Region of La Plata, Argentina. In: Urban Air Quality, RJ Sokhi, MM Millan, N Moussiopoulos (eds.), Publisher: University of Hertfordshire, ISBN I-898543-92-5 (CD).

Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg 900 Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

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