Janusköpfiges Regulationsmolekül: Zellwachstum und Zelltod werden durch denselben Faktor vermittelt

In der Regel fördert E2F1 die Zellvermehrung, indem es bestimmte Abschnitte der Erbinformation aktiviert. E2F1 stößt dann eine Signalkaskade an, die letztlich zur verstärkten Teilung der Zelle führt. Wird die Zelle jedoch zu stark stimuliert, besteht die Gefahr einer unkontrollierten Vermehrung und damit der Entstehung von Krebs. Für diesen Fall ist eine Notbremse eingebaut: Die von E2F1 angestoßene Signalkaskade löst den Tod der Zelle aus.

In einem von der Wilhelm Sander-Stiftung geförderten Projekt konnte die von Prof. Dr. Matthias Dobbelstein geleitete Arbeitsgruppe insbesondere klären, wie der Zelltod bei zu starker E2F1-Aktivität herbeigeführt wird. Die Forscher fanden heraus, dass E2F1 die Produktion eines kleinen Steuerungsmoleküls, der sogenannten MicroRNA 449, in der Zelle massiv verstärkt. Diese MicroRNA steuert wiederum die Herstellung von speziellen Eiweißmolekülen die das Programm der Zelle in Richtung Suizid lenken.

Derselbe Suizid-Mechanismus ist auch von einem anderen Regulationsmolekül bekannt, dem p53. Es führt nach irreparabler Schädigung der Erbinformation zielgerichtet den Zelltod herbei. Das geschieht unter anderem, indem die Zelle, ausgelöst durch p53, ihre Mengen an MicroRNA 34 erhöht. Die MikroRNA 34 steuert die Herstellung bestimmter Eiweißmoleküle, die letztlich über den Tod der Zelle entscheiden – ganz ähnlich wie die microRNA 449.

In der Tumorzellforschung wird gern unterschieden zwischen Tumorsuppressorgenen und Onkogenen. Die einen hemmen das Zellwachstum und vermitteln oft sogar den Selbstmord der Zelle, die anderen fördern die Vermehrung und das Überleben der Zellen. Derjenige Abschnitt im Erbgut, der die Information für den Bau von p53 codiert, ist ein typisches Tumorsuppressorgen. Der Abschnitt für das Regulationsmolekül E2F1 lässt sich dagegen nicht eindeutig zuordnen. Im Gegenteil: Je nach Situation wirkt es entweder als Onkogen oder als Tumorsuppressorgen.

Warum aber funktioniert in Tumorzellen die „eingebaute Notbremse“ gegen überaktive Wachstumssignale nicht mehr ausreichend, so dass sich die Zellen ungebremst weiter vermehren? Einen ersten Hinweis auf die Antwort darauf haben die Göttinger Wissenschaftler bereits gefunden: Gesundes Lungengewebe enthält große Mengen der MicroRNA 449, während in Tumoren der Lunge dieses Molekül kaum nachweisbar ist. Möglicherweise trägt dieser Verlust von microRNA 449 zum Entstehen der Tumore bei.

Die Regulationsmechanismen in den Zellen sind sehr komplex. Meist ist ein Zusammenspiel mehrerer Moleküle notwendig, um eine gezielte Reaktion herbeizuführen. Dies gilt auch für die Aktivität von E2F1. Auch hier konnte die Arbeitsgruppe um Professor Dobbelstein zum weiteren Verständnis beitragen. Sie identifizierte einen Regulator, der die Tragweite der Schädigung des Erbgutes in der Zelle überprüft: das Eiweiß-Molekül Tip60. Sind die Schäden reparabel, reguliert es E2F1 so, dass der Zelltod nicht eintritt.

Die Wilhelm Sander-Stiftung hat dieses Forschungsprojekt mit rund 160.000 Euro gefördert. Stiftungszweck ist die medizinische Forschung, insbesondere Projekte im Rahmen der Krebsbekämpfung. Seit Gründung der Stiftung wurden dabei insgesamt über 190 Mio. Euro für die Forschungsförderung in Deutschland und der Schweiz bewilligt. Die Stiftung geht aus dem Nachlass des gleichnamigen Unternehmers hervor, der 1973 verstorben ist.

Publikationen, in die diese Ergebnisse der Arbeitsgruppe eingeflossen sind:
M. Lizé, S. Pilarski, and M. Dobbelstein (2010): E2F1-inducible microRNA 449a/b suppresses cell proliferation and promotes apoptosis. Cell Death and Differentiation 17(3):452-458

D. Kranz, C. Dohmesen, and M. Dobbelstein (2008): BRCA1 and Tip60 determine the cellular response to ultraviolet irradiation through distinct pathways. Journal of Cell Biology, 182, 197-213., IF 10,1

Kontakt:
Prof. Dr. med. Matthias Dobbelstein, Göttinger Zentrum für Molekulare Biowissenschaften (GZMB), Abteilung Molekulare Onkologie
Tel.: +49-(0)551-39 13840
E-Mail: mdobbel@gwdg.de
http://www.uni-goettingen.de/en/57931.html

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Sylvia Kloberdanz idw

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