Injektion krankhafter Eiweiße außerhalb des Gehirns löst Alzheimer-ähnliche Pathologie bei Mäusen aus

Das zeigt eine aktuelle Studie am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (Universitätsklinikum Tübingen, Universität Tübingen) und dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), die am 21.10.2010 in einer Online-Vorabveröffentlichung im Wissenschaftsmagazin Science erschienen ist.

In der Wissenschaft besteht heute weitgehende Einigkeit, dass sowohl die Alzheimererkrankung als auch die zerebrale beta-Amyloid-Angiopathie (eine Erkrankung der Blutgefäße im Gehirn) durch die Fehlfaltung und Anhäufung von Proteinbruchstücken namens beta-Amyloid oder Abeta hervorgerufen wird.

Während bei der Alzheimererkrankung fehlgefaltetes Abeta vor allem in Form so genannter Amyloid-Plaques abgelagert wird, setzt sich das Abeta-Protein bei der zerebralen beta-Amyloid-Angiopathie an den Blutgefäßwänden ab.

Bereits im Jahr 2006 hatten die Tübinger Wissenschaftler unter der Leitung von Professor Mathias Jucker gezeigt, dass verdünnte Extrakte aus den Gehirnen verstorbener Alzheimerpatienten Abeta-Fehlfaltung und Abeta-Ablagerungen herbeiführen können (Science 313: 1781-4, 2006). Hierfür hatten die Forscher kleinste Mengen dieser Extrakte direkt in die Gehirne genveränderter (transgener) Mäuse gegeben, die genetisch so verändert worden waren, dass sie die menschliche Form von Abeta produzierten.

In ihrer aktuellen Studie nun belegen Mathias Jucker und die Erstautorin Yvonne Eisele zusammen mit ihrem Forschungsteam (HIH, Universität Tübingen, DZNE) sowie ihren Kollegen Matthias Staufenbiel (Novartis), Mathias Heikenwälder (Universität Zürich) und Lary Walker (Emory Universität in Atlanta) erstmals, dass Abeta-Ablagerungen in den Gehirnen transgener Mäuse auch hervorgerufen werden können durch eine Injektion mit einem Extrakt aus fehlgefaltetem Abeta außerhalb des Gehirns.

Dabei verabreichten die Wissenschaftler den transgenen Mäusen das Extrakt aus fehlgefaltetem Abeta in den Bauchraum (intraperitoneale Verabreichung). Die induzierten Abeta-Ablagerungen zeigten sich vorrangig in den zerebralen Blutgefäßen, konnten jedoch auch in Form von Amyloid-Plaques zwischen den Nervenzellen nachgewiesen werden. Dabei dauerte die Amyloidinduktion nach den peripheren Injektionen deutlich länger als nach der direkten Verabreichung in das Gehirn. In beiden Fällen riefen die induzierten Amyloidablagerungen weitere neurodegenerative und neuroinflammatorische Veränderungen hervor, wie sie typischerweise in den Gehirnen von Patienten zu finden sind, die unter der Alzheimererkrankung oder der zerebralen beta-Amyloid-Angiopathie leiden.

„Die Erkenntnis, dass es Mechanismen gibt, die den Transport von Abeta-Aggregaten von der Körperperipherie ins Gehirn zulassen, wirft die Frage auf, ob es in der Körperperipherie oder Umwelt natürliche Substanzen gibt, die Amyloidablagerungen und Neurodegeneration im Gehirn auslösen können,“ so Professor Mathias Jucker. Die aktuellen Erkenntnisse geben neue Hinweise auf pathogenetische Mechanismen, die der Alzheimererkrankung zugrunde liegen. Die weiterführende Forschung wird wahrscheinlich zur Entwicklung neuer Strategien in der Vorbeugung und Behandlung führen.

Das molekulare Prinzip der induzierten Proteinablagerungen bei der Alzheimererkrankung und der beta-Amyloid Angiopathie weist Ähnlichkeiten zu dem der Prionenerkrankung auf. Die Prionenerekrankung, zu der auch BSE zählt, kann nicht nur dadurch hervorgerufen werden, dass den Tieren Prionen direkt ins Gehirn gegeben werden, sondern auch durch die Injektion der Prionen in die Körperperipherie. Die vorliegende Studie zeigt, dass dies nicht nur eine Besonderheit der Prionenerkrankung ist, wie bisher angenommen. Trotz der Gemeinsamkeiten zwischen der Alzheimer- und der Prionenerkrankung gibt es bisher keine Hinweise darauf, dass die Alzheimererkrankung oder die zerebrale Amyloid-Angiopathie auf natürlichem Wege in gleicher Weise übertragen werden können wie die Prionenerkrankung.

Originaltitel der Publikation: Peripherally Applied Ab-Containing Inoculates Induce Cerebral b-Amyloidosis

Autoren: Yvonne S. Eisele1,2, Ulrike Obermüller1,2, Götz Heilbronner1,2,3, Frank Baumann1,2, Stephan A. Kaeser1,2, Hartwig Wolburg4, Lary C. Walker5, Matthias Staufenbiel6, Mathias Heikenwalder7, Mathias Jucker1,2,*

1Department of Cellular Neurology, Hertie-Institute for Clinical Brain Research, University of Tübingen, D-72076 Tübingen, Germany; 2DZNE – German Center for Neurodegenerative Diseases, Tübingen, Germany; 3Graduate School for Cellular and Molecular Neuroscience, University of Tübingen, Tübingen, Germany; 4Department of Pathology, University of Tübingen, Tübingen, Germany; 5Yerkes National Primate Research Center and Department of Neurology, Emory University, Atlanta, GA, USA, 6Novartis Institutes for Biomedical Research, Neuroscience Discovery, Basel, Switzerland; 7Department of Pathology, Institute for Neuropathology, University Hospital, Zürich, Switzerland.

Online-Vorabveröffentlichung der Studie im Wissenschaftsmagazin Science, auf der Science express Webseite am 21.10.2010, 2:00 pm U.S. Eastern Time, www.scienceexpress.org

Kontakte:
Professor Dr. Mathias Jucker
Universität Tübingen
Universitätsklinikum Tübingen, Zentrum für Neurologie
Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH)
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), Tübingen
Tel. 07071/29-86863
E-Mail: mathias.jucker@uni-tuebingen.de
Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH)
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