Hoffnung auf vorbeugende Therapie bei Mukoviszidose

Heidelberger Wissenschaftlern ist es gelungen, schwere Lungenschäden bei Mukoviszidose im Tiermodell zu verhindern, indem sie jungen Mäusen den Wirkstoff Amilorid in die Lunge gesprayt haben. Dabei handelt es sich um die erste Therapie, die in einem lebenden Organismus erfolgreich an der Ursache der weit verbreiteten Erbkrankheit angreift.

Erhalten Mäuse von den ersten Lebenstagen an eine Inhalationstherapie mit dem Medikament, bilden sich keine Schleimpfropfen in der Lunge, Atemwegsentzündungen und chronische Lungenschäden bleiben aus. Die Wissenschaftler am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Heidelberg haben somit erstmals gezeigt, dass eine präventive Therapie der Lungenerkrankung bei Mukoviszidose möglich ist. Ihre Arbeit wurde im „American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine“ veröffentlicht.

Häufigste Erbkrankheit bislang ohne kausale Therapie

Mukosviszidose oder Cystische Fibrose (CF) ist die häufigste tödlich verlaufende Erbkrankheit in Westeuropa und Nordamerika. In Deutschland leiden rund 8.000 Menschen daran; weitere fünf Prozent der Bevölkerung, also rund vier Millionen Menschen, sind gesunde Merkmalsträger, die diese Erkrankung weitervererben können – meist ohne es zu wissen.

Ursache für alle Symptome bei Mukoviszidose sind Fehler an einer bestimmten Stelle im Erbgut: Eine Veränderung im sogenannten CFTR-Gen („Cystis Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator“-Gen) führt zu verstärktem Salz- und Wasserentzug von den Oberflächen der Schleimhäute in Lunge, Darm und anderen Organen; es bildet sich „trockener“, zäher Schleim, der verklumpt und nicht abtransportiert werden kann. Chronische Lungenentzündung sowie schwere Störungen von Atmung und Verdauung sind die Folge. Derzeit steht noch keine Therapie zur Verfügung, die direkt am Ursprung der Erkrankung ansetzt; es können lediglich Symptome wie Lungenentzündungen, Atemnot und Sauerstoffmangel behandelt werden.

Amilorid hemmt „hyperaktive“ Natrium-Kanäle und verhindert Austrocknung der Schleimhäute

Mit Hilfe eines von ihm entwickelten Mausmodells hat Privatdozent Dr. Marcus Mall, Oberarzt und Leiter des Mukoviszidose-Zentrums am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, bereits gezeigt: Für die verstärkte Aufnahme von Salz und Wasser durch die Schleimhäute sind bestimmte Natrium-Kanäle auf den Atemwegszellen verantwortlich; sie sind „hyperaktiv“.

In der nun publizierten Arbeit prüfte das Team um Dr. Mall, ob die Hemmung dieser hyperaktiven Natrium-Kanäle durch den Wirkstoff Amilorid die Befeuchtung der Atemwegsoberflächen verbessern und Lungenschäden entgegenwirken kann. Dabei zeigte sich: In den ersten Lebenstagen verabreicht, verhindert Amilorid im Mausmodell die typischen Symptome der Mukoviszidose sowie die Ausbildung/Entwicklung einer chronischen Lungenerkrankung. Waren die Symptome allerdings bereits vorhanden, trat keine Besserung durch die Behandlung ein. „Ein chronischer Lungenschaden verhindert offensichtlich die Wirkung von Amilorid. Das deutet darauf hin, dass die Veränderungen, die die Erkrankung in der Lunge auslöst, möglicherweise irreversibel sind“, erklärt Dr. Mall.

Pilotprojekt zum Neugeborenen-Screening auf Mukoviszidose seit 2008 in Heidelberg

„Mit Amilorid könnte erstmals eine vorbeugende Therapie der Mukoviszidose möglich sein, die direkt am Basisdefekt angreift. Dazu müssen betroffene Kinder allerdings sehr früh identifiziert werden“, sagt Dr. Mall. Bei den betroffenen Patienten zeigen sich die ersten Symptome der Erkrankung jedoch oftmals erst im Alter von mehreren Monaten oder Jahren. Dann ist es zu spät für die präventive Therapie. In enger Zusammenarbeit mit dem Stoffwechselzentrum Heidelberg läuft daher seit Mai 2008 ein Pilotprojekt zum Neugeborenen-Screening für Mukoviszidose, wie es in den USA und einigen europäischen Ländern schon flächendeckend eingeführt ist. Die Untersuchung kann im Rahmen der Regeldiagnostik von Stoffwechselerkrankungen mit Fersenblut des Neugeborenen erfolgen und erlaubt, die Diagnose in den ersten Lebenswochen, d.h. vor dem Auftreten der ersten Symptome zu stellen.

Auch mit herkömmlichen Methoden verbessert eine frühe Behandlung Lebensqualität und Lebensdauer der Betroffenen. Zusätzlich könnten die im Neugeborenen-Screening identifizierten Patienten nun von der präventiven Inhalationstherapie mit Amilorid profitieren. Dies wollen die Mediziner des Mukoviszidose-Zentrums künftig in klinischen Studien überprüfen.

Ansprechpartner:
Privatdozent Dr. Marcus Mall
Oberarzt und Leiter Mukoviszidose-Zentrum
Leiter der Nachwuchsgruppe Zystische Fibrose/
Chronische Atemwegserkrankungen (EU)
Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Klinik III
Tel.: 06221-568840
E-Mail: Marcus.Mall@med.uni-heidelberg.de
Literatur:
Zhou Z, Treis D, Schubert SC, Harm M, Schatterny J, Hirtz S, Duerr J, Boucher RC, Mall MA*. Preventive but not late amiloride therapy reduces morbidity and mortality of lung disease in ?ENaC-overexpressing mice. Am J Respir Crit Care Med 2008;178:1245-1256
Weitere Information im Internet:
Forschergruppe Privatdozent Dr. Marcus Mall:
www.klinikum.uni-heidelberg.de/Forschergruppe-Zystische-Fibrose-Chronische-Atemwegserkrankungen.100620.0.html
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Krankenversorgung, Forschung und Lehre von internationalem Rang
Das Universitätsklinikum Heidelberg ist eines der größten und renommiertesten medizinischen Zentren in Deutschland; die Medizinische Fakultät der Universität Heidelberg zählt zu den international bedeutsamen biomedizinischen Forschungseinrichtungen in Europa. Gemeinsames Ziel ist die Entwicklung neuer Therapien und ihre rasche Umsetzung für den Patienten. Klinikum und Fakultät beschäftigen rund 7.000 Mitarbeiter und sind aktiv in Ausbildung und Qualifizierung. In mehr als 40 Kliniken und Fachabteilungen mit 1.600 Betten werden jährlich rund 500.000 Patienten ambulant und stationär behandelt. Derzeit studieren ca. 3.100 angehende Ärzte in Heidelberg; das Heidelberger Curriculum Medicinale (HeiCuMed) steht an der Spitze der medizinischen Ausbildungsgänge in Deutschland. (Stand 12/2008)
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