Hoffnung auf neue Waffen gegen neuropathische Schmerzen

Zwei aktuelle Studien weisen hier möglicherweise neue Wege: Seit kurzen ist bekannt, dass körpereigene Cannabinoide den Nervenschmerz unterdrücken können. Forscher der Universität Bonn konnten nun zusammen mit spanischen Kollegen zeigen, auf welchen Wegen das geschieht. Beide Arbeiten erscheinen am 12. November im Journal of Neuroscience.

Allein in Deutschland leiden nach Schätzungen eine Million Menschen unter chronischen neuropathischen Schmerzen.

Normalerweise zeigt Schmerz an, dass irgendetwas im Körper nicht stimmt. Anders neuropathische Schmerzen: Sie entstehen, wenn die Nerven selbst geschädigt werden – etwa durch Verletzungen oder das Varizella-Zoster-Virus, den Erreger der Gürtelrose. Es handelt sich also um Nerveneigenschmerzen. Besonders häufig sind Diabetiker betroffen. Grund ist bei ihnen eine gestörte Durchblutung, die schließlich zu Entzündungen der Nerven führt.

Typisch für neuropathische Schmerzen ist ein Symptom, das man als Allodynie bezeichnet. Dabei schlägt die betroffene Stelle schon bei kleinsten Berührungen oder einem Windhauch Alarm. Für die Patienten kann schon das Überstreifen eines Pullovers zur Qual werden. Häufig werden neuropathische Schmerzen chronisch.

Cannabis-Extrakt hilft

Auf klassische Schmerzmedikamente sprechen die Betroffenen meist nicht an. „Oft helfen nicht einmal Opiate“, erklärt Professor Dr. Andreas Zimmer vom Life&Brain-Zentrum an der Universität Bonn. Eine gewisse Linderung versprechen aber Extrakte der Hanfpflanze Cannabis; unlängst ist für den kanadischen Markt ein entsprechendes Mittel zugelassen worden. Es war aber bislang nicht ganz klar, worauf die Wirkung genau beruht. „Manche Cannabis-Inhaltsstoffe rufen zudem bekanntermaßen psychische Nebeneffekte hervor“, betont Zimmer. „Bei einem Medikament will man das natürlich nicht.“

Vermittelt wird diese unerwünschte psychische Wirkung durch den so genannten CB1-Rezeptor. Das ist eine Andockstelle für Cannabinoide, die vor allem in Nervenzellen vorkommt – so auch im Gehirn. Für den Schmerzmittel-Effekt scheint CB1 aber nicht verantwortlich zu sein. Stattdessen rücken die beiden jetzt erschienenen Arbeiten einen nahe verwandten Rezeptor namens CB2 ins Blickfeld. Dieser kommt beispielsweise in Zellen des Immunsystems vor. Hanfextrakt stimuliert beide Rezeptoren und wirkt daher sowohl halluzinogen als auch schmerzlindernd.

Das deutsch-spanische Forscherteam konnte nun zeigen, was der CB2-Rezeptor genau bewirkt: Er dient gewissermaßen als Bremse für bestimmte Abwehrmaßnahmen des Körpers. Auf Verletzungen reagieren Nerven nämlich mit einer Entzündungsreaktion. Ohne CB2 würde sich diese immer mehr aufschaukeln und auch auf gesundes Nervengewebe übergreifen. „Diese ausufernde Entzündung scheint die Ursache neuropathischer Schmerzen zu sein“, erklärt die Erstautorin der Studie Dr. Ildikó Rácz.

Die Forscher untersuchten Mäuse, die keinen CB2-Rezeptor besitzen. Bei ihnen kam es nach einer Ischias-Verletzung zu einer heftigen Entzündungsreaktion. Die betroffenen Tiere litten danach häufiger und stärker unter neuropathischen Schmerzen. Eine wichtige Rolle kommt dabei einer Substanz namens Interferon-Gamma zu. Der Körper bildet diesen Botenstoff, um Entzündungsreaktionen zu verstärken. Eine Aktivierung des CB2-Rezeptors scheint diese Interferon-Bildung zu drosseln.

Immunzellen mit Ohrstöpseln

Interferon-Gamma „befiehlt“ normalerweise bestimmten Immunzellen, weitere Botenstoffe auszuschütten. Dadurch schaukelt sich die Entzündung weiter auf. Wird der CB2-Rezeptor aktiviert, verpasst er den Immunzellen gewissermaßen ein Paar Ohrstöpsel: Sie reagieren dann kaum noch auf den Befehl, den das Interferon-Gamma ihnen gibt.

Dass es den CB2-Rezeptor überhaupt gibt, weiß man erst seit wenigen Jahren. Die Studien zeigen nun, welch wichtige Rolle er bei der Regulation von Entzündungsprozessen spielt. Damit ergeben sich auch Chancen auf neue Medikamente. „Wir kennen beispielsweise Substanzen, die spezifisch an CB2 binden, ohne gleichzeitig CB1 zu aktivieren“, sagt Zimmer. „Vielleicht haben wir damit Wirkstoffe an der Hand, die Patienten mit neuropathischen Schmerzen ohne unerwünschte Begleiterscheinungen helfen.“

Kontakt:
Dr. Ildikó Rácz
Institut für Molekulare Psychiatrie der Universität Bonn
Telefon: 0228/6885-316
E-Mail: iracz@uni-bonn.de
Professor Dr. Andreas Zimmer
Telefon: 0228/6885-300
E-Mail: neuro@uni-bonn.de

Media Contact

Frank Luerweg idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-bonn.de

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