Wenn das Herz aus dem Takt gerät – Neuer Genort bietet Ansatzpunkt für innovative Therapien gegen Vorhofflimmern

Die Störung ist zwar nicht akut lebensbedrohlich, erhöht jedoch das Risiko für schwerwiegende Erkrankungen wie Herzinsuffizienz, Schlaganfall und Demenz erheblich. Nun hat ein internationales Forscherteam unter Leitung des LMU-Mediziners Privat-Dozent Dr. Stefan Kääb in der dritten einer Serie von genomweiten Assoziationsstudien einen neuen Genort identifiziert, der das Risiko für Vorhofflimmern signifikant beeinflusst.

Dieser steht in funktionellem Zusammenhang zu einem Kalium-Kanal, der bei der Erregungsbildung des Herzens eine Rolle spielt. „Die Kenntnis dieses Zusammenhangs ermöglicht es uns, gezielt neue Wirkstoffe zu entwickeln, die Vorhofflimmern behandeln können“, erläutert Kääb. Die Meta-Analyse, in der das Genom von 1335 Patienten mit Vorhofflimmern mit dem Erbgut von 12844 gesunden Probanden verglichen wurde, berücksichtigt Daten aus zehn umfangreichen epidemiologischen Studien. Die Analyse entstand in enger Zusammenarbeit mit Forschern der TU München und des Helmholtz Zentrums München sowie mit Beiträgen aus über 50 internationalen Forschungseinrichtungen. (Nature Genetics online, 21. Februar 2010)

Um das Blut reibungslos durch den Körper zu transportieren und die Versorgung der lebenswichtigen Organe sicherzustellen, müssen die Schläge des Herzens perfekt koordiniert sein: Die Kontraktionen der Vorhöfe und der Herzkammern müssen in ihrer zeitlichen Folge genau aufeinander abgestimmt sein. Kann der Sinusknoten – der elektrische Taktgeber des Herzens – diese Aufgabe nicht mehr ausreichend erfüllen, kommt es zu einer Herzrhythmusstörung. Im Gegensatz zum Kammerflimmern ist das Vorhofflimmern eine mildere Form der Herzrhythmusstörung, die nicht akut lebensbedrohlich ist.

„Allerdings kann Vorhofflimmern zu schwerwiegenden Folgeerkrankungen führen – vor allem dadurch, dass das Blut nicht mehr vollständig aus dem Herzen gepumpt wird und so leichter Blutgerinnsel entstehen“, erläutert der LMU-Forscher Privat-Dozent Dr. Stefan Kääb. „Diese können wiederum Schlaganfälle oder eine Embolie – also dem Verschluss eines Blutgefäßes – nach sich ziehen. Zudem erhöht Vorhofflimmern das Risiko für eine Herzinsuffizienz und kann zu einer Einschränkung der Hirnleistung bis hin zur Demenz führen.“

Zugleich ist Vorhofflimmern eine Erkrankung mit hoher sozioökonomischer Bedeutung: Allein in Deutschland sind bis zu einer Million Menschen betroffen, weltweit wird die Zahl auf bis zu 600 Millionen Menschen geschätzt. Ein internationales Forscherteam um Dr. Kääb hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, die genetischen Signalwege aufzudecken, die zur Entstehung dieser bislang wenig verstandenen Störung beitragen. Dabei ist es den Wissenschaftlern in zwei hochrangig publizierten Studien bereits gelungen, mehrere wichtige Genorte zu identifizieren, die das Risiko für Vorhofflimmern signifikant beeinflussen. So entdeckten die Forscher einen Genort auf Chromosom 16, der die Synthese eines Moleküls für die Herzentwicklung beeinflusst. Zudem spürten sie neun Regionen im Erbgut auf, die sich auf die Zeitdauer des PQ-Intervalls – einer Messstrecke des EKG – auswirken und über diesen Marker auch mit dem Risiko für das Auftreten von Vorhofflimmern zusammenhängen.

In der neuen, in das Nationale Genomforschungsnetz (NGFN) eingebetteten Untersuchung fassten die Forscher in Kooperation mit dem Kardiologen Patrick T. Ellinor vom Massachusetts General Hospital in Boston (USA) die Daten aus fünf groß angelegten genomweiten Assoziationsstudien in einer Meta-Analyse zusammen. Dabei betrachteten sie jedoch nur eine Untergruppe der Studienteilnehmer – nämlich 1335 Personen, die von einer besonderen Form des Vorhofflimmerns betroffen waren. Dieses so genannte Lone Atrial Fibrillation (Lone AF) zeichnet sich durch einen Krankheitsbeginn vor dem 65. Lebensjahr und das Fehlen struktureller Begleiterkrankungen aus. „Durch diese sehr homogene Untersuchungsgruppe ist es uns gelungen, einen neuen Genort zu entdecken, der das Risiko für Vorhofflimmern signifikant beeinflusst, nämlich KCNN3“, sagt Kääb. „Glücklicherweise handelt es sich dabei um ein Gen, das an der Synthese eines Kaliumkanals beteiligt ist. Dieser spielt bei der Erregungsbildung des Herzens eine Rolle und stellt somit ein mögliches Ziel für neue Medikamente dar.“

So könnten in zukünftigen Studien neuartige Wirkstoffe entwickelt und erprobt werden, die gezielt an diesem Kaliumkanal ansetzen und auf diese Weise eine unkoordinierte Erregung des Herzens verringern. „Gleichzeitig verbessert das Ergebnis unser Verständnis über die pathophysiologischen Mechanismen, die zur Entstehung des Vorhofflimmerns beitragen“, sagt Kääb. „Zudem hoffen wir, dass die Ergebnisse langfristig gesehen für eine individuelle Risikovorhersage genutzt werden können.“

Neben den Forschern der LMU München, der TU München und des Helmholtz Zentrums München waren an der Untersuchung Wissenschaftler aus mehr als 50 Forschungseinrichtungen in Deutschland, den USA, den Niederlanden, Estland und Island beteiligt. Gefördert wurde das Projekt unter anderem durch das Nationale Genomforschungsnetz (NGFN), das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) über das „Kompetenznetz Vorhofflimmern“, die „Fondation Leducq“ und den Investitionsfonds im Rahmen der Exzellenzinitiative der LMU.

Publikation:
„Common variants in KCNN3 are associated with lone artrial fibrillation“;
Patrick T. Ellinor et al.;
Nature Genetics online;
21. Februar 2010
Ansprechpartner:
Privatdozent Dr. Stefan Kääb
Klinikum der Universität München
Marchioninistr. 15
81377 München
Tel.: 089 / 7095-3049
Fax: 089 / 7095-6076
E-Mail: stefan.kaab@med.uni-muenchen.de

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Luise Dirscherl idw

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