Forscher entschlüsseln Rhythmus des Gedächtnisses

Spielen eine Schlüsselrolle für das Gedächtnis: Cholinerge Zellen (grün) sorgen durch die Ausschüttung von Acetylcholin dafür, dass die Gedächtniszellen langsamer takten. (c) Foto: Holger Dannenberg/Labor für Experimentelle Epileptologie und Kognitionsforschung

Im Zentrum des Gedächtnisses, dem Hippocampus, herrscht ein schnellerer Rhythmus als bei bei einem Heavy-Metal-Konzert: Bis zu zehn Mal in der Sekunde feuern dort die Nervenzellen, wenn wir uns neue Dinge einprägen. Und zwar, wie die Instrumente eines Orchesters, im schönsten Gleichtakt.

Der Taktstock, der diesen Rhythmus dirigiert, sitzt etwas entfernt im Vorderhirn – das so genannte mediale Septum. Wenn das Septum nicht richtig funktioniert, entartet der Heavy-Metal-Rhythmus des Gedächtnisses zur Kakofonie. Gleichzeitig versorgt das Septum den Hippocampus mit dem Nervenzell-Botenstoff Acetylcholin, der für die Speicherung neuer Gedächtnisinhalte wichtig ist. Menschen mit einem geschädigten Septum haben daher Probleme, sich neue Geschehnisse zu merken.

Wie wichtig die Funktion des Septums ist, weiß man schon seit einigen Jahrzehnten. Unbekannt war bislang allerdings, inwiefern die Acetylcholin-Ausschüttung mit der Taktgeber-Funktion zusammen hängt. Wissenschaftler um den Epileptologen Prof. Dr. Heinz Beck von der Universität Bonn haben diese Frage nun geklärt.

Eine Schlüsselrolle übernehmen demnach Acetylcholin-produzierende Zellen im Septum. Diese „cholinergen“ Zellen sind mit dem Hippocampus verkabelt, so dass sie dort Acetylcholin ausschütten können. Das Acetylcholin bremst im Hippocampus die Gedächtniszellen, so dass diese langsamer feuern.

Gleichzeitig aktivieren die cholinergen Zellen im Septum selbst die eigentlichen Taktgeber-Zellen. Auch diese entsenden Steuerungs-Leitungen in den Hippocampus. Darüber können sie sehr genau regeln, wann und mit welcher Frequenz die Gedächtniszellen feuern. Zusammen bewirken diese zwei Effekte, dass die Gedächtniszellen im Hippocampus zwar seltener feuern, dafür aber sehr präzise und synchron.

Merken und Erinnern geht nicht zur gleichen Zeit

Doch warum ist es überhaupt nötig, dass die Nervenzellen im Hippocampus synchron aktiv werden? „Vermutlich ist der Rhythmus wichtig, um die Funktionen des Gedächtnisses zu koordinieren“, spekuliert Holger Dannenberg vom Labor für experimentelle Epileptologie der Universität Bonn. „So ist es wahrscheinlich nur in bestimmten Phasen des Rhythmuses möglich, Inhalte zu speichern, und in anderen Phasen, gespeicherte Inhalte zu laden.“

Merken und Erinnern werden so zeitlich voneinander entkoppelt. Wenn das nicht funktioniert, gerät unser Gedächtnis durcheinander. Eventuell erlauben die Ergebnisse daher auch neue Einblicke in die Entstehung von Demenz-Erkrankungen. So gibt es bereits Hinweise darauf, dass bei Alzheimer-Patienten die Funktion des Septums gestört ist.

Publikation: Holger Dannenberg, Milan Pabst, Oliver Braganza, Susanne Schoch, Johannes Niediek, Melike Bayraktar, Florian Mormann, und Heinz Beck: Synergy of Direct and Indirect Cholinergic Septo-Hippocampal Pathways Coordinates Firing in Hippocampal Networks; Journal of Neuroscience, DOI:10.1523/JNEUROSCI.4460-14.2015

Kontakt:

Holger Dannenberg
Labor für Experimentelle Epileptologie
Universität Bonn
Tel. 0228/6885-157
E-Mail: hdannenb@uni-bonn.de

Prof. Dr. Heinz Beck
Labor für Experimentelle Epileptologie
Universität Bonn
Tel. 0228/6885-270
E-Mail: heinz.beck@ukb.uni-bonn.de

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