Die Parkinson-Krankheit verstehen – und stoppen: aktuelle Fortschritte

Prof. Volkmann von der Neurologischen Universitätsklinik Würzbur stellte heute auf dem 90. DGN-Kongress wegweisende aktuelle Forschungsarbeiten zu Parkinson vor. DGN/Hauss

„Es wird zunehmend klarer, wie genetische und Umweltfaktoren die Alpha-Synukleinopathie und damit die Neurodegeneration vorantreiben. Daraus ergeben sich neue Möglichkeiten für die Diagnostik und Strategien für kausale Therapien.“ Der Parkinson-Experte stellte heute auf dem 90. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) wegweisende aktuelle Forschungsarbeiten vor.

Parkinson vorbeugen? Asthma-Medikament reduziert Alpha-Synuklein-Transkription

Beta2-Adrenozeptor-Agonisten, gängige Asthma-Medikamente, senken das Risiko, an Morbus Parkinson zu erkranken. Zu diesem überraschenden Ergebnis kommt eine im September im Fachmagazin „Science“ publizierte Studie. Ausgehend von der Erkenntnis, dass der ersten beschriebenen monogenen Parkinson-Variante, PARK1, eine Triplikation des Alpha-Synuklein-Gens mit entsprechender Überexpression des Proteins zugrunde liegt, screenten die Autoren in einem neu entwickelten Zellmodell 1126 Substanzen mit möglichem modifizierendem Effekt auf die Transkription des Alpha-Synuklein-Gens, darunter auch gängige Pharmaka.

Es zeigte sich, dass Agonisten des Beta2-Rezeptors die Transkription signifikant erniedrigen, während Beta-Blocker sie signifikant erhöhen. In Nachfolgeexperimenten konnte an Wildtypmäusen gezeigt werden, dass eine Behandlung mit einem Beta2-Agonisten die Alpha-Synuklein-Expression in der Substantia nigra signifikant reduziert, was eine funktionelle Relevanz für die Parkinson-Krankheit nahelegt.

In der Tat konnte die Auswertung eines Populationsregisters mit Daten von vier Millionen Norwegern und einem Beobachtungszeitraum von elf Jahren zeigen, dass die Einnahme von Salbutamol das Risiko, eine Parkinson-Krankheit zu entwickeln, um den Faktor 0,66 reduziert, während die Einnahme von Propranolol es signifikant erhöht.

„Die Arbeit ist bedeutsam, weil sie eine Modifikation der Alpha-Synuklein-Transkription als neuen krankheitsmodifizierenden pharmakologischen Therapieansatz vorstellt, der auch noch mit gängigen und recht gut verträglichen Asthma-Mitteln theoretisch möglich wäre“, kommentiert Professor Volkmann. Eine solche Therapie würde früher in der Pathogenese eingreifen als heute verfügbare Behandlungen.

Alpha-Synuklein wandert vom Darm ins Gehirn

Die Hypothese, wonach dem Magen-Darm-Trakt eine besondere Rolle bei der Pathogenese der Parkinson-Krankheit zukommt, wurde 2017 erneut bestätigt. Forschungen der Dresdner Arbeitsgruppe um Dr. Francisco Pan-Montojo haben am Rotenon-Modell der Maus nahegelegt, dass pathologische Alpha-Synuklein-Ablagerungen in autonomen Nervenfasern der Darmwand entstehen könnten und sich über retrograden Transport in den dorsalen Vaguskern und von dort entsprechend der Braakschen Stadien in andere Hirnregionen ausbreiten. Eine Vagotomie verzögerte die Ausbreitung im Tiermodell. Die aktuelle schwedische Registerstudie belegt ein signifikant geringeres Risiko, an der Parkinson-Krankheit zu erkranken, wenn eine trunkale Vagotomie mindestens fünf Jahre vor Symptombeginn durchgeführt wurde (die DGN berichtete).

Darmbakterien triggern Neurodegeneration

Mehrere Forschungsgruppen weltweit untersuchen, wie Darmbakterien die Gesundheit des Gehirns beeinflussen. Eine im Fachmagazin „Cell“ erschienene US-amerikanische Arbeit belegt erstmalig, dass der Darmmikrobiota eine wichtige Rolle für die Neurodegeneration bei der Parkinson-Krankheit zukommt.

Die Autoren konnten am einem Mausmodell der Parkinson-Krankheit mit Überexpression von Alpha-Synuklein zeigen, dass eine Sterilisierung des Darms durch Antibiotikagabe zu verringerten Alpha-Synuklein-Ablagerungen im Gehirn, einer geringeren Neuroinflammation durch reduzierte Mikrogliaaktivierung und auch verminderten Krankheitssymptomen führt.

Die Übertragung von Mikrobiota von Parkinson-Patienten auf das sterile Mausmodell verstärkte die Krankheitssymptome, während dies bei Kontrollprobanden nicht zu beobachten war. Die Beeinflussung der zentralen Mikrogliaaktivierung und Neurodegeneration erfolgt möglicherweise über kurzkettige Fettsäuren als bakterielle Metabolite.

Meilenstein Frühdiagnose an der Haut

Deutsche Neurowissenschaftler um Dr. Kathrin Doppler und Professor Claudia Sommer aus Würzburg sowie Professor Wolfgang Oertel aus Marburg haben 2017 eine für die Parkinson-Forschung wegweisende Arbeit publiziert: Sie konnten bei Risikopatienten mit der sogenannten REM-Schlafverhaltensstörung den Biomarker Alpha-Synuklein in der Haut identifizieren und damit Parkinson nachweisen, Jahre bevor die Erkrankung sichtbar ausbricht (die DGN berichtete).

In Anbetracht des einfachen Zugangs zu Hautbiopsien und der hohen Spezifität der Untersuchung sehen die Autoren in der Methode einiges Potenzial, um Parkinson-Patienten im prodromalen Stadium der Erkrankung zu identifizieren und für klinische Studien zum Test von krankheitsmodifizierenden Medikamenten zu gewinnen.

200 Jahre Parkinson-Forschung: eine Erfolgsgeschichte

Vor genau 200 Jahren veröffentlichte James Parkinson erstmalig die Beschreibung der von ihm noch als Paralysis agitans bezeichneten Parkinson-Krankheit. Die Geschichte der Parkinson-Krankheit spiegelt seither wie kaum eine andere neurologische Erkrankung das rasche Wechselspiel neurowissenschaftlichen Erkenntnisgewinns und therapeutischen Nutzens für Patienten wider.

„Parkinson war die erste Erkrankung, bei der ein Neurotransmitterdefizit als ursächlich erkannt und behandelt wurde, bei der später die prinzipielle Möglichkeit der Neurotransplantation erforscht wurde, bei der eine Netzwerkstörung als Ursache für die klassischen Krankheitssymptome entdeckt und mittels funktioneller Stereotaxie behandelt wurde und bei der wir heute zunehmend besser verstehen, wie genetische und Umweltfaktoren den neurodegenerativen Prozess vorantreiben“, sagt Professor Volkmann.

Die Parkinson-Krankheit wird heute nicht mehr als einheitliche Krankheit gesehen, sondern als eine Gruppe neurodegenerativer Erkrankungen mit variabler genetischer oder erworbener Pathogenese, aber gemeinsamer neurodegenerativer Endstrecke und daraus resultierender klinischer Symptomatik, die sich im Bereich der gesamten Neuroachse durch motorische und nicht motorische Phänomene manifestiert.

Literatur:
Mittal S et al. β2-Adrenoreceptor is a regulator of the α-synuclein gene driving risk of Parkinson's disease. Science 2017; 357: 891–98. doi: 10.1126/science.aaf3934.
Pan-Montojo F et al. Environmental toxins trigger PD-like progression via increased alpha-synuclein release from enteric neurons in mice. Sci Rep 2012; 2: 898. doi: 10.1038/srep00898.
Liu B et al. Vagotomy and Parkinson disease: A Swedish register-based matched-cohort study. Neurology 2017; 88: 1996–2002. doi: 10.1212/WNL.0000000000003961. Epub 2017 Apr 26.
Starke Belege: Parkinson-Erkrankung könnte im Magen beginnen. Pressemitteilung der DGN vom
8. Juni 2017 (www.dgn.org/presse)
Sampson TR et al. Gut Microbiota Regulate Motor Deficits and Neuroinflammation in a Model of Parkinson’s Disease. Cell 2016; 167: 1469–80.e12. doi: 10.1016/j.cell.2016.11.018.
Doppler K et al. Dermal phospho-alpha-synuclein deposits confirm REM sleep behaviour disorder as prodromal Parkinson’s disease. Acta Neuropathol 2017; 133: 535–45. doi: 10.1007/s00401-017-1684-z.
Meilenstein: Hauttest erlaubt frühe Parkinsondiagnose. Pressemitteilung der DGN vom 14. Februar 2017. (www.dgn.org/presse)

Fachlicher Kontakt bei Rückfragen
Prof. Dr. med. Jens Volkmann
2. Vorsitzender der Deutschen Parkinson Gesellschaft e.V.
Direktor der Neurologischen Klinik
Universitätsklinikum Würzburg
Josef-Schneider-Str. 11, 97080 Würzburg
Tel.: +49 (0)931 20123751
E-Mail: Volkmann_J@ukw.de

Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
c/o albertZWEI media GmbH, Oettingenstraße 25, 80538 München
Tel.: +49 (0)89 46148622, Fax: +49 (0)89 46148625, E-Mail: presse@dgn.org
Pressesprecher der DGN: Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
sieht sich als neurologische Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren mehr als 8000 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org

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Stellvertretende Präsidentin: Prof. Dr. med. Christine Klein
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