Blasenentzündung: Wenn Bakterien die Angel auswerfen

Cartoon-Darstellung der Pilus-Struktur. Gezeigt werden sechs Pilusbausteine in einer Ansicht von oben Visualisierung: Lange/FMP

Harnwegsinfektionen sind die häufigsten bakteriellen Entzündungen in Deutschland. Jede zweite Frau erkrankt mindestens einmal in ihrem Leben an einer Blasenentzündung, besonders quälend sind ständig wiederkehrende Infektionen.

Dabei verfügt der Körper eigentlich über eine schlichte, aber effektive Abwehrmaßnahme: Geraten Bakterien in den Harntrakt, werden die Eindringlinge mit dem Urin wieder herausgespült. In manchen Fällen aber gelingt es ihnen, an der Innenwand der Blase Halt zu finden: So wie Moos in einem reißenden Fluss gedeihen kann, besiedeln die Einzeller dann die Schleimhäute der Harnwege – mit schmerzhaften Folgen.

Der überwiegende Teil der Harnwegsinfekte wird von Escherichia coli-Bakterien verursacht, die normalerweise im menschlichen Darm leben, und die auf ihrer Oberfläche mit Hunderten feinster Härchen, den sogenannten Pili bestückt sind. „Man kann sich jeden einzelnen Pilus wie eine Angelleine vorstellen“, sagt Adam Lange.

„Die Leine ist fest und zugleich flexibel, und an ihrem Ende sitzt ein weiterer Eiweißbaustein, der sich wie ein Angelhaken spezifisch an bestimmte Moleküle der menschlichen Schleimhaut anheftet.“ Adam Lange untersuchte mit seiner Gruppe den Pilus vom Typ 1, durch den sich Darmbakterien an der Blaseninnenwand festsetzen. Er ist aus rund 3000 identischen Eiweißbausteinen aufgebaut, die perfekt ineinander passen und sich zu einer gewundenen Helix aneinanderlagern.

Die Analyse eines solch komplexen Gebildes ist für Strukturbiologen eine besondere Herausforderung, da der Molekülkomplex weder auskristallisiert noch löslich ist. Adam Lange, der vor zwei Jahren vom Europäischen Forschungsrat (ERC) eine Förderung über 1,5 Millionen Euro für die Erforschung von Infektionsmechanismen erhalten hat, ging das Problem daher mit einer Kombination dreier verschiedener Methoden an.

Durch Elektronenmikroskopie wurde der Aufbau eines Pilus grob ersichtlich; mittels Kernspinresonanz (NMR) ermittelte er die atomare Struktur der einzelnen Eiweißbausteine. Und außerdem setzte er auch die noch junge Methode der Festkörper-NMR ein, mit der sich unlösliche Proteinaggregate analysieren lassen und zu deren Pionieren Lange gehört. „Je genauer wir Krankheitserreger bis hin ins atomare Detail verstehen, desto eher wird es gelingen, neue Wirkstoffe zu finden, die gezielt Infektionsmechanismen blockieren“, sagt Lange.
Text: Birgit Herden

Habenstein B, Loquet A, Hwang S, Giller K, Vasa SK, Becker S, Habeck M, Lange A. Hybrid Structure of the Type I Pilus of Uropathogenic E. coli (2015)
Angew Chem Int Ed Engl. DOI: 10.1002/anie.201505065. [Epub ahead of print]

Kontakt:
Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP)
Robert-Rössle-Str. 10, 13125 Berlin
Prof. Dr. Adam Lange
Tel: +49 30 947 93 191
E-mail: alange@fmp-berlin.de

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Öffentlichkeitsarbeit
Tel: +49 30 947 93 104
E-mail: osswald(at)fmp-berlin.de

Das Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP) gehört zum Forschungsverbund Berlin e.V. (FVB), einem Zusammenschluss von acht natur-, lebens- und umweltwissenschaftlichen Instituten in Berlin. In ihnen arbeiten mehr als 1.500 Mitarbeiter. Die vielfach ausgezeichneten Einrichtungen sind Mitglieder der Leibniz-Gemeinschaft. Entstanden ist der Forschungsverbund 1992 in einer einzigartigen historischen Situation aus der ehemaligen Akademie der Wissenschaften der DDR.

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