Schwerelos forschen

Die Arbeitsgruppe von Dr. Günter Hahn in der Abteilung Anaesthesiologische Forschung der Universitätsmedizin Göttingen hat mit einem umfangreichen medizinischen Experiment an der 10. Parabelflugkampagne des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) anlässlich des Tages der Luft- und Raumfahrt in Köln teilgenommen. Das DLR hat mit einer Förderung die Teilnahme möglich gemacht. Im Experiment erforschte die Arbeitsgruppe die Verteilung von Luft und Flüssigkeit in der Lunge in der Schwerelosigkeit.

In der Abteilung Anaesthesiologische Forschung (Direktor: Prof. Dr. Gerhard Hellige) wird Forschung auf hohem Niveau auch im wörtlichen Sinn betrieben. So hat Dr. Günter Hahn die zur Anwendungsreife weiterentwickelte Methode für die bildliche Darstellung der Belüftung der Lunge mittels der elektrischen Impedanztomographie in der Vergangenheit auf Europas höchstem Gebäude, der Margherita-Hütte (4554 Meter über dem Meeresspiegel) zu Forschungszwecken erfolgreich eingesetzt. Die Methode der elektrischen Impedanztomographie stellt die elektrische Widerstandsverteilung im Körperschnittbild dar.

Bei dem vom DLR geförderten Experiment sind die Wissenschaftler fast doppelt so hoch gekommen – mit Hilfe eines Airbus 300. 8400 Meter beträgt die Gipfelhöhe, die der Airbus erreicht, wenn er ein so genanntes Parabelflug-Manöver durchführt. Mit Vollgas treiben die Turbinen das für Forschungszwecke umgebaute ehemalige Testflugzeug steil in den Himmel. Wie bei einem in die Luft geworfenen Stein folgt seine Flugbahn dem Verlauf einer auf dem Kopf stehenden Parabel. Das heißt: Der anschließende Sturzflug in die Tiefe ist unvermeidlich, bevor das Flugzeug wieder abgefangen wird. Dabei treten ganz unterschiedliche Kräfte auf. Im aufsteigenden Bogen und während des Abfangens wirkt fast die doppelte Schwerkraft auf die Insassen. Im oberen Teil der Flugbahn ist sie jedoch aufgehoben, es herrscht für fast 25 Sekunden Schwerelosigkeit. Dieses Manöver wird während jeden Fluges 31 Mal wiederholt.

Diese Möglichkeit, die Schwerkraft künstlich verändern zu können, nutzen die Wissenschaftler um Professor Hellige, um Vorgänge im Körper besser verstehen zu lernen, die auch am Boden von der Schwerkraft abhängig sind.

Das Experiment
Bei einem gesunden Menschen ist die Verteilung von Luft und Blut in der Lunge nicht überall gleich. Es besteht ein angepasstes Gleichgewicht zwischen der Belüftung und der Durchblutung der Lunge. Muss ein kranker Patient beatmet werden, kann dieses Gleichgewicht gestört sein. So kann sich zum Beispiel Lungenwasser stärker im unteren Teil der Lunge ansammeln. Auch andere krankheitsbedingte Belüftungsstörungen sind schwerkraftabhängig. Daher werden Intensivpatienten teilweise speziell gelagert und gedreht.

Erste Ergebnisse der Göttinger Arbeitsgruppe mit der elektrischen Impedanztomographie zeigen, dass dieser Schwerkrafteinfluss nicht bei allen Menschen gleich ist. Um die Beatmungstherapie individuell verbessern zu können, benötigt der Arzt möglichst genaue Informationen über die Vorgänge in der Lunge. Hier soll die elektrische Impedanztomographie in naher Zukunft helfen, diese Informationen direkt am Krankenbett zu erhalten. Ähnlich wie bei einem EKG werden 16 Elektroden um den Oberkörper angebracht und dann kleine Wechselströme eingespeist. Dadurch können Schnittbilder der Lungenbelüftung berechnen werden. Das Verfahren ist vollkommen unschädlich.

Das Verfahren der elektrischen Impedanztomographie arbeitet völlig ohne Strahlenbelastung. Deshalb besteht ein großes medizinisches Interesse, dieses Verfahren auch zur Untersuchung von Frühgeborenen mit Lungenfunktionsstörungen, aber möglicherweise auch in der bemannten Raumfahrt zur Überwachung von Astronauten bei Langzeitflügen einzusetzen.

WEITERE INFORMATIONEN:
Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität
Abteilung Anaesthesiologische Forschung, Robert-Koch-Str. 40, 37075 Göttingen
Dr. Günter Hahn, Telefon 0551 / 39-9730, E-Mail: ghahn@gwdg.de
Prof. Gerhard Hellige Telefon 0551 / 39-5908, E-Mail: ghellig@gwdg.de

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Stefan Weller idw

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