Epilepsie: Wenn das Gehirn aus allen Neuronen feuert

Mehr als 600.000 Patienten in Deutschland leiden an Epilepsie.

Bei etwa einem Drittel dieser Patienten kann die Erkrankung mit Medikamenten bislang nicht kontrolliert werden. Zum Wesen der Epilepsien gehört das spontane Auftreten epileptischer Anfälle, die sich in kognitiven Defiziten, motorischen Störungen, bis hin zu Verkrampfungen der Extremitäten oder in Automatismen äußern. Die Epilepsie ist unberechenbar, ohne Vorankündigung überraschen die epileptischen Attacken die Betroffenen in jeder Lebenssituation, ob beim Fahrradfahren, im Supermarkt oder zu Hause.

Die Anfälle nehmen nicht viel Zeit ein, in den meisten Fällen weit weniger als ein Prozent der Lebenszeit. Dennoch gelten die Betroffenen als chronisch krank und sind aufgrund der Unvorhersehbarkeit des nächsten Anfalls stark beeinträchtigt. Die permanente Angst vor Anfällen führt zum sozialen Rückzug, viele berufliche Tätigkeiten bleiben den Patienten verschlossen, das Führen eines Kraftfahrzeugs ist verboten, die Gefahr auch lebensgefährlicher Verletzungen stets präsent. Darüber hinaus bedeutet das unvorhergesehene Auftreten epileptischer Anfälle, dass nicht gezielt, zeitlich begrenzt behandelt werden kann. Die Patienten müssen über viele Jahre hinweg dauerhaft prophylaktisch Medikamente einnehmen.

Epileptische Attacken werden durch eine Fehlfunktion der Nervenzellen im Gehirn ausgelöst. Beim epileptischen Anfall feuert das Gehirn in ganzen Bereichen gleichzeitig aus allen Neuronen. Weltweit arbeiten Forscher daran, ein zuverlässiges Frühwarnsystem zu etablieren, das den Übergang in einen Anfall frühzeitig erkennt. Seit rund zehn Jahren konzentrieren sich diese Bemühungen verstärkt darauf, das Nahen eines Anfalls aus kontinuierlichen EEG-Registrierungen (Elektroencephalogramm) vorherzusagen. Mittels verschiedener mathematischer Verfahren der Zeitreihenanalyse können heute aus dem EEG Informationen herausgelesen werden, die eine signifikant erhöhte Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Anfällen aufweisen. Wesentliche Impulse kamen dafür aus den kooperierenden Gruppen des Freiburger Zentrums für Datenanalyse und Modellbildung, unter der Leitung von Prof. Dr. Jens Timmer und des von Prof. Dr. Andreas Schulze-Bonhage geleiteten Epilepsiezentrums am Universitätsklinikum Freiburg.

Erste US-Firmen beginnen derzeit mit der Entwicklung von Verfahren, die Patienten vor einem Anfall warnen können. Dies würde die dauerhafte Überschattung der gesunden Phasen durch die vergleichsweise kurzen Anfallsepisoden mindern. Der zweite Schritt sind Verfahren, die zu einer zeitlich gezielten Therapie und Anfallskontrolle führen.

Die Forschungen mit dem Ziel, epileptische Anfälle bei Patienten vorhersagen zu können, sind multidisziplinär. Bei der „Internationalen Tagung zur Anfallsvorhersage bei Epilepsiepatienten“, die vom 29. September bis zum 2. Oktober in Freiburg stattfindet, stellen Grundlagenwissenschaftler sowie experimentell arbeitende Epilepsieforscher, klinisch tätige Epileptologen und anwendungsorientierte Forscher aus der Industrie gemeinsam aktuelle Ansätze zur Anfallsvorhersage vor und diskutieren neue therapeutische Verfahren, wie die Tiefenhirnstimulation. Die Erforschung der Anfallvorhersage wird intensiv von Organisationen wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem BMBF, der Europäischen Union und des National Institute of Health gefördert.

Kontakt:
Prof. Dr. med. Andreas Schulze-Bonhage
Epilepsiezentrum, Universitätsklinikum Freiburg
Breisacher Straße 64, 79106 Freiburg
Tel. 0761 / 270-5366
E-Mail andreas.schulze-bonhage@uniklinik-freiburg.de
Prof. Dr. rer. nat. Jens Timmer
Freiburger Zentrum für Datenanalyse und Modellbildung
Eckerstraße 1, 79104 Freiburg
Tel. 0761 / 203-5829
E-Mail jens.timmer@fdm.uni-freiburg.de

Media Contact

Rudolf-Werner Dreier idw

Weitere Informationen:

http://epilepsy.uni-freiburg.de/

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