Neue Therapie für Bechterew-Patienten

Presseinformation Kompetenznetz Rheuma 4/02

TNF-alpha-Blocker hochwirksam bei Patienten mit ankylosierender Spondylitis

Die ankylosierende Spondylitis (auch: Morbus Bechterew) ist eine chronisch entzündliche rheumatische Erkrankung, die oft zur Verknöcherung und Versteifung der Wirbelsäule führt. Die häufig recht jungen Patienten leiden unter zum Teil erheblichen Rückenschmerzen, die im Wesentlichen durch die Entzündung bedingt sind. Jetzt ist erstmals eine Therapie in Sicht, mit der man die Krankheitsaktivität bei einem Großteil der Patienten deutlich reduzieren kann. „Die Behandlung mit biologischen Medikamenten aus der neuen Gruppe der Tumor-Nekrose-Faktor-alpha-Blocker kann als Durchbruch für Patienten mit ankylosierender Spondylitis bezeichnet werden“, betont der Rheumatologe Dr. Jürgen Braun, Leitender Arzt am Rheumazentrum Ruhrgebiet in Herne und Professor der Freien Universität Berlin.

Bisher gab es für die Kranken – meist junge Patienten, Männer etwas häufiger als Frauen – im Wesentlichen nur drei Therapieoptionen:

  1. Schmerzbeseitigung durch nichtsteroidale Antirheumatika,
  2. Krankengymnastik, um der Versteifung und Verkrümmung der Wirbelsäule entgegenzuwirken und
  3. Bremsung der begleitenden Gelenkentzündung durch Sulfasalazin, ein Medikament aus der Gruppe der so genannten Basistherapeutika.

Eine Möglichkeit, die zu Grunde liegende Wirbelsäulenentzündung wirksam einzudämmen, bestand dagegen nicht. Denn im Gegensatz zu anderen Rheumaerkrankungen wie der rheumatoiden Arthritis wirken Kortisonpräparate und immunmodulierende Substanzen bei der ankylosierenden Spondylitis weniger gut oder gar nicht. Deshalb ist die Funktionsfähigkeit der betroffenen Patienten zum Teil erheblich eingeschränkt und auch die Lebensqualität vermindert. Die sozioökonomischen Kosten sind hoch – auch, weil es sich um eine häufige Erkrankung handelt.

Besserung bei mehr als 80 % der Kranken

Zusammen mit seinen Kollegen Prof. Dr. Jochen Sieper und Dr. Jan Brandt von der Medizinischen Klinik I des Universitätsklinikums Benjamin Franklin in Berlin hat Prof. Braun soeben im renommierten Fachblatt „The Lancet“* eine Studie publiziert, die die ausgezeichnete Wirksamkeit des Tumor-Nekrose-Faktor(TNF)-alpha-Blockers Infliximab (Remicade®) bei Patienten mit aktiver ankylosierender Spondylitis belegt. Der Botenstoff TNF-alpha wurde in den entzündeten Gelenken der Kranken vermehrt nachgewiesen und scheint wesentlich an der Aufrechterhaltung der chronischen Entzündung beteiligt zu sein.

„Mehr als 80 % der Behandelten zeigten unter Infliximab eine klinische Besserung und bei mehr als 50 % wurde die Krankheitsaktivität sogar um über die Hälfte reduziert“, berichtet Prof. Braun. Die Studie wurde in Berlin geplant, verdankt aber ihre zügige und erfolgreiche Durchführung der gelungenen Vernetzung rheumatologischer Institutionen im Kompetenznetz Rheuma. Insgesamt acht rheumatologische Kliniken** aus dem ganzen Bundesgebiet brachten Patienten in die Studie ein; beteiligt waren auch Forscher des Deutschen Rheuma-Forschungzentrums in Berlin. Schon jetzt gilt die Studie als Meilenstein in der Behandlung dieser zum Teil deletär verlaufenden Wirbelsäulenentzündung. Sie ist nicht nur die weltweit erste placebokontrollierte Studie mit TNF-alpha-Blockern bei ankylosierender Spondylitis, sondern zeichnet sich auch dadurch aus, dass die Initiative dazu von den Untersuchern ausging und nicht von der Pharmaindustrie.

Insgesamt 70 Patienten mit aktiver ankylosierender Spondylitis wurden in die Studie aufgenommen. Nach dem Zufallsprinzip erhielten 35 Patienten je eine Infliximab-Infusion in einer Dosis von 5 mg pro Kilogramm Körpergewicht in Woche 0, 2 und 6, während die anderen 35 lediglich ein Placebo bekamen. Die Beobachtungszeit betrug 12 Wochen. Zur Beurteilung des Therapieerfolgs wurden bewährte Instrumente zur Messung der Krankheitsaktivität, der funktionellen Einschränkungen, der Beweglichkeit und der Lebensqualität von Patienten mit ankylosierender Spondylitis herangezogen.

Die Therapie mit dem TNF-alpha-Blocker führte zu einer raschen und oft dramatischen klinischen Besserung. Nach 12 Wochen war die Krankheitsaktivität bei 53 % der Infliximab-Patienten um mindestens die Hälfte zurückgegangen. Eine vergleichbare Besserung zeigten nur 9 % der Placebo-Patienten. Alltagsfunktion und Lebensqualität besserten sich signifikant unter Infliximab, nicht aber unter Placebo. Die Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika konnte bei 56 % der Infliximab-Patienten versus 19 % der Placebo-Patienten um mehr als die Hälfte reduziert werden. Entzündungsparameter im Blut (C-reaktives Protein) fielen nur unter Infliximab signifikant ab, nicht dagegen unter Placebo.

„Auch wenn die Studien schwer vergleichbar sind, scheint der TNF-alpha-Blocker bei Patienten mit ankylosierender Spondylitis mindestens so gut, wenn nicht besser zu wirken als bei Patienten mit rheumatoider Arthritis, für die das Medikament bereits zugelassen ist“, urteilt Prof. Sieper, Leiter der Rheumatologie in der Medizinischen Klinik I am Universitätsklinikum Benjamin Franklin, Berlin.

Einsatz vorläufig nur in rheumatologisch erfahrenen Zentren

Die Therapie mit dem TNF-alpha-Blocker wurde von den meisten Patienten gut vertragen. In drei Fällen zeigten sich jedoch relevante Nebenwirkungen: Ein Patient entwickelte eine Tuberkulose, ein Patient eine allergische Granulomatose der Lunge und ein weiterer zeigte einen vorübergehenden Abfall der weißen Blutzellen (Leukopenie). Alle Nebenwirkungen konnten erfolgreich behandelt werden, vor allem die Tuberkulose ist aber natürlich eine ernste Komplikation. Prof. Braun empfiehlt deshalb, vor einer solchen Behandlung ein sorgfältiges Screening auf Tuberkulose durchzuführen und ggf. prophylaktisch zu behandeln. Grundsätzlich sollte die neue Therapie zunächst vor allem in Zentren mit spezieller rheumatologischer Erfahrung eingesetzt werden. Langzeitdaten stehen noch aus, Experten rechnen jedoch damit, dass die effektive Unterdrückung der Entzündung bei ankylosierender Spondylitis auch der gefürchteten Wirbelsäulenversteifung vorbeugen kann.

*The Lancet 359; 2002:1187-93 (vom 6. April 2002)

**Berlin-UKBF, Berlin-Charité, Berlin-Buch, Berlin-Schlosspark-Klinik, Hannover, München, Düsseldorf, Deutsches Rheuma-Forschungszentrum Berlin


Daten und Fakten zur ankylosierenden Spondylitis

An einer ankylosierenden Spondylitis (wörtlich: „verknöchernde Wirbelkörperentzündung“) leiden 0,2-0,9 % der Bevölkerung, pro Jahr ist mit mindestens 6 neuen Fällen auf 100.000 Einwohner zu rechnen. Männer sind etwas häufiger betroffen als Frauen. Die ersten Symptome beginnen meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr, manchmal auch schon im Kindesalter. Leitsymptom ist der tief sitzende, vor allem nächtliche Rückenschmerz.
Neben den Gelenken der Wirbelsäule kann die Entzündung auch andere Gelenke und Sehnenansätze befallen sowie die Regenbogenhaut des Auges, die Herzklappen, die große Bauchschlagader, die Lunge oder die Niere. Schmerzen, Allgemeinsymptome und die allmähliche Versteifung der Wirbelsäule schränken die Lebensqualität der Kranken erheblich ein, Komplikationen können in Einzelfällen sogar zum Tode führen.
Nicht nur die große Häufigkeit von Rückenschmerzen in der Bevölkerung führt dazu, dass die Krankheit in Deutschland im Mittel erst nach 6-8 Jahren erkannt wird. Hier sind verstärkte Anstrengungen erforderlich, um durch eine systematische Früherkennung und die jetzt zur Verfügung stehende Therapie besser in der Lage zu sein, das Fortschreiten der Erkrankung und die Versteifung der Wirbelsäule aufzuhalten.

TNF-alpha-Blocker: Was ist das eigentlich?

TNF-alpha-Blocker sind Medikamente, die gezielt den körpereigenen Botenstoff TNF-alpha hemmen, der bei einigen chronisch-entzündlichen Erkrankungen eine wichtige Rolle spielt. TNF-alpha wird durch diese Medikamente im Blut oder auf Zelloberflächen gebunden und so unschädlich gemacht. Bisher sind zwei TNF-alpha-Blocker auf dem deutschen Markt verfügbar: Infliximab (Remicade®) und Etanercept (Enbrel®). Infliximab ist zur Behandlung von Patienten mit schwerer, therapieresistenter rheumatoider Arthritis zugelassen und zur Behandlung von Patienten mit Morbus Crohn, einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung, die nicht selten mit einer ankylosierenden Spondylitis assoziiert ist. Etanercept besitzt die Zulassung für die Behandlung von Patienten mit schwerer rheumatoider Arthritis und für Kinder mit juveniler chronischer Arthritis.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. med. Jürgen Braun
Leitender Arzt
Rheumazentrum Ruhrgebiet
St. Josefs-Krankenhaus
Landgrafenstr. 15
44652 Herne
T: 02325 592 131
F: 02325 592 136 
j.braun@rheumazentrum-ruhrgebiet.de

Prof. Dr. med. Jochen Sieper
Leiter der Rheumatologie in der Medizinischen Klinik I
Universitätsklinikum Benjamin Franklin
Freie Universität zu Berlin
Hindenburgdamm 30
12200 Berlin
T: 030 8445 4547
F: 030 8445 4582
hjsieper@zedat.fu-berlin.de

Abdruck honorarfrei, über ein Belegexemplar an die unten genannte Adresse würden wir uns freuen!

– Pressestelle –
Dr. med. Julia Rautenstrauch, Hermann-Hesse-Str. 4, 88427 Bad Schussenried
Tel.: 07583 3818, Fax: 07583 4440,E-Mail: Rautenstrauch@t-online.de

Media Contact

Dr. Julia Rautenstrauch idw

Weitere Informationen:

http://www.rheumanet.org/

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