Die "Tarnkappen" menschlicher Embryos

Jedes neue Leben ist ein kleines Wunder. Zugegeben, das ist eine Binsenwahrheit. Was die Fortpflanzung der Säugetiere – inklusive des Menschen – betrifft, steckt in dieser Floskel jedoch weit mehr als nur ein wahrer Kern. „Im Grunde dürfte eine Schwangerschaft gar nicht funktionieren“, bringt PD Dr. Udo Markert vom Universitätsklinikum Jena das „Paradoxon Schwangerschaft“ auf den Punkt. „Schließlich ist der Embryo für den Körper der Mutter ein Fremdorganismus, da er neben den mütterlichen auch väterliche Merkmale enthält“, so der Leiter des „Placenta-Labors“ der Universitätsklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe weiter. Und das macht den Embryo eigentlich zu einem klaren Fall für die Immunabwehr.

Die geht normalerweise mit Eindringlingen, wie Viren oder Bakterien, wenig zimperlich um: Erkennen die Zellen des Immunsystems körperfremde Zellen, so werden diese mit giftigen Substanzen bombardiert und von Fresszellen eliminiert. „Damit der Embryo das nicht nur überlebt, sondern sich unbeschadet in die Gebärmutter einnisten und entwickeln kann, muss das Immunsystem der Mutter dort für den Zeitraum der Schwangerschaft ausgeschaltet werden“, sagt Dr. Markert. Wie das geschieht, untersucht der Jenaer Mediziner mit seinem Team.

Bei ihrer Forschung werden die Wissenschafter um Dr. Markert in den kommenden zwei Jahren eng mit Fachkollegen des Indischen National Institut of Immunology in Neu Delhi zusammenarbeiten. Die Forscher haben ein Austauschprojekt ins Leben gerufen, das vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gefördert wird. Im Rahmen seiner Programme des Projektbezogenen Personenaustauschs (PPP) finanziert der DAAD insgesamt zehn Wissenschaftlern – sechs aus Jena und vier aus Neu Delhi – einen Forschungsaufenthalt im jeweils anderen Institut. Jetzt trat Dr. Pankaj Suman als erster indischer Gast seinen Forschungsaufenthalt im Jenaer „Placenta-Labor“ an.

In der bevorstehenden gemeinsamen Arbeit wollen die Reproduktionsimmunologen untersuchen, welche Mechanismen es den Embryos erlauben, sich in die Gebärmutter einzunisten und dort – unerkannt vom Immunsystem – zu wachsen. „Es handelt sich um ein komplexes Zusammenspiel vieler genau aufeinander abgestimmter Vorgänge“, weiß Udo Markert bereits. So weisen die Zellen der äußeren Hülle des Embryos etwa veränderte Oberflächenstrukturen auf, die sie für die Immunabwehr praktisch unsichtbar machen.

Der Forscher von der Uni Jena interessiert sich für diese Mechanismen jedoch nicht nur, um das „Rätsel Schwangerschaft“ zu lösen. Die gewonnenen Erkenntnisse lassen sich auch nutzen, um neue Strategien für ein ganz anderes medizinisches Problem finden. „Das Einnisten des Embryos in die Gebärmutter hat große Ähnlichkeit mit dem invasiven Wachstum eines Tumors“, so Markert. Auch Tumorzellen „tarnen“ sich vor der Immunabwehr und dringen – wie ein Embryo in die Gebärmutter – in andere Zellen und Gewebe ein. Aus dem besseren Verständnis der zellulären Vorgänge bei einer Schwangerschaft erhoffen sich die Forscher deshalb auch neue therapeutische Ansätze, um das Tumorwachstum zu stoppen.

Neben der nun angestoßenen Kooperation mit indischen Kollegen wirken die Forscher um Dr. Markert bereits seit einigen Jahren als einzige Thüringer Arbeitsgruppe aus der Medizin an einem Europäischen Exzellenznetzwerk mit. So gehört das Jenaer „Placenta-Labor“ seit 2004 als einer von nur zwei deutschen Partnern dem „European Network of Excellence on Embryo Implantation Control“ (EMBIC) an. Zudem wurde Udo Markert kürzlich in das Council der internationalen Dachgesellschaft der Reproduktionsimmunologen (International Society of Reproductive Immunology) gewählt. Der Jenaer Mediziner wird dem achtköpfigen Gremium für die kommenden drei Jahre angehören.

Kontakt:
PD Dr. Udo Markert
„Placenta-Labor“ der Abteilung für Geburtshilfe des Universitätsklinikums Jena
Bachstraße 18, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 933763
E-Mail: markert[at]med.uni-jena.de

Media Contact

Ute Schönfelder idw

Weitere Informationen:

http://www.placenta-labor.de

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