Schneller lernen, Angst zu verlernen

Traumatische Erlebnisse können sich so sehr „in das Gehirn einbrennen“, dass die Betroffenen auch in harmlosen Situationen Panikattacken bekommen. Nur langwierige Psychotherapie hilft bisher, Patienten mit posttraumatischen Belastungsstörungen von der Harmlosigkeit der Angst auslösenden Situationen zu überzeugen. Forscher um Dr. André Fischer, Leiter der Nachwuchsgruppe Experimentelle Neuropathologie am European Neuroscience Institute Göttingen (ENI-G), haben jetzt einen Weg gefunden, bei Mäusen das Gehirn so zu beeinflussen, dass die Tiere schneller wieder Vertrauen fassen. Neue Wirkstoffe könnten die Therapie von Menschen mit erlernter Furcht und Phobien, etwa Spinnenangst, Höhenangst oder Kriegstrauma, deutlich verkürzen. Die Ergebnisse sind am 15. Juli 2007 in der Online-Ausgabe der Zeitschrift Nature Neuroscience erschienen.

Manche Menschen setzen sich nach einem Autounfall schnell wieder hinter das Steuer. Andere trauen sich nie wieder und leiden auch in anderen Situationen unter Panikattacken. Das Gehirn dieser Personen durchlebt immer wieder die Angst, die es mit dem unangenehmen Ereignis in Zusammenhang bringt. Oft kommen die Panikattacken wie von selbst, ohne dass die Betroffenen wissen, warum. Behandelt werden posttraumatische Belastungsstörungen bisher durch scheinbare oder reale Konfrontationen mit der angstauslösenden Situation. Das Gehirn soll „umprogrammiert“ werden und die Situation als harmlos „neu abspeichern“. Viele psychotherapeutische Sitzungen sind dafür nötig.

Was auf molekularer Ebene im Gehirn passiert, wenn ein Erlebnis zum Trauma wird, haben Dr. André Fischer und seine Mitarbeiterin, Dr. Farahnaz Sanabenesi, zusammen mit Forschern von der Northwestern Universität in Chicago, der Harvard University und dem Massachusetts Institute of Technology in Boston, Massachusetts, herausgefunden: Angst auslösende Erlebnisse aktivieren vorübergehend ein Protein mit dem Namen Cdk5 im Hippocampus, dem Zentrum für die Speicherung von Erinnerungen. Innerhalb weniger Stunden „brennt“ das Gehirn die Erfahrung als Trauma im Gedächtnis fest. Damit das Gehirn die belastende Situation in der Therapie als „doch nicht schlimm“ neu abspeichern kann, muss die Aktivität von Cdk5 vorübergehend unterdrückt werden.

Im Experiment erhielten Mäuse einen leichten Elektroschock an den Füßen, wenn sie zum ersten Mal einen bestimmten Raum betraten. Danach durften die traumatisierten Mäuse mehrere Male in den Raum, allerdings ohne Elektroschock. Mäuse mit erhöhter Cdk5-Aktivität im Gehirn brauchten länger als normale Mäuse, um wieder neu Vertrauen zu fassen. „Die Cdk5-Aktivität verhindert das Auslöschen erlernter Angst. Dies geschieht mindestens zum Teil dadurch, dass aktiviertes Cdk5 ein anderes Protein an seiner Aktivität behindert. Wenn wir Cdk5 unterdrücken oder gar eine gegenläufige Kraft aktivieren, lernen unsere Mäuse sehr schnell, dass keine Gefahr mehr besteht. Die erlernte Furcht wird ausgelöscht. Wenn wir Cdk5 dagegen sehr stark aktivieren, lernen die Tiere praktisch nie, dass keine Gefahr mehr besteht“, sagt Dr. André Fischer.

Eine Reihe von Wirkstoffen ist bereits bekannt, die auf verschiedene Komponenten des Cdk5-Signalweges einwirken. „Bis die besten dieser Wirkstoffe

identifiziert sind und für die Therapie von posttraumatischen Belastungsstörungen am Menschen getestet werden können, vergehen allerdings noch mehrere Jahre“, so Fischer.

Das European Neurosciences Institute Göttingen (ENI-G) besteht seit Juni 2003 und vereint derzeit fünf Forschergruppen. Sie werden durch die Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität, und die Max-Planck-Gesellschaft gefördert. Die Neurowissenschaften sind ein ausgewiesener Schwerpunkt am interdisziplinären Forschungsstandort Göttingen.

WEITERE INFORMATIONEN:
European Neuroscience Institute Göttingen (ENI-G)
Nachwuchsgruppe Experimentelle Neuropathologie
Dr. André Fischer, Telefon +49 / 551 / 39-10378
Andre.Fischer@mpi-mail.mpg.de
Grisebachstr. 5, D-37077 Göttingen

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