Knochenzüchtung: High Tech für den neuen Zahn

Der Titel des Plenarvortrags von Professor Hendrik Terheyden von der Klinik für MKG-Chirurgie der Universität Kiel auf dem Jahreskongress der DGI ist eine rhetorische Frage: „Knochenzüchtung – geht das?“ Denn die Antwort ist eindeutig: „Ja“, sagt Terheyden. Den Beweis haben er und sein Team bereits vor drei Jahren erbracht. Damals berichteten die Kieler MKG-Chirurgen, dass es ihnen erstmals gelungen sei, Teile eines Unterkiefers aus körpereigenen Zellen eines Patienten zu züchten und diesem einzupflanzen. Die Forscher hatten ein Gemisch aus Knochenersatzmaterial, Stammzellen aus dem Knochenmark des Patienten und biologische Wachstumsfaktoren in einem „Käfig“ aus Titan gemischt und in den Rückenmuskel des Patienten implantiert. Binnen sieben Wochen war die Knochenbildung soweit fortgeschritten, dass der Käfig in den Kiefer eingebaut werden konnte.

Um derart große Knochenstücke zu regenerieren ist eine „Zutat“ unerlässlich: Blutgefäße, die das neu gebildete Gewebe ernähren. Und diese benötigen Zeit, um aus dem umgebenden Gewebe in den „Nachwuchs“ einzuwachsen.

Ohne Saft keine Kraft. Darum steht bislang auch der Beweis aus, dass es möglich ist, mit Geweben, die im Reagenzglas gezüchtet wurden („in vitro tissue engineering“), durch eine Transplantation in den Körper größere Defekte zu heilen. Terheyden: In solchen Fällen sterben die transplantierten Zellen ab, das Gewebe wird nekrotisch, weil die Blutgefäße fehlen.

Die wichtige Blutversorgung der Nachzucht kann nur dadurch sichergestellt werden, indem die Stammzellen, die Gerüstsubstanz und die Wachstumsfaktoren in ein Gewebelager integriert werden, das Blutgefäße ausbilden kann. „Dies ist etwa in der Muskulatur möglich“, erklärt Terheyden. In dieser Umgebung können die Stammzellen langsam zu Knochen heranwachsen und neue Blugefäße bilden – das Prinzip, das die Kieler Forscher bei ihrem bahnbrechenden Experiment 2004 eingesetzt haben. „So kann man größere Knochensegmente für den Kiefer herstellen, dann explantieren und einschließlich der Blutgefäße in große Defekte implantieren“, erklärt Terheyden.

Bei kleinen Implantat-Defekten genügt demgegenüber häufig schon, nur die Gerüstsubstanz in den Defekt zu füllen, sogenannte Knochenersatzmaterialien, über die der Knochen hinweg wächst. Kleine Defekte in einer knöchernen Umgebung können so gut versorgt werden. Wenn ein Defekt von Knochen umgeben ist, lassen sich so Defekte bis zu einer Größe von zwei Zentimeter behandeln, z.B. im sogenannten Sinusboden, einem Abschnitt im Seitenzahnbereich des Oberkiefers. Nachteil dieser Verfahren ist die lange Heilungszeit von sechs bis neun Monaten.

Auf dem Weg zum „Turbo-Knochen“. Viele Wachstumsfaktoren, welche die Knochenregeneration beschleunigen sollen wirken nur beschränkt. Ein kurz PDGF genannte Faktor (platelet-derived Growth Factor) ist dafür ein Beispiel. Auch das mit Thrombozyten angereicherte Eigenblut von Patienten (PRP) hat sich nicht als sehr wirksam erwiesen.

„Unter allen verfügbaren Prinzipien der Knochenheilungsbeschleuniger haben sich sogenannte BMPs (Bone morphogenic Proteins) am wirksamsten erwiesen“, erklärt Terheyden. Ein kurz OP1 genannter Faktor ist nur für orthopädische Eingriffe zugelassen. Einer weiter Vertreter dieser Gruppe, das BMP2 wurde am 14. März 2007 in den USA für kieferchirurgische und implantologische Anwendungen zugelassen – 17 Jahre nach der Entdeckung dieser Eiweißstoffe. Der Preis beträgt umgerechnet 3500 Euro pro Dosis. Für eine Verstärkung des Sinusbodens, den sogenannten „Sinuslift“ sind zwei Dosen erforderlich. Der Faktor wird auf einer Kollagenwatte appliziert und in den Defekt eingebracht. Weil die Watte nicht stabil ist, ist die Anwedung nur in einem geschützten Defekt möglich, z.B. im Sinusboden, wo die Watte nicht verschoben werden kann. „Eine Behandlung mit diesem BMP kann das autologe Knochentransplantat aus dem Beckenkamm vollständig ersetzen“, berichtet Terheyden. Weil es funktioniert, wird sich das Prinzip auch durchsetzen – davon ist der Kieler MKG-Chirurg überzeugt. Doch für die Implantologie sei die Substanz noch deutlich zu teuer.

Das Team von der Kieler Uniklinik erprobt derzeit zusammen mit anderen Forschergruppen im Rahmen einer multizentrischen Studie auch einen anderen Wachstumsfaktor. Dieser wird kurz GDF 5/BMP 14 genannt. „Die ersten Ergebnisse sehen zwar vielversprechend aus“, sagt Terheyden, „doch für eine abschließende Beurteilung dieses neuen Wirkstoffs aus der Gruppe der BMPs ist es noch zu früh.“

Für Rückfragen:
Prof. Dr. Dr. Hendrik Terheyden
Vizepräsident DGI e.V.
Stellv.Direktor/Leitender Oberarzt der Klinik
für MKG-Chirurgie Universität Kiel
Arnold-Heller-Straße 16, 24105 Kiel
Tel.: 0431 597-2783, Fax: 0431 597-2930
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