Schwere aplastische Anämie …

Bislang ist unklar, ob und welche Patienten mit einer erworbenen schweren aplastischen Anämie von einer Stammzelltransplantation eines nichtverwandten Spenders profitieren können. Es gibt keine hinreichend gesicherten Daten aus Studien, die die Transplantation mit der Therapiealternative Immunsuppression vergleichen.

Aus Gründen der Patientensicherheit und um die Wissenslücken so schnell wie möglich zu schließen, sollte diese Art der Stammzelltransplantation derzeit nur im Rahmen von adäquaten klinischen Studien eingesetzt werden. Um solche Studien zu realisieren, wäre der Aufbau eines Erkrankungsregisters hilfreich. Zu diesem Ergebnis kommt der Abschlussbericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), den die Kölner Wissenschaftler am 23. April 2007 veröffentlicht haben.

Krankheitsursache häufig unklar

Die aplastische Anämie ist sehr selten: In Europa und in den USA erkranken jährlich etwa zwei von einer Million Menschen. Bei diesen Patienten ist die Zellproduktion im Knochenmark so gestört, dass keine oder nicht ausreichend viele Blutzellen gebildet werden. Unbehandelt verläuft die schwere aplastische Anämie in der Regel tödlich. Zwar ist eine ganze Reihe potenziell auslösender Faktoren bekannt (u.a. Arzneimittel, Infektionserreger, Bestrahlung), in der Mehrzahl der Fälle bleibt die Ursache aber ungeklärt. Es wird vermutet, dass ein Autoimmunmechanismus sich gegen veränderte blutbildende Stammzellen richtet. Stammzellen sind der Ursprung für eine Reihe von Zellen, die unter anderem lebenswichtige Funktionen wie den Sauerstofftransport, die Infektionsabwehr und die Blutgerinnung gewährleisten. Neben der erworbenen gibt es auch eine „erbliche“ Variante der Erkrankung.

Therapiealternativen haben unterschiedliche Risiken

Transfusionen können nur vorübergehend die fehlenden Blutzellen ersetzen (supportive Therapie). Zur langfristigen Behandlung stehen derzeit zwei Maßnahmen zur Verfügung: Bei der immunsuppressiven Therapie sollen Medikamente die gegen die blutbildenden Stammzellen gerichteten Angriffe des eigenen Immunsystems unterdrücken. Mit dieser Methode können die meisten Patienten aber nicht dauerhaft geheilt werden. Manche sprechen nicht darauf an, bei anderen kommt es zu Rückfällen. Die zumeist langjährige, häufig lebenslange Behandlung mit diesen Medikamenten (Immunsuppressiva) kann zu erheblichen unerwünschten Nebenwirkungen führen.

Die Alternative ist eine Stammzelltransplantation. Dabei wird zunächst das kranke Knochenmark des Patienten zerstört (Konditionierung) und durch gesunde Stammzellen eines Spenders, die sich im Knochenmark ansiedeln, ersetzt. Werden Stammzellen eines verwandten Spenders übertragen, sind die Heilungsaussichten gut. Allerdings findet nur etwa 30 Prozent der Patienten einen Spender aus der eigenen Familie. Die Stammzelltransplantation ist grundsätzlich ein riskanter Eingriff, weil es u.a. in Abhängigkeit vom Spendertyp, ein nicht unerhebliches Risiko gibt, an den Folgen der Konditionierung zu sterben. Es gibt Hinweise, dass die Erfolgsaussichten von der Übereinstimmung der immunologischen Eigenschaften der Spenderzellen mit denen des Empfängers abhängen. Zudem kommt es vor, dass die Spenderzellen die Organe des Empfängers „angreifen“ (Transplantat-gegen-Wirt-Krankheit).

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat das IQWiG beauftragt, den Nutzen der Transplantation von Stammzellen nichtverwandter Spender mit der immunsuppressiven Therapie bei Patienten mit einer erworbenen schweren oder sehr schweren aplastischen Anämie zu vergleichen. Die „Familienspende“ war dagegen nicht Gegenstand des Auftrags.

Ergebnisse von vergleichenden Studien fehlen

Wie die IQWiG-Mitarbeiter nach einer sorgfältigen Literaturrecherche feststellen mussten, gibt es keine die beiden Therapievarianten direkt vergleichenden Studien, die vollständig publiziert und mit hinreichender Sicherheit interpretierbar sind. Dabei wollte das IQWiG viele Studientypen einschließen, zum Beispiel auch nicht randomisierte klinische Vergleiche und Daten aus Registern. Einzige Bedingung war das Vorhandensein einer Kontrollgruppe. Zwar gibt es eine Studie, die den Vergleich mit knapp 60 Patienten anstellt, bei denen die immunsuppressive Therapie im ersten Anlauf versagt hatte: 25 von ihnen erhielten anschließend eine Stammzelltransplantation eines Fremdspenders, 29 eine zweite Immunsuppression. Allerdings sind die Ergebnisse erst teilweise veröffentlicht. Sobald die Daten vollständig vorliegen, könnten sie in die Nutzenbewertung einbezogen werden.

„Refraktäre“ Situation wird unterschiedlich definiert

Als Reaktion auf die zum Vorbericht eingegangen Stellungnahmen recherchierte und analysierte das IQWiG zusätzlich Studien, in denen Patienten nach erfolgloser immunsuppressiver Therapie als letzte Option eine Transplantation von Stammzellen nichtverwandter Spender erhalten haben, auch wenn es in diesen Studien keine Kontrollgruppe gab. Die ergänzende Betrachtung dieser Studien ergab zum einen höchst uneinheitliche Ergebnisse – die Studien berichteten Überlebensraten, die innerhalb eines weiten Bereichs schwankten.

Zum anderen gab es in den Studien keine einheitliche Definition, wie lange weitere Versuche mit einer Immunsuppression sinnvoll sind und ab wann von einer „refraktären“ Situation auszugehen ist, in der es zur Transplantation keine Alternative mehr gibt. Deshalb sind die Daten der Studien nicht verallgemeinerbar.

Das IQWiG hält es aber für gerechtfertigt, Patienten, für die keine immunsuppressive Therapie mehr infrage kommt und für die auch kein geeigneter Spender aus der Familie zur Verfügung steht, eine Transplantation von Stammzellen nichtverwandter Spender als letzte Alternative anzubieten. Voraussetzung für den Einsatz in derartigen verzweifelten Fällen ist eine angemessene Aufklärung der Patienten über die derzeit noch unsichere Datenlage.

IQWiG plädiert für internationales Erkrankungsregister

Angesichts fehlender gesicherter Erkenntnisse weltweit und der erheblichen Risiken der Therapien fordert das IQWiG die Fachleute auf, den Stand des Wissens möglichst schnell durch vergleichende Studien zu verbessern. Aufgrund der geringen Zahl der Fälle müssen diese Studien multinational angelegt sein. Die dazu notwendigen Strukturen ließen sich aber relativ einfach schaffen: Nötig ist dafür ein Erkrankungsregister, in dem im Idealfall alle Patientenverläufe mit dieser Erkrankung erfasst und dokumentiert werden, unabhängig davon, welche Therapie eingesetzt wird.

Dass vergleichende Studien durchaus möglich sind, zeigen auch die Vergleiche zwischen Immunsuppression und Transplantation von Familienspendern bei der schweren (bzw. sehr schweren) aplastischen Anämie: Allein in den in den letzten 5 Jahren wurden dazu 7 Arbeiten publiziert, in denen zusammen über mehrere Tausend Patienten berichtet wird.

Zum Ablauf der Berichtserstellung

Den Vorbericht hatte das IQWiG am 24.7.2006 im Internet publiziert und zur Diskussion gestellt. Zu den vorläufigen Ergebnissen waren insgesamt 33 substanzielle Stellungnahmen eingegangen, darunter auch 62 Hinweise auf Publikationen zu Studien. Der größte Teil dieser Publikationen (42) war bereits vom IQWiG selbst recherchiert worden. Die übrigen 20 erfüllten nicht die Einschlusskriterien. Eine mündliche Erörterung fand nicht statt, da die eingegangenen Stellungnahmen keine wesentlichen Fragen offen ließen. Die schriftlichen Stellungnahmen selbst sind im Anhang des Abschlussberichts dokumentiert, mit den darin vorgetragenen Argumenten setzen sich die IQWiG-Autoren im Kapitel „Diskussion“ (S. 41-50) ausführlich auseinander. Mit der Überarbeitung des Vorberichts folgt das IQWiG seinen methodischen Vorgaben. Es hat den Vorbericht nicht zurückgezogen.

Media Contact

Dr. Anna-Sabine Ernst idw

Weitere Informationen:

http://www.iqwig.de

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