Neue Tests lüften Rätsel um das Restless-Legs-Syndrom

Als „Nachtwanderer“ bezeichnen sich Patienten mit Restless-Legs-Syndrom (RLS) mitunter, denn die Erkrankung ist mit unangenehmen Empfindungen verbunden, die sich nur durch Bewegung lindern lassen. Besonders stark empfinden Patienten diese Beschwerden in Ruhephasen und in der Nacht.

Die Entstehung der Erkrankung, von der geschätzte drei bis neun Prozent der Bevölkerung in Industrieländern betroffen sind, ist bislang ungeklärt. Studien des Instituts für Physiologie und Pathophysiologie der Johannes Gutenberg Universität in Mainz mit dem Zentrum für Nervenkrankheiten der Philipps-Universität Marburg, die beim Deutschen Schmerzkongress in Berlin vorgestellt wurden, erbrachten jetzt neue Erkenntnisse über die Natur des RLS: Die Patienten sind empfindlicher für bestimmte Schmerzreize, haben eine geringere Berührungsempfindlichkeit in Händen und Füßen und häufig ein „paradoxes“ Temperaturempfinden in den Beinen; kalt wird als heiß empfunden.

„Wir vermuten, dass dahinter eine Störung der körpereigenen Schmerzkontrolle im zentralen Nervensystem, d.h. im Gehirn und Rückenmark, steht“, fasst PD Dr. Walter Magerl (Mainz) zusammen. Medikamente, die das Dopaminsystem des Gehirns unterstützen, bessern die Beschwerden.

Eine der häufigsten neurologischen Störungen

RLS ist eine der häufigsten neurologischen Störungen in der Bevölkerung der westlichen Welt; die Häufigkeit steigt mit dem Lebensalter. Weil durch den unkontrollierbaren Bewegungsdrang Schlafstörungen entstehen, leidet die Lebensqualität der Patienten erheblich. „RLS wird aber oft nicht als neurologische Störung erkannt und ist daher gravierend unterdiagnostiziert“, so Dr. Magerl. Die Entstehung von RLS ist weitgehend ungeklärt. Es existiert ein noch nicht hinreichend verstandener genetischer Hintergrund: Die Erkrankung tritt bei Patienten, bei denen Familienangehörige betroffen sind, bereits ein Jahrzehnt früher auf als bei anderen Patienten. Frauen sind weitaus häufiger betroffen als Männer.

Gesteigertes Schmerzempfinden nicht nur in den Beinen

„Seit wenigen Jahren wissen wir, dass das RLS-Syndrom mit schwerwiegenden Störungen der Somatosensorik, d.h. der körperlichen Wahrnehmung einhergeht, insbesondere der Schmerzverarbeitung“, erklärt Dr. Magerl. Die Mainzer und Marburger Forscher konnten nun zeigen, dass Patienten mit RLS eine dramatisch gesteigerte Schmerzempfindlichkeit aufweisen. Sie sind weitaus schmerzempfindlicher gegen Nadelstich-ähnliche Reize als Gesunde. Das eindrucksvolle Symptom des Schmerzes durch leichte Berührung, z.B. durch Überstreichen der Haut mit einem Wattebausch, das bei anderen Nervenschmerzen wie der Gürtelrose häufig auftritt, zeigen Patienten mit RLS jedoch nicht. Im Gegensatz zur Störung der Motorik, die auf die Beine beschränkt ist, findet sich die gesteigerte Schmerzempfindlichkeit sowohl in den Armen als auch in den Beinen.

Verarbeitungsproblem im zentralen Nervensystem

Weitere Untersuchungen mit einer umfassenderen Testbatterie zur Prüfung somatosensorischer Funktionen, die in einem durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten bundesweiten Forschungsnetzwerk entwickelt wurde (Deutsches Forschungsnetz Neuropathischer Schmerz, DFNS) zeigen nun, dass diese gesteigerte Schmerzempfindlichkeit nicht für alle Schmerzarten gleichermaßen besteht. Eine größere Schmerzempfindlichkeit findet sich nur für spitze mechanische Reize (Nadelstiche) in den Armen und Beinen mit einer Absenkung der Schmerzschwelle und höheren Schmerzschätzungen für schmerzhafte Reize. Die Empfindlichkeit für thermische Schmerzreize (Kälte, Hitze) bleibt aber unverändert. „Dieses Muster legt eine Sensibilisierung des Schmerzsystems im zentralen Nervensystem nahe, die wahrscheinlich bereits bei der Umschaltung der Information im Rückenmark wirksam wird“, folgert Dr. Magerl. „Neuere Studien unserer Arbeitsgruppen zeigen, dass diese gesteigerte Schmerzwahrnehmung einhergeht mit einem ausgeprägten Verlust der Berührungsempfindlichkeit an Händen und Füßen, sowie dem häufigen Auftreten einer ungewöhnlichen 'paradoxen' Hitzeschmerzempfindung bei Kaltstimulation im Bereich der Beine.“ Alle anderen Sinnesmodalitäten (warm, kalt, Vibration, stumpfer Druck) sind jedoch unverändert.

Medikamente, die das Dopaminsystem beeinflussen, helfen

In der Vergangenheit wurde häufig die Hypothese geäußert, es handele sich bei RLS um eine Störung der Funktion dünner Nervenfasern. Diese Ansicht wird durch die neuen Daten nicht gestützt. Da es keine generalisierten Empfindungsverluste gibt, ist auch eine Störung der Funktion dicker Nervenfasern unwahrscheinlich. Die Einschränkung der Berührungsempfindlichkeit schätzen die Forscher dagegen als vom Schmerz verursacht ein, da diese Veränderung auch vorübergehend bei gesunden Versuchspersonen durch schmerzhafte Reizung experimentell ausgelöst werden kann. Das Auftreten paradoxer Hitzeempfindung verweist auf eine zentralnervöse Enthemmung („Disinhibition“), wie sie auch bei Patienten mit multipler Sklerose gefunden wurde. Die gestörte Schmerzempfindlichkeit, reduzierte taktile Sensitivität und paradoxe Hitzeempfindung werden durch länger dauernde Behandlung mit Substanzen, die an zentralen Dopaminrezeptoren angreifen, weitgehend zurückgebildet.

Ansprechpartner

PD Dr. Walter Magerl, Institut für Physiologie und Pathophysiologie, Johannes Gutenberg Universität, Saarstr. 21, 55099 Mainz, Tel.: 06131-3925218, E-Mail: magerl@uni-mainz.de

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