Bluttest hilft Diabetikern

Bei vielen Diabetikern schädigt der schwankende Blutzuckerspiegel im Laufe der Jahrzehnte die Gefäße im Auge. Jedes Jahr erblinden rund 6.000 Patienten im Zuge dieser so genannten „Retinopathie“. Das Netzhautleiden gilt auch als Warnsignal für Diabetes-bedingte Herz-Kreislauf-Erkrankungen – gefürchtete Spätfolge: Herzinfarkt.

Acht Millionen Menschen in Deutschland sind nach Angaben der Deutschen Diabetes-Gesellschaft zuckerkrank. Binnen fünf Jahren entwickelt sich bei jedem vierten von ihnen eine Retinopathie. Meist verläuft die Krankheit mild und läßt sich gut behandeln. Wichtig ist vor allem, dass die Patienten ihren Blutzuckerspiegel durch eine passende Diät und Insulingaben möglichst konstant halten. Bei manchen Diabetikern verläuft das Augenleiden aber besonders aggressiv. „Das hängt sehr stark mit der genetisch verankerten Fähigkeit des Körpers zusammen, mit dem schwankenden Zuckerspiegel umzugehen“, erklärt die Bonner Medizinerin Professor Dr. Olga Golubnitschaja.

Bei ihrem Test messen die Mediziner den Spiegel von sieben verschiedenen Proteinen im Blut. Sind die Werte charakteristisch erhöht, besteht ein gesteigertes Risiko, an dem Netzhautleiden zu erkranken. Das Verfahren ist inzwischen patentiert. „Wir suchen nun nach einer Firma, die den Test in Serie produziert“, sagt die Medizinerin.

Stress vernichtet Gefäße

Schlüssel zum Verfahren ist das so genannte „Stressantwort-Proteom“. Das ist das Arsenal von Proteinen, das der Körper jedes Menschen als Reaktion auf Stress jeglicher Art ausschüttet – also beispielsweise auf zuviel oder zuwenig Glucose im Blut. Bei Diabetes-Patienten bewirkt die Stressantwort einen Gefäßumbau: Bei Glucosemangel sterben „unterernährte“ Zellen ab. Steigt der Blutzuckerspiegel dagegen wieder, sorgen Wachstumsfaktoren dafür, dass sich neue Gefäße bilden. Problem nur: Das geschieht nicht koordiniert – die alten Gefäße werden undicht, die neu gebildeten sind aber nicht funktionstüchtig. Daher kann eine ausgeprägte diabetische Retinopathie fatale Folgen haben.

„Es gibt Menschen, die Glucoseschwankungen nur sehr schlecht verkraften“, erläutert Professor Golubnitschaja. „Bei den leisesten Abweichungen kommt bei ihnen der Gefäßumbau in Gang. Patienten, deren Körper toleranter reagiert, haben es besser: Bei ihnen ist die Gefahr deutlich geringer, an einer Retinopathie zu erkranken.“ Doch nicht nur das: Das Augenleiden gilt auch als Warnsignal für einen drohenden Infarkt. Denn wie die Adern im Auge kann die Zuckerkrankheit auch Herzgefäße angreifen.

„Das fatale daran: Oft merken die Betroffenen es gar nicht, wenn kleinere Herzgefäße verstopfen und degenerieren. Denn durch die Glucoseschwankungen gehen mit der Zeit auch Nervenzellen im Herzmuskel zu Grunde, so dass der Diabetiker gar keine Schmerzen in der Brust verspürt.“ Weiß man aufgrund des positiven Bluttests um die Gefahr, kann man Risikopatienten regelmäßig radiologisch auf Anzeichen eines „stillen Infarkts“ untersuchen. Auch durch Medikamente, einen gut eingestellten Blutzuckerspiegel und eine gesunde Lebensführung lässt sich vorbeugen.

Stress als Schlüssel zu Krebs und Gefäßerkrankungen

Angefangen hat Professor Dr. Olga Golubnitschaja mit der Suche nach Blutproteinen, die auf eine erhöhte Anfälligkeit für Brustkrebs hindeuten. Auch auf diesem Gebiet hat sie schon eine Reihe vielversprechende Genkandidaten gefunden. „Einige der Proteine, die zur Brustkrebs-Entstehung beizutragen scheinen, sind auch bei Retinopathie-Patienten in ihrer Konzentration verändert“, sagt sie. Der Schlüssel zu derart unterschiedlichen Krankheitsbildern sei die Art und Weise, wie der Organismus mit Stress umgeht. „Ob nach einem Alkoholrausch, einem Sonnenbrand oder einem besonders hektischen Tag: Unabhängig von der Art des Stresses ist es immer wieder das gleiche Basisarsenal von Proteinen, die der Körper als Reaktion hoch- oder runterreguliert.“

Zu diesen Stressantwort-Faktoren zählen beispielsweise die Proteine, die bei Zuckermangel den Zelltod (die so genannte Apoptose) einleiten. Reagiert der Körper darauf mit einer wesentlich erhöhten Apoptoserate, so kommt es zur ausgeprägten Gewebedegeneration, wodurch die geschilderten Gefäßerkrankungen entstehen. Schaltet er sein „Zelltod-Programm“ dagegen weniger effektiv an, können eventuell Zellen mit mutierter DNA überleben. Wahrscheinliche Folge: Krebs. Daher ist eine angemessene Apoptoserate ein wichtiger Schutzmechanismus vor sowohl kardiovaskulären als auch onkologischen Erkrankungen, betont Olga Golubnitschaja. Es sei höchst wahrscheinlich, dass eine ganze Reihe von Proteinen an beiden Prozessen beteiligt ist. „Wenn wir auf einen wichtigen Genkandidaten stoßen, der eine fehlerhafte Stressreaktion auslösen kann, testen wir daher, ob er eine Rolle sowohl bei kardiovaskulären als auch onkologischen Erkrankungen spielt und daher für molekulare Frühdiagnostik eingesetzt werden soll. Es wäre kurzsichtig, ja sogar fahrlässig, wenn man beide Forschungsrichtungen voneinander trennen würde.“

Kontakt:
Professor Dr. Olga Golubnitschaja
Leiterin der Forschungseinheit „Molekulare/Experimentelle Radiologie“
Radiologische Klinik der Universität Bonn (Kliniksdirektor Prof. Dr. H. Schild)
Telefon: 0228/287-15982
E-Mail: olga.golubnitschaja@ukb.uni-bonn.de

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Frank Luerweg idw

Weitere Informationen:

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