Wie Zahlen im Gehirn repräsentiert sind

Etwa sechs Prozent aller Kinder leiden an einer Rechenschwäche (Dyskalkulie). Doch im Gegensatz zur Lese-Rechtschreibstörung (Legasthenie) wissen die Forscher vergleichsweise wenig über die Mechanismen, welche der Rechenschwäche zugrunde liegen. Bekannt ist, dass Menschen mit einer gewissen numerischen Kernkompetenz geboren werden, die von sprachlichen Fähigkeiten unabhängig ist: Bereits Säuglinge können die Größe kleiner Mengen unmittelbar erfassen und von anderen Mengen unterscheiden.

Wenn Kinder abstrakte Zahlensymbole lernen, entwickeln sie – auf der Grundlage der angeborenen numerischen Kompetenz – die Fähigkeit zu einer abstrakt-räumlichen Verarbeitung von Zahlen. Dies vermuten Forscher aufgrund zahlreicher Untersuchungen. Im Gehirn verbinden sich Nervenzellen zu Netzwerken, die Zahlen räumlich verarbeiten. Es entsteht der so genannte mentalen Zahlenstrahl (englisch: mental number line). Dieser ist im westlichen Kulturkreis von links nach rechts in Schreibrichtung orientiert, die niedrigen Zahlen befinden sich links, die hohen rechts.

Unklar ist allerdings bislang, ob diese räumliche Repräsentation spezifisch ist für Zahlen oder ob auch andere Sequenzen, etwas Buchstaben des Alphabets oder die Abfolge von Monaten im Jahr auf diese Art repräsentiert sind.

Das Team von Professor Carlo Umiltà und Marco Zorzi von der Abteilung für allgemeine Psychologie der Universität Padua (Italien) hat nun durch verschiedene Untersuchungen mit Schlaganfallpatienten belegt, dass Zahlen in der Tat räumlich repräsentiert sind und dass diese Form der Repräsentation spezifisch ist für Zahlen und nicht generell für geordnete Sequenzen.

Die untersuchten Schlaganfallpatienten haben aufgrund einer Schädigung ihres rechten Scheitellappens Defizite bei der räumlichen Wahrnehmung: Sie nehmen etwa Signale aus ihrer linken Körperseite und Objekte, die sich links von ihnen befinden nicht wahr. (Dieses Phänomen wird hemispatialer Neglect genannt.)

Die Psychologen untersuchten mit spezifischen Testverfahren, ob die Patienten Zahlen aus der linken Hälfte ihres Zahlenstrahles verarbeiten können. Resultat: Wenn Patienten die mittlere Zahl in einer Zahlenreihe benennen sollten (etwa: Welche Zahl liegt in der Mitte zwischen 1 und 9?) gaben die Patienten nicht wie erwartet vier oder fünf an, sondern nannten eher die Zahl 7.

„Allerdings betrifft dieses Defizit nur die bewusste Verarbeitung von Zahlen,“ betont Professor Carlo Umiltà. Ebenso belegen die Untersuchungen der Forscher, dass die Störung nur bei der Verarbeitung von Zahlen auftritt und nicht bei anderen Reihen, die keine Zahleninformationen enthalten.

Als nächstes wollen die Wissenschaftler untersuchen, ob auch negative Zahlen oder Brüche räumlich repräsentiert sind. „Wir hoffen, dass unsere Einsichten dazu beitragen, dass Schlaganfallpatienten mit Defiziten der räumlichen Wahrnehmung und Kinder mit Rechenschwäche in der Zukunft besser rehabilitiert werden können,“ sagt Umiltà. Seine Arbeitsgruppe ist inzwischen an der Entwicklung entsprechender Rehabilitationsprogramme beteiligt.

ABSTRAKT Nr. S19.4

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Das Forum 2006 der Federation of European Neuroscience Societies (FENS) wird veranstaltet von der Österreichischen Gesellschaft für Neurowissenschaften und der Deutschen Neurowissenschaftlichen Gesellschaft. An der Tagung nehmen über 5000 Neurowissenschaftler teil. Die FENS wurde 1998 gegründet mit dem Ziel, Forschung und Ausbildung in den Neurowissenschaften zu fördern sowie die Neurowissenschaften gegenüber der Europäischen Kommission und anderen Drittmittelgebern zu vertreten. FENS ist der Europäische Partner der Amerikanischen Gesellschaft für Neurowissenschaften (American Society for Neuroscience). Die FENS vertritt eine große Zahl europäischer neurowissenschaftlicher Gesellschaften und hat rund 16 000 Mitglieder.
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8. – 12. Juli 2006
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