Virtuelle Autopsie: Wenn Radiologen Todesfälle aufklären

Schussverletzungen können mit der Computertomographie optimal dokumentiert und rekonstruiert werden. © Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie Leipzig

Mehr als 800.000 Menschen sterben jährlich in Deutschland. Bei ungeklärter Todesursache landet der Leichnam auf dem Seziertisch des Gerichtsmediziners. Doch das Skalpell könnte künftig immer weniger zum Einsatz kommen, wenn es gilt, Todesursachen aufzuklären. Mit der Computertomographie (CT) ist eine vollkommen unblutige Variante der Obduktion möglich. Die Methode hat sich vor allem bei der Suche nach Fremdkörpern und beim Aufspüren von Knochenbrüchen bewährt. Wo überall die CT die Arbeit des Gerichtsmediziners unterstützen kann, diskutieren Mediziner und Wissenschaftler derzeit auf dem Deutschen Röntgenkongress in Berlin.

Eine Autopsie ist eine aufwändige Angelegenheit: Der Rechtsmediziner öffnet den Körper des Toten und untersucht die einzelnen Organe. Mithilfe der Computertomographie machen sich nun auch Radiologen auf Spurensuche – ohne einen einzigen Schnitt zu setzen. Dabei ist die CT der klassischen Autopsie vor allem bei der Identifikation von Toten überlegen. Charakteristische Merkmale wie Prothesen und Implantate werden viel schneller entdeckt. Auch Gasansammlungen und Projektile können präziser lokalisiert werden. „Schussverletzungen können wir mit der CT optimal dokumentieren“, berichtet Dr. Thomas Schulz von der Klinik und Poliklinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie der Universität Leipzig. „Wir erkennen nicht nur die exakte Eintrittsstelle des Geschosses – mit einer 3D-Darstellung können wir auch genau rekonstruieren, aus welcher Richtung der Schuss abgefeuert wurde.“

Der Möglichkeit, auf Basis von dreidimensionalen CT-Aufnahmen ein Tatgeschehen nachzuvollziehen, misst auch Prof. Dr. Angela Geissler große Bedeutung bei. Die Chefärztin der Radiologie und Nuklearmedizin am Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart untersucht seit 2003 Verstorbene mit der CT. „Der große Vorteil der CT ist, dass sie den Körper des Toten in seinem ursprünglichen Zustand belässt. Die Schnitte des Rechtsmediziners sind endgültig: Sie verändern die Ausgangslage und können so Spuren verwischen“, betont Prof. Geissler. Zudem ist eine CT schneller als eine Sektion. So könnte die „virtuellen Autopsie“ künftig auch bei Katastrophenfällen, bei denen viele Opfer in kürzester Zeit identifiziert werden müssen, eine wichtige Rolle spielen.

Dass der Rechtsmediziner damit sein Skalpell beiseite legen kann, ist unwahrscheinlich. Dr. Schulz und Prof. Geissler belegen allerdings in ihren Studien, die derzeit auf dem Deutschen Röntgenkongress diskutiert werden, dass die Computertomographie künftig wohl nicht mehr aus der Rechtsmedizin wegzudenken ist. „Die CT kann im Vorfeld der Sektion viele offene Fragen klären – auf ihren Ergebnissen aufbauend, kann der Rechtsmediziner wesentlich effizienter arbeiten“, betonen die Wissenschaftler.

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