"Bewegungsmelder" für Psychosen

Bewegungsstörungen sind Biomarker für den Verlauf von schizophrenen Erkrankungen / Heidelberger Wissenschaftler veröffentlichen im „American Journal of Psychiatry“


Scheinbar unwichtige Bewegungsstörungen – auch „soft signs“ genannt – können wie Seismographen den Ausbruch einer schizophrenen Psychose ankündigen. Auch für deren Verlauf sind diese „sanften Symptome“ zuverlässige Indikatoren, wenn sie systematisch erfasst und bewertet werden.

Im „American Journal of Psychiatry“ haben Professor Dr. Johannes Schröder, Leiter der Sektion Gerontopsychiatrische Forschung der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg und seine Mitarbeiter jetzt die weltweit erste prospektive Studie zur Bedeutung der „soft signs“ publiziert – und darin die Befunde ihrer früheren Untersuchungen bestätigt und erweitert. Die „Heidelberger Skala“, die die Geschicklichkeit vor allem bei Bewegungen misst, war von der Arbeitsgruppe schon Anfang der neunziger Jahre entwickelt worden.

Kranke und Gesunde über ein Jahr miteinander verglichen

Schizophrene Psychosen sind häufige Erkrankungen, die weltweit etwa 1 Prozent der Bevölkerung betreffen. Die Erkrankung beginnt meist im frühen Erwachsenenalter und führt bei der Mehrzahl der Patienten zu schweren Einschränkungen der Selbstständigkeit und Arbeitsfähigkeit. Grundlage der Erkrankung ist eine besondere Vulnerabilität (Verletzlichkeit), die wahrscheinlich von Geburt an besteht. Zum späteren Ausbruch der Psychose führen dann weitere, bislang noch unbekannte Faktoren. Bisher können weder der Ausbruch der Psychose noch ihr weiterer Verlauf vorhergesagt werden.

In der Heidelberger Studie wurden eine Gruppe von 39 schizophrenen Patienten (21 Frauen und 18 Männer) über einen Zeitraum von einem Jahr mit einer Gruppe von 22 gesunden Personen (12 Frauen und 10 Männer) verglichen. Die Patienten waren im Durchschnitt 27 Jahre alt und zum ersten Mal in ihrem Leben wegen einer akuten Psychose in stationärer psychiatrischer Behandlung. Das Durchschnittsalter der gesunden Kontrollgruppe, die über Zeitungsanzeigen rekrutiert worden war, betrug 28 Jahre.

Die Heidelberger Skala für neurologische „soft signs“ umfasst 16 verschiedene Tests, die Bewegungskoordination und ihre Verknüpfung mit den Sinneswahrnehmungen und der räumlichen Orientierung prüfen, z.B. den Daumen der Fingerreihe gegenüberstellen oder auf einer geraden Linie balancieren.

Bessere Geschicklichkeit spricht für fortschreitende Genesung

Für die in ambulante Behandlung entlassenen Patienten sank der Gesamtwert aller Testergebnisse während eines Jahres signifikant von durchschnittlich 15.7 auf 10.1, während er in der gesunden Kontrollgruppe annähernd konstant blieb (von 4.8 auf 4.6). Innerhalb der Patientengruppe entwickelte sich die Schizophrenie bei 18 Kranken zum chronischen Leiden. Entsprechend änderte sich ihr Wert auf der Heidelberger Skala von 13.8 auf 13.5 kaum. Für die 21 Patienten, deren Zustand sich besserte, sank dieser Wert dagegen von 17.3 auf 7.2.

„In akuten Krankheitsphasen treten diskrete Bewegungsstörungen vermehrt auf, bei günstiger Prognose werden sie seltener“, erläutert Professor Schröder diese Ergebnisse. Auch nach positiv verlaufener Therapie blieben die „soft signs“ erhöht. Dass sie meist schon vor Ausbruch einer akuten Psychose und der ersten Medikation auftreten, spreche dafür, dass „soft signs“ keine Nebenwirkungen von Arzneimitteln, sondern echte „Vulnerabilitätsmarker“ seien. Man könne sie als Ausdruck krankheitsbedingter Veränderungen in den Nervenleitungsbahnen zwischen Großhirnrinde, Stammhirn und Kleinhirn interpretieren.

„Nach ihrer Anzahl und Amplitude sind neurologische „soft signs“ aussagefähige Biomarker bei schizophrenen Psychosen“, betont Professor Schröder. „Ihre Erforschung kann helfen die Ursachen der Erkrankung besser zu verstehen, aber auch den Krankheitsverlauf der Patienten vorherzusagen. Dies ist für eine genaue Therapieplanung von großer Bedeutung.“

Literatur:
Silke Bachmann, Christina Bottmer, Johannes Schröder: Neurological Soft Signs in First-Episode Schizophrenia: A Follow-Up Study.
In. American Journal of Psychiatry 162: 12, December 2005, p. 2337-2343.

Kontakt:
Professor Dr. Johannes Schröder
Telefon: 06221 / 56 5468 (Sekretariat, Frau Wölk)
E-Mail: johannes.schroeder@med.uni-heidelberg.de

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Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Universitätsklinikums Heidelberg
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