Auswirkungen des Stimmwechsels häufig unterschätzt – Wichtig für Sänger

Wenn Jungen in den Stimmwechsel kommen, ändert sich im Lauf der Monate nicht nur das Timbre, sondern der ganze Organismus stellt sich um.

„Die so genannte Mutation stellt einen Abschnitt der physiologischen Entwicklung der Kinder- und Jugendstimmen dar und ist in die gesamten körperlichen Veränderungen der Pubertät eingebettet“, sagt der Leiter der Abteilung für Stimm-, Sprach- und Hörstörungen der Universitätsklinik Leipzig, OA Dr. med. Michael Fuchs. Eltern und Lehrer unterschätzten diese Entwicklungsphase und die damit einhergehenden Veränderungen bislang oft.

Vor der Pubertät Sprech- und Singstimmen von Jungen und Mädchen nicht zu unterscheiden

Durch ein geschlechtsspezifisches Wachstum des Kehlkopfes während der Mutation erhalte dieser neben seinen Aufgaben als Atmungs- und Stimmorgan eine weitere Funktion als sekundäres Geschlechtsmerkmal. Während vor diesem Prozess die Sprech- und Singstimmen von Jungen und Mädchen nicht zu unterscheiden sind, ändert sich das mit der Pubertät radikal. „Die Singstimme rutscht vom Knabensopran zum Tenor oder Bass, und der Jugendliche erhält dadurch auch eine neue Stellung im sozialen Familiengefüge. Söhne übernehmen eine Respektfunktion und haben fortan Verantwortung gegenüber kleineren Geschwistern“, sagt Fuchs.

Phase der Mutation bedeutet Zwangspause für Sänger

Bei den Mitgliedern des weltberühmten Leipziger Thomanerchors, die von Fuchs als Phoniater medizinisch betreut werden, bedeutet die Phase der Mutation eine Zwangspause. „Die Stimme ist rauh, behaucht, heiser, wenig steigerungsfähig und nicht so laut und volumenreich wie sonst. Wenn man sie trotzdem in dieser Zeit stark fordert, kann dies zu anhaltenden Stimmstörungen führen“, so Fuchs. Die Thomasser – wie die singenden Thomasschüler genannt werden – bleiben in dieser Zeit im Internat wohnen und übernehmen andere Aufgaben. Beim Kinderchor des Gewandhauses hingegen endet mit dem Stimmbruch die Zugehörigkeit zum Klangkörper.

Nach einem halben bis dreiviertel Jahr sei zwar das Kehlkopf-Wachstum abgeschlossen, aber die Stimme noch nicht voll belastbar. Die um etwa zehn Millimeter gewachsenen Stimmlippen müssten sich erst neu justieren und der junge Mann seine neue, abgedunkelte Stimmlage als Teil seiner Persönlichkeit akzeptieren. „Die Stimme ist das kostbarste Instrument, weil wir es in uns tragen“, sagt der Oberarzt und ehemalige Thomaner Fuchs in Anlehnung an den in Leipzig geborenen Richard Wagner (1813-1883): „Das echteste und schönste Organ, das Organ, dem unsere Musik allein ihr Dasein verdankt, ist die menschliche Stimme.“

Auch ausgeprägte Stimmungsschwankungen während des Stimmbruchs

Aber auch die psychologischen Veränderungen und Probleme in diesem Alter mit ausgeprägten Stimmungsschwankungen (himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt) werden Fuchs zufolge häufig unterschätzt. Fuchs sieht aber auch die Lehrer und Kindergärtnerinnen in der Pflicht: „Nicht nur in den Elternhäusern wird weniger gesungen, was ein gesellschaftliches Phänomen ist. Auch die Qualität der musikalischen Erziehung in Schule und Kindergärten lässt nach. Die Stimmausbildung für Lehrer müsste in deren Ausbildung fester Bestandteil werden, damit sie das Wissen an die Kinder weitergeben.“

Diagnostiktool für Chöre

Um den Beginn der Mutation möglichst genau vorauszusagen, um einerseits die Stimmen der Jugendlichen zu schonen und andererseits Chören die Besetzungsplanung zu erleichtern, hat Fuchs in Zusammenarbeit mit Kinder- und Jugendchören ein Diagnostiktool entwickelt. Dazu wurden Längsschnittstudien durchgeführt, bei denen die Probanden über einen Zeitraum von mehr als dreieinhalb Jahren regelmäßig im Abstand von drei Monaten hinsichtlich aller phoniatrischen Parameter untersucht wurden, um individuellen Verläufe ihrer stimmlichen Entwicklung beurteilen zu können. Zusätzlich wurden die Verläufe folgender nicht stimmlicher Parameter analysiert: Wachstumsgeschwindigkeit, Genitalstatus (Genitalgröße, Schambehaarung, Hodenvolumen) und Testosteron.

Weitere Informationen:
Dr. Michael Fuchs
Telefon: 0341 97-21800
E-Mail: michael.fuchs@medizin.uni-leipzig.de

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Dr. Bärbel Adams idw

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